Zu Beginn der Corona-Krise erklärten die meisten Regierungschefs, dass die Ausbreitung von SARS-CoV-2 in einer einzigen großen Impfkampagne beendet werden könnte. Doch nun zeichnet sich ab, dass aufgrund von mutmaßlich immer neuen Mutationen des Erregers SARS-CoV-2 für die zukünftigen Impfkampagnen eventuell auch immer neue Varianten der Vakzine produziert werden müssen.
Großbritanniens Gesundheitsminister Nadhim Zahawi erklärte beispielsweise, dass sich das Land auf jährliche Corona-Impfkampagnen vorbereite. In vielen Ländern der Europäischen Union geht die erste Impfkampagne nur schleppend voran, doch die meisten EU-Staaten dürften in den nächsten Jahren dem Beispiel Großbritanniens folgen. Damit könnte laut Analysten ein Markt entstehen, der von Jahr zu Jahr Umsätze von bis zu 23 Milliarden Euro für die Pharmaindustrie ermöglicht.
Gegenüber der Financial Times sagte Geoffrey Porges, Analyst bei der auf den Medizinsektor spezialisierten Investmentbank SVB Leerink, die Erkenntnis, dass die bisher entwickelten Vakzine nur unzureichend gegen die Mutationen wirken, ändere die kommerzielle Bedeutung der Impfstoffe grundlegend, und zwar zugunsten der Pharmaindustrie. Laut Bloomberg soll Pfizer in einer Telefonkonferenz mit Investoren bereits angekündigt haben, seine Preise zu erhöhen. Die Gewinnspanne könnte für das Pharmaunternehmen noch gewaltiger werden: Derzeit verlangt Pfizer in den USA 19,50 US-Dollar für eine Impfdosis, für spezielle andere Impfstoffe verlangt das Unternehmen bis zu 175 Dollar pro Dosis.
Die ersten Unternehmen haben bereits damit begonnen, ihre Vakzine an die Mutationen anzupassen: So hat AstraZeneca angekündigt, schon im Herbst eine neue Variante seines Impfstoffs auf den Markt zu bringen, der auf die sich derzeit ausbreitende Mutation abgestimmt sei. Auch die deutsche Firma CureVac, deren Impfstoff bislang noch nicht einmal zugelassen ist, weil er sich immer noch in der klinischen Erprobungsphase befindet, hat mit dem Pharmakonzern GlaxoSmithKline bereits ein Abkommen über die Entwicklung eines Nachfolge-Vakzins getroffen.
Bisher gibt es von den Zulassungsbehörden in den USA und der EU noch keine staatlichen Vorgaben zu den angepassten Vakzinen. Für jährlich angepasste Grippeimpfstoffe, die jedoch auf "klassischen" Technologien beruhen, sind eigentlich nicht jedes Mal erneut klinische Studien zwingend erforderlich und notwendig. Außerdem ist dabei der Entwicklungsaufwand für die Impfstoffe vergleichsweise gering, da Forschung und Studien durch frühere staatliche Milliardenzuschüsse bereits weitgehend bezahlt wurden.
Für die grundsätzlich neuartigen mRNA-Impfstoffe, wie sie beispielsweise von den Firmen BioNTech, Pfizer und Moderna angeboten werden, ist der Aufwand am geringsten. Der Analyst Porges schätzt, dass ein neuer Impfstoff mit mRNA-Technologie innerhalb von nur 3 bis 6 Monaten auf den Markt gebracht werden könne. Bei sogenannten Vektorimpfstoffen wie dem Vakzin von AstraZeneca dauert der Prozess der angepassten Entwicklung zwei bis drei Monate länger. Für "klassische" Totimpfstoffe würden die Herstellung und der Einsatz von angepassten Varianten am längsten dauern.
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