Bei einer Rede zum Zustand unseres Planeten zog UN-Generalsekretär António Guterres in dieser Woche ein düsteres Fazit – die Erde sei kaputt. Die Menschheit führe einen Krieg gegen die Natur. Doch dies sei selbstmörderisch. Denn die Natur schlage immer zurück – "und sie tut dies bereits mit wachsender Kraft und Wut", mahnte Guterres in seiner Rede an der New Yorker Columbia University und ging auf Klimakatastrophen wie Unwetter und Großbrände, Ausbreitung von Wüsten, Artensterben, den Verlust von Wäldern und der biologischen Vielfalt ein.
"Die Ozeane werden überfischt – und ersticken an Plastikmüll. Das Kohlendioxid, das sie absorbieren, versauert die Meere. Korallenriffe werden ausgebleicht und sterben ab", mahnte der UN-Generalsekretär. Allein die Verschmutzung von Luft und Wasser sei um ein Vielfaches tödlicher als die COVID-19-Pandemie.
"Die Luft- und Wasserverschmutzung tötet jährlich neun Millionen Menschen – mehr als sechsmal so viele wie die derzeitige Pandemie", so Guterres.
Und da Menschen und Vieh weiter in die Lebensräume der Tiere vordringen und die Wildnis stören, könnten mehr Viren und andere Krankheitserreger vom Tier auf den Menschen überspringen. Einem "Frieden mit der Natur" müsse dringend Vorrang eingeräumt werden, dies solle die oberste Priorität für jeden Einzelnen sein.
"Wir stehen vor einer verheerenden Pandemie, neuen Höhen der globalen Erwärmung, neuen Tiefpunkten der ökologischen Degradierung und neuen Rückschlägen in unserer Arbeit für globale Ziele für eine gerechtere, integrativere und nachhaltigere Entwicklung", warnte Guterres in seiner Rede und ging auf verheerende Brände und Stürme ein, die ein neues Ausmaß erreichten.
Die Kosten klimawandelbedingter Desaster allein im Jahr 2019 betrugen 150 Milliarden US-Dollar. Und die Billionen an US-Dollar, die zur Bekämpfung der Corona-Pandemie ausgegeben werden, seien Geld, das von künftigen Generationen geliehen sei. Man dürfe diese Ressourcen nicht dafür verwenden, eine Politik festzulegen, die sie zusätzlich zu einem Schuldenberg noch dazu mit einem kaputten Planeten belastet. Es gebe "besorgniserregende Anzeichen", dass einige Länder die durch die Pandemie verursachte Krise nutzen, um den Umweltschutz zurückzufahren, während andere ihre Ausbeutung der natürlichen Ressourcen ausweiten. Auch die G20-Staaten kritisierte Guterres und bemerkte, neben Lippenbekenntnissen müssten alle einen Glaubwürdigkeitstest bestehen.
Auch mehrere Wissenschaftler und Naturschutzorganisationen zeichneten ein düsteres Bild vom aktuellen Zustand der Erde.Das Jahr 2020 dürfte nach vorläufigen Analysen der Weltwetterorganisation (WMO) eines der drei wärmsten seit Beginn der Temperaturaufzeichnungen Mitte des 19. Jahrhunderts sein. Die Weltnaturschutzorganisation (IUCN) sieht den Klimawandel nun als größte Bedrohung der Weltnaturerbestätten. Die Weltwetterorganisation teilte in dieser Woche mit, dass die Durchschnittstemperatur für Europa in den ersten zehn Monaten 2020 höher als je zuvor gewesen sei. Klar sei schon jetzt, dass die Jahre seit 2015 die sechs wärmsten seit Messbeginn seien.
Der Temperaturrekord wurde 2016 mit plus 1,2 Grad im Vergleich zum vorindustriellen Niveau erreicht. Die jetzigen Vorhersagen beziehen sich auf Messungen von Januar bis Oktober. In diesen Monaten lag die globale Durchschnittstemperatur um 1,11 bis 1,23 Grad über dem Durchschnitt der Jahre 1850 bis 1900. Dies, obwohl sich das alle paar Jahre auftretende Wetterphänomen La Niña im September entwickelte, das eigentlich mit Temperaturabkühlungen einhergeht.
Besonders drastisch waren die Messergebnisse nördlich des Polarkreises in Sibirien: Die Temperatur lag dort von Januar bis Oktober mehr als fünf Grad über dem Durchschnitt von 1981 bis 2010. Die aktuellen Berichte zeigen laut Guterres auf, "wie nahe wir der Klimakatastrophe sind". Dabei sei "alles miteinander verbunden – die globalen Gemeinschaftsgüter und das globale Wohlergehen".
"Die Natur ernährt uns, kleidet uns, löscht unseren Durst, erzeugt unseren Sauerstoff, formt unsere Kultur und unseren Glauben und schmiedet unsere eigene Identität."
Im Mai kommenden Jahres sei ein Treffen im chinesischen Kunming geplant, um einen Rahmen zum Schutz der biologischen Vielfalt und zur Eindämmung des Artensterbens zu schmieden, nachdem die Welt keines der für 2020 gesetzten globalen Ziele für die biologische Vielfalt erreicht hatte.
"Biodiversität besteht nicht nur aus einer niedlichen und charismatischen Tierwelt; sie ist das lebende, atmende Netz des Lebens", sagte Guterres und forderte größere, besser verwaltete Schutzgebiete und eine Politik, die nachhaltige Landwirtschaft und Fischerei unterstützt, anstatt zur Überausbeutung zu ermutigen. Auch andere Konferenzen seien geplant, so zum Schutz der Meere, zum nachhaltigen Verkehr, zu Lebensmittelproduktionssystemen und anderem. Diese werden eine "Fülle von Möglichkeiten bieten, die Plünderung zu stoppen und die Heilung zu beginnen", sagte er.
Da die Welt mit dieser Krise konfrontiert ist, drängte Guterres die Länder, dem Wissen indigener Gemeinschaften mehr Beachtung zu schenken, die 80 Prozent der weltweiten Biodiversität an Land verwalteten.
Und die katastrophalen Ausmaße zeigen sich offenbar nicht nur auf entfernten Kontinenten. Laut einer aktuellen Studie im Fachjournal The Lancet gibt es auch hierzulande immer mehr Hitzetote durch den Klimawandel, im weltweiten Vergleich liege Deutschland sogar weit vorne. Grund sei die Zunahme der Hitzetage pro Jahr in Kombination mit dem steigenden Bevölkerungsanteil von Menschen über 65 Jahren.
Demnach gab es im Jahr 2018 rund 20.200 Todesfälle bei über 65-Jährigen im Zusammenhang mit Hitze. Nur die zwei bevölkerungsreichsten Länder der Welt mit je rund 1,4 Milliarden Einwohnern lagen nach reinen Zahlen in dem Rechenmodell noch höher: China mit 62.000 und Indien mit 31.000 Hitzetoten. In die Kalkulation nahmen die Forscher unter anderem die tägliche Maximaltemperatur, den Anteil der über 65-Jährigen und das Sterberisiko dieser Altersgruppe durch Hitze auf.
Mit Blick auf die Mittelwerte der Vorjahre sei der Wert für Deutschland eine deutliche Steigerung. In den Jahren 2014 bis 2018 habe die Zahl der Hitzetoten nach dieser Methode hierzulande im Schnitt bei 12.080 gelegen. Und das seien bereits 3.640 Hitzetote mehr gewesen als im Durchschnitt der Jahre 2000 bis 2004. Durch Hitze könnten zudem neue Infektionen auftauchen. Dazu gehörten zum Beispiel Tropenkrankheiten, die durch bestimmte Mückenarten übertragen werden können, wenn sie in Deutschland überleben. Selbst wenn hierzulande noch keine einheimische Dengue-Fieber-Infektion registriert worden sei, gebe es im Vergleich der Zeiträume von 1950 bis 1954 und 2014 bis 2018 eine Steigerung der klimatischen Möglichkeiten dafür von fast 120 Prozent.
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