Deutscher Stabschef im US-Army-Hauptquartier in Wiesbaden: "Russland ist unsere größte Bedrohung"

Die NATO habe sich wieder gen Osten gewandt, weil die russische Bedrohung echt sei. Russland sei die größte Bedrohung und der islamistische Terror vielleicht für den Einzelnen eine gefühlt größere Gefahr, sagte der Bundeswehrgeneral Sembritzki im Interview mit der FAZ.

Der Bundeswehrgeneral Jared Sembritzki, Stabschef im Hauptquartier der US-Armee in Wiesbaden, sprach in einem Interview mit FAZ über die Aufwertung des Standorts, die Ukraine und Russland. Erfahrung als Stabschef sammelte er von Juni 2015 bis April 2017 bei der 10. Panzerdivision. Es folgte eine kurze Zeit als Referatsleiter für Militärpolitik und Einsatz Region Asien/Ozeanien im Verteidigungsministerium, dann übernahm er am 1. Juni 2017 von Brigadegeneral Alexander Sollfrank das Kommando über die Gebirgsjägerbrigade. Im Mai 2020 wurde er Nachfolger von Brigadegeneral Hartmut Renk und als vierter deutscher Offizier Chef des Stabes der US-Army Europe, die seit Oktober offiziell US-Army Europe and Africa heißt. Dienstsitz ist die Clay-Kaserne in Wiesbaden-Erbenheim, die seit 2013 das Europa-Hauptquartier der Army beherbergt. Von dort aus werden die rund 30.000 auf europäischem Boden stationierten amerikanischen Heeressoldaten befehligt. Sembritzki bezeichnete sich als US- und NATO-affin. Das habe bei seiner Berufung nach Wiesbaden wohl auch eine Rolle gespielt, sagte er seinerzeit.

Am Anfang des Interviews stellte Sembritzki sich als der Generalsekretär für den Kommandeur General Cavoli vor, der für etwa 50.000 Personen verantwortlich ist. Das US-Hauptquartier in Wiesbaden hat unlängst eine enorme Aufwertung erfahren. In ihm wurden das Europa- und das Afrika-Kommando der Army zusammengefasst. Auf die Frage, was der Hintergrund dieser Umstrukturierung sei, erklärte General Sembritzki, Afrika sei lange nicht in unserem Fokus gewesen. Um das zu ändern, habe das Pentagon Ende 2007 das Afrika-Kommando Africom mit Hauptquartier in Stuttgart aufgestellt. Denn die Sicherheit Europas sei so eng mit der Situation in Afrika verbunden. Diese Umstrukturierung soll zudem nicht eine Folge der von Präsident Trump verkündeten Truppenreduzierung gewesen sein.

"Denken Sie nur an den sogenannten Arabischen Frühling oder das Thema Migration. Die europäische Südküste ist nur ein paar Flugminuten von der afrikanischen Nordküste entfernt, und beide Kontinente liegen praktisch in einer Zeitzone – da ist es nur logisch, die beiden Kommandos zusammenzuführen."

Nach dem Mauerfall und darauffolgendem Abzug der Russen habe sich die Situation in Europa nachhaltig verändert, sodass der Satz von dem ehemaligen Verteidigungsminister: "Die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland wird auch am Hindukusch verteidigt", die nächsten 20 oder 25 Jahre geprägt habe. Die Friedensdividende sei im Grunde das Märchen von der schönen neuen Welt gewesen – aber so sei die Welt nun einmal leider nicht. Zu der Frage, wann sich die Verhältnisse in Europa verändert haben, erklärte der Stabschef im Hauptquartier der US-Army, instabil sei die Lage in Osteuropa schon länger gewesen, aber den Ausschlag habe sicher das aggressive Verhalten der Russen in der Ukraine und vor allem auf der Krim gegeben.

 

Die NATO habe sich wieder gen Osten gewandt, weil die russische Bedrohung echt sei. Russland rüste weiter auf, modernisiere sein Militär massiv und zeige seine Machtbestrebungen immer deutlicher, betonte Sembritzki. Der General erwähnt allerdings nicht, warum dann die USA weltweit am meisten Geld für die Verteidigung ausgibt, gefolgt von China und Saudi-Arabien. Im Jahr 2018 gaben die USA laut einer Studie mehr als zehn Mal so viel Geld für Verteidigung aus wie Russland.

Auf die Frage, ob Russland größte Bedrohung sei, sagte der Bundeswehrgeneral Sembritzki:

"Ganz sicher. Der islamistische Terror ist vielleicht für den Einzelnen eine gefühlt größere Gefahr, aber dem können wir als Militär nur schwer begegnen. Und China ist konventionell-militärisch gesehen im Grunde zu weit entfernt."

Auf die Frage, warum die Army regelmäßig Kampfbrigaden aus Amerika zu Übungen nach Osteuropa rotieren lasse, unterstrich er, dass die Verhältnisse im heutigen Europa ganz anders als die im Kalten Krieg seien, als sich alles an der innerdeutschen Grenze konzentriert habe. Heute erstrecke sich das Gebiet einer möglichen Eskalation vom Baltikum bis zur Schwarzmeerregion. Insofern könne man viele Brigaden gar nicht stationieren, um auf dieser Linie ein Kräftegleichgewicht zu schaffen. Deswegen sei Flexibilität der Kampfbrigaden entscheidend.

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