Unter der Glocke der "Corona-Pandemie" geraten etliche, auch außenpolitische, Themen und Konflikte in den Hintergrund. Beim Jemen-Krieg verhält es sich anders. Er spielte schon zuvor nie eine große Rolle in den Leitmedien und bei politischen Sonntagsreden über das außenpolitische Einstehen für "Menschenrechte".
Seit fünf Jahren führt für eine vom steinreichen Saudi-Arabien und von Vertretern der westlichen Wertegemeinschaft wie den USA und Großbritannien angeführte Militärkoalition nun schon Krieg gegen die sogenannten und angeblich vom Iran unterstützten Huthi-Rebellen im bettelarmen Jemen. Bis heute vermochte es die Militärmaschinerie, die auch auf deutsche Wertarbeit bei ihren Einsätzen vertrauen kann, nicht, die "moderaten Rebellen" in die Knie zu zwingen.
Dafür wuchs sich der Krieg zu der größten humanitären Katastrophe der Neuzeit aus. Nach UN-Angaben leidet der Jemen unter der schwersten Hungersnot seit mehr als 100 Jahren. 22,2 Millionen Jemeniten sind dringend auf Nahrungsmittelhilfe angewiesen. Unter diesen sind 8,4 Millionen von schwerem Hunger bedroht. Das entspricht insgesamt etwa 80 Prozent der jemenitischen Bevölkerung. Aufgrund der internationalen Ignoranz gegenüber der katastrophalen Situation im Land an der Südspitze der arabischen Halbinsel macht es durchaus Sinn, von einer "Pandemie der Straflosigkeit" zu sprechen. Dies tat zuletzt Kamel Jendoubi, Vorsitzender einer UN-Expertengruppe für den Jemen.
Letztes Jahr haben wir davon gesprochen, dass die Situation im Jemen eine 'surreale und absurde' Dimension erreicht hat. Die Situation hat sich (seither) nicht verbessert. Die anhaltenden Menschenrechtsverletzungen in diesem Jahr unterstreichen den völligen Mangel an Respekt vor dem Völkerrecht, den die Konfliktparteien an den Tag legen. Für zu viele Menschen im Jemen gibt es einfach keinen sicheren Ort, um den Verwüstungen des Krieges zu entkommen", erklärte Jendoubi.
Im dritten Bericht der Expertengruppe, der am Dienstag offiziell dem UN-Menschenrechtsrat vorgelegt wurde, werden detailliert schwerwiegende Verstöße gegen die internationalen Menschenrechtsnormen und das humanitäre Völkerrecht aufgeführt. So etwa wahllose Luftangriffe, die Rekrutierung und der Einsatz von Kindersoldaten und illegale Hinrichtungen. Weitere Verstöße sind die Anwendung von Folter, einschließlich sexueller Gewalt, die Verweigerung des Rechts auf ein faires Verfahren, die gezielte Verfolgung marginalisierter Gemeinschaften sowie die Behinderung humanitärer Operationen. Des Weiteren kritisierten die Experten die endemische Straflosigkeit für genannte Verstöße an, die zu weiteren Menschenrechtsverletzungen führten.
In Bezug auf das laufende Jahr hat sich die Situation vor Ort alles andere als verbessert:
Unsere Untersuchungen in diesem Jahr haben das grassierende Ausmaß schwerer Verstöße gegen die internationalen Menschenrechte und das humanitäre Völkerrecht bestätigt, von denen viele auf Kriegsverbrechen hinauslaufen können", fügte Jendoubi in seinen Bemerkungen vor dem Rat hinzu", heißt es im aktuellen Bericht des Expertengremiums.
Dabei legen die UN-Fachleute Wert auf die Feststellung, dass alle Seiten des Krieges im Kampf David gegen Goliath sich schwerer Menschenrechtsvergehen schuldig gemacht hätten. Nach Angaben des Armed Conflict Location and Event Data Project (ACLED), einer gemeinnützigen Konfliktforschungsorganisation, kostete der von den Saudis begonnene Krieg bisher rund 127.000 Jemeniten das Leben. 13.500 Zivilisten wurden Opfer gezielter Luftangriffe.
Nun fordert die Expertengruppe, dass sich der Internationale Strafgerichtshof mit der Situation im Jemen befasst und die Liste der Personen, die Sanktionen des Sicherheitsrates unterliegen, erweitert.
Die Gruppe setzte sich auch für die Schaffung eines internationalen Ermittlungsmechanismus der Strafgerichtsbarkeit sowie für weitere Diskussionen über die Möglichkeit eines Sondergerichtshofs ein, der sich mit den während des Konflikts im Jemen begangenen internationalen Verbrechen befassen soll.
Derweil gab die saudische Regierung nach fünf Jahren des rücksichtslosen Luftkriegs bekannt, dass man gewillt sei, dem verwüsteten Jemen Hilfe im Wert von 204 Millionen US-Dollar zur Verfügung zu stellen. Den Krieg beenden, um dadurch auf die wohl wirksamste Weise das Leiden der Bevölkerung zu lindern, kommt für Riad offensichtlich nicht in Frage, kann es doch auch auf die unerschütterliche "Freundschaft" zu Staaten wie den USA und Großbritannien vertrauen.
Die Zahl der zivilen Todesopfer des katastrophalen Luftkriegs Saudi-Arabiens gegen den Jemen stieg 2016 stetig an, als die Rechtsabteilung des Außenministeriums während der Obama-Administration zu einem erschreckenden Schluss kam: Hochrangige amerikanische Beamte könnten wegen der Genehmigung von Bombenverkäufen an die Saudis und ihre Partner wegen Kriegsverbrechen angeklagt werden", heißt es dazu bei den New York Times.
Seitdem goss Washington allerdings noch mehr Öl ins Feuer.
Vier Jahre später sagen mehr als ein Dutzend gegenwärtiger und ehemaliger US-Beamter, die rechtlichen Risiken seien nur noch größer geworden, da Präsident Trump den Waffenverkauf in Saudi-Arabien, den Vereinigten Arabischen Emiraten und anderen Nahost-Nationen zu einem Eckpfeiler seiner Außenpolitik gemacht habe.
Um möglichen Anklagen gegen Kriegsverbrechen vor dem Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag (IStGH) zu entgehen, der länger gewillt ist, lediglich afrikanische "Warlords" zu verfolgen, greift die US-Administration nun auf die bereits wohl bekannten Maßnahmen zurück: Sanktionen
So wurden Anfang September die IStGH -Chefanklägerin und Phakiso Mochochoko, der Abteilungsleiter für Justizbeziehungen und Zusammenarbeit des Gerichts, mit Einreisesperren in die USA belegt. Ihr Eigentum, soweit die USA darauf Zugriff haben, wurde eingefroren. US-Außenminister Mike Pompeo erweiterte das beispiellose Vorgehen, um die Drohung, dass jeder der den Sanktionierten helfe, ebenfalls mit dem Zorn Washingtons zu rechnen habe und bestraft werde.
Seit Jahren versuchen die US-Regierungen, mit Einschüchterungen und groben Pöbeleien zu verhindern, dass der Internationale Strafgerichtshof gegen US-Soldaten und CIA-Agenten sowie deren Auftraggeber ermittelt, die zum Beispiel schwerer Kriegsverbrechen in Afghanistan verdächtig sind. Nun könnte den USA aufgrund ihrer unmittelbaren Beteiligung an Kriegsverbrechen im Jemen weiteres Ungemach drohen.
Doch auch die britische Regierung ist Konfliktpartei im Jemenkrieg. Eine Sprecherin der britischen Regierung wurde zuletzt mit folgenden Worten zitiert:
Das Vereinigte Königreich ist zutiefst besorgt über den anhaltenden Konflikt und die humanitäre Krise im Jemen. Wir unterstützen den Friedensprozess unter der Leitung des UN-Sondergesandten Martin Griffiths voll und ganz und fordern die Parteien auf, sich konstruktiv an diesem Prozess zu beteiligen.
Und weiter:
Die Regierung nimmt ihre Exportverantwortung ernst und bewertet alle Exportlizenzen nach strengen Genehmigungskriterien. Wir werden keine Exportlizenzen erteilen, wo dies mit diesen Kriterien unvereinbar wäre.
Derweil erklärte Ali Jameel, ein Mitarbeiter der Menschenrechtsorganisation Mwatana For Human Rights:
Menschen, die im Vereinigten Königreich Verantwortung tragen und dies [das Töten unschuldiger Zivilisten, Anm. d. Red.] hätten verhindern können, es aber nicht getan haben, sollten ihre Verantwortung übernehmen und vor einem Gericht stehen, direkt neben den Opfern, die verletzt oder getötet wurden.
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