Mit dem verkündeten Sieg des Kandidaten der Demokratischen Partei um den Präsidentschaftsposten in den USA gratulierte Israels Ministerpräsident Netanjahu Joe Biden und dessen Stellvertreterin Kamala Harris zum Wahlsieg, nachdem die oppositionellen Parteien in der Knesset bereits Biden beglückwünscht hatten. Netanjahu dankte zugleich mit einem Tweet auch Donald Trump. Er lobte Trump "für die Anerkennung Jerusalems und der Golanhöhen, für die entschlossene Haltung gegenüber dem Iran, für die historischen Friedensabkommen" und dafür, dass er die Beziehungen zwischen Israel und den USA auf ein nie dagewesenes Niveau gehoben hätte.
Auch der Staatspräsident Israels Reuven Rivlin gab zeitgleich eine Erklärung ab, dass Biden die Präsidentschaft gewann. "Ich sende unserem Freund Joe Biden zu seiner Wahl zum 46. Präsidenten der Vereinigten Staaten von Amerika den Segen des israelischen Volkes und des Staates Israel."
Ich habe keinen Zweifel daran, dass unsere besonderen Beziehungen und die vielfältige Zusammenarbeit auch in Zukunft florieren und wachsen werden", erklärte er weiter.
Tatsache ist, dass Netanjahu und Rivlin etwa 12 Stunden brauchten, um sich zu Wort zu melden anlässlich des Biden-Wahlsieges, nachdem alle großen amerikanischen Netzwerke mitgeteilt hatten, dass Biden den amtierenden Präsident Trump geschlagen habe – und nachdem die meisten führenden Politiker der Welt wie Merkel, Macron und Johnson dies bereits getan hatten. Nicht zuletzt deswegen sagte Oppositionsführer Jair Lapid (Jesch Atid) am Samstagabend, es sei "feige und beschämend", dass die oberste Führung des Landes geschwiegen habe und das habe "den israelischen Interessen geschadet". Dennoch ist nicht zu ignorieren, dass Trump während seiner Amtszeit im Israel-Palästina-Konflikt viele Zugeständnisse zugunsten von Israel machte. Während Russland und China auf den Wahlsieg von Joe Biden (Stand 10.November) äußerst zurückhaltend reagierten, wurde es von Netanjahu immerhin nicht erwarten, dass er sich so schnell auf die Seite Bidens schlagen werde.
In diesem Zusammenhang machen nun Berichte die Runde, dass Joe Biden einen neuen Kurs in Bezug auf den Palästina-Israel-Konflikt im Nahen Osten fahren wolle. Trumps Strategie zielte darauf, "Friedensgespräche" zwischen Israel und arabischen Staaten anzukurbeln, ohne zuvor erst die Palästina-Frage zu lösen. Die Kandidatin der Demokratischen Partei für das Amt als Vizepräsidentin, Kamala Harris, deutete bereits im Vorfeld der Wahl an, dass die Vereinigten Staaten unter der Regierung von Joe Biden ihre Beziehungen zu den Palästinensern erneuern und sich gegen einseitige israelische Aktionen wenden würden, die eine Zwei-Staaten-Lösung untergraben. Dies bedeutet nichts anders, als dass das Friedensabkommen zwischen Israel und arabischen Staaten, das Trumps Administration initiiert hatte, wohl unter der Regierung von Joe Biden ausgesetzt würde. Vor der Wahl hatten sich die politische Führung der arabischen Golfstaaten für den Fall eines Führungswechsels im Weißen Haus besorgt gezeigt. Die Israel HaYom berichtete kurz vor der US-Wahl: Wenn der Kandidat Joe Biden der US-Demokraten in das Weiße Haus einzieht, würden viele arabische Länder, die derzeit die Möglichkeit einer Normalisierung der Beziehungen zu Israel erwägen, einen Schritt zurücktreten und das eingegangene Risiko überdenken.
Der Präsident der Palästinensischen Autonomiebehörde Mahmoud Abbas forderte mittlerweile den designierten US-Präsidenten Joe Biden auf, die Beziehungen zwischen den Palästinensern und Washington zu "stärken", welche während der Amtszeit von Präsident Trump zusammenbrachen. Ein ungenannter hochrangiger Beamter im Umfeld von Abbas soll gesagt haben, Abbas werde Joe Biden auffordern, die US-Botschaft unverzüglich von Jerusalem zurück nach Tel Aviv zu verlegen, um damit den Schritt Trumps im Jahr 2018 rückgängig zu machen. Ramallah erklärte, Palästina sei bereit, die Friedensgespräche wieder aufzunehmen, aber nur von dem Punkt aus, wo sie unter Obama gestoppt worden sei. Der Hamas-Chef Ismail Haniyya forderte zudem den designierten US-Präsidenten Joe Biden auf, den sogenannten "Deal des Jahrhunderts" auszusetzen. Nun befürchtet Israel mittlerweile ernsthaft einen Rückschlag in seinen Beziehungen zu den USA.
Die Muslimbruderschaft begrüßte das Ergebnis der US-Wahlen. Ibrahim Munir, ein Stellvertreter des Obersten Führers der Bewegung, gab eine Erklärung ab, Bidens Sieg beweise, dass das amerikanische Volk noch immer imstande sei, seinen Willen durchzusetzen.
Bei dieser Gelegenheit fordern wir die neue amerikanische Regierung auf, frühere Richtlinien zur Unterstützung von Diktaturen auf der ganzen Welt zu überdenken. Wir bitten die Biden-Regierung, die Verbrechen und Verstöße tyrannischer Regimes gegen die Rechte der Völker zurückzuweisen", hieß es in der Erklärung.
Mit dem "tyrannischen Regime" deutet Muslimbrüderschaft in ihrer Erklärung auf die ultrakonservativen arabischen Golfmonarchien im Nahen Osten, mit denen Trump gute Beziehungen pflegt. Die Vereinigten Arabischen Emirate und Bahrain, ebenso die Regionalmacht Saudi-Arabien sind der Muslimbrüderschaft gegenüber feindlich eingestellt. Es gelang Israel in den letzten Jahren, mit den Golfstaaten seine politische Beziehung auszubauen, weil "Menschenrechte und Demokratie" der liberalen Weltordnung beim Konzept von Trump für Nahen Osten keine Rolle spielten. Trump erklärte seinerzeit, dass er den saudischen Kronprinzen Mohammed bin Salman nach dem grausamen Mord am Journalisten Jamal Khashoggi im Oktober 2018 "den Arsch gerettet" habe. Saudi-Arabien hatte sogar noch kurz vor der US-Wahl signalisiert, seine Beziehungen zu Israel normalisieren zu wollen. Dennoch wollten die Saudis kein Risiko eingehen und erst einmal auf den Ausgang der US-Wahl warten.
Der frühere Geheimdienstchef von Saudi-Arabien, Turki ibn Faisal, ist dennoch der Meinung, dass Biden die "pro-israelischen" Schritte der Trump-Regierung durch die Anerkennung Jerusalems als Israels Hauptstadt und die Duldung der israelischen Souveränität über die (besetzten) Golanhöhen nicht rückgängig machen würde.
Ich denke, Herr Biden als Präsident wird sich nicht von dem zurückziehen, wohin Herr Trump Amerika gebracht hat – weder aus Jerusalem, von den Golanhöhen noch vom sogenannten Abraham-Abkommen", sagte Faisal.
Joe Biden war bekanntlich von 2009 bis 2017 Vizepräsident der USA unter Barack Obama. Letzterer war Netanjahu in herzlicher Abneigung verbunden, bis hin zum offenen Streit. Und Streit scheint nun erneut vorprogrammiert: Mit dem Wahlsieg Bidens ist Trumps "Deal des Jahrhunderts" vom Tisch, der es Israel erlaubte, Teile des Westjordanlandes und den Ostteil Jerusalems offiziell in sein Staatsgebiet einzugliedern. Dennoch sollte dabei nicht vergessen werden, dass Biden im Einklang mit der jahrzehntelangen US-Politik ein lautstarker Unterstützer Israels ist. Er besuchte Israel 1973, nur wenige Monate nach seiner ersten Wahl in den US-Senat. In einer Rede von 2015 erklärte Biden als Vizepräsident von Barack Obama, die Vereinigten Staaten seien mit einem "heiligen Versprechen zum Schutz der Heimat des jüdischen Volkes" beauftragt. Nicht zuletzt deswegen könnte Trumps Deal des Jahrhunderts zwar teils vonseiten der USA unter einer Biden-Regierung kritisiert werden, aber die Weichenstellungen, die längst in Richtung der Legalisierung des "völkerrechtswidrigen Landraubs" gestellt worden sind, werden gewiss nicht rückgängig gemacht.
Mehr zum Thema - Wechsel im Weißen Haus: Aus dem Westen nichts Neues für Nahost