Dass die Vereinigten Staaten von Amerika auf dem internationalen Parkett stets ihre Interessen durchsetzen wollen, ist weder neu noch falsch. Jeder Staat versucht das. Es liegt an den Diplomaten, die Ziele ihrer Regierung in Verhandlungen mit ihren Berufskollegen zu erreichen, was von der Kompromissbereitschaft auf beiden Seiten abhängt. Dass meistens der schwächere Staat dabei zu mehr Zugeständnissen bereit ist, liegt in der Natur der Sache, nur verpackt man das gewöhnlich in blumiger Sprache bei freundlichen Presseauftritten.
Bei erheblichen Unstimmigkeiten zwischen zwei Ländern ist die Ausgangslage zwar eine andere, aber trotzdem versuchen beide Parteien selbst dann – so gut es möglich ist – zumindest in der Öffentlichkeit ihre Emotionen unter Kontrolle zu halten und der anderen Seite die Möglichkeit zu lassen, das Gesicht zu wahren. Dass es hinter den verschlossenen Türen durchaus hitzig zur Sache geht und Worte fallen können, die ein erfahrener Diplomat öffentlich kaum aussprechen würde, dürfte ebenfalls auf der Hand liegen.
Noch nie zuvor hat es einen US-Präsidenten wie Donald Trump gegeben, der Erklärungen abgibt, ohne dass diese vorher von seinem Stab vorbereitet wurden. Über Twitter kommuniziert er täglich mit seinen Anhängern und Gegnern gleichermaßen und schreibt, was er gerade denkt. Rücksicht auf andere zu nehmen, kennt er dabei nicht. Diese Einstellung hat sich mit der Ernennung von Mike Pompeo zum Chefdiplomaten auch bis ins Außenministerium verbreitet. Pompeo, ein religiöser Fundamentalist, der auf die biblische Entrückung hinarbeitet, wie er selbst einmal bei einem Auftritt anlässlich der "God and Country Rally" 2015 sagte, unterteilt die Welt in Gut und Böse. Dabei ist es selbstredend, dass die USA die Guten sind, "a Force for Good".
Zu den "Bösen" zählen für Pompeo an prominenter Stelle der Iran und – spätestens seit dem Corona-Ausbruch – auch China.
Solche Attacken des US-Außenministers wurden von China anfänglich hingenommen, die Vorwürfe aus Washington lediglich zurückgewiesen. Seit einigen Wochen hat sich aber auch in Peking die Haltung gewandelt. Die ansonsten traditionelle Zurückhaltung der chinesischen Diplomatie musste medialen Vergeltungsschlägen weichen. Holte Pompeo mit Anschuldigungen wegen Hongkong oder Xinjiang aus, hielt die Sprecherin des chinesischen Außenministeriums dem US-Chefdiplomaten einen Spiegel mit den US-amerikanischen Verbrechen vors Gesicht.
Bis vor wenigen Monaten wäre das noch undenkbar gewesen. Eine mögliche Erklärung für diese veränderte Haltung bot Chinas Außenminister Wang Yi, als er mit seinem russischen Amtskollegen Sergei Lawrow am Freitag telefonierte. Dabei beschwerte er sich über die Unberechenbarkeit der US-Regierung, die "Egoismus, Unilateralismus und Schikane bis ans Limit geschoben" hat.
Die USA haben zu extremen Maßnahmen gegriffen und selbst Hotspots und Konfrontationen in internationalen Beziehungen geschaffen, haben ihren Verstand, ihre Moral und Glaubwürdigkeit verloren.
Eine "Großmacht sollte nicht so sein", meinte Wang weiter. Washington habe den "berüchtigten McCarthyismus und die veraltete Mentalität des Kalten Krieges" aufgegriffen. Dass das Außenministerium in Peking den Wortlaut des Telefongesprächs veröffentlichen ließ, sei eine seltene Maßnahme gewesen, wie die South China Morning Post feststellte, die das Transkript auf Englisch veröffentlichte. Demnach habe auch Lawrow angemerkt, dass die USA "ihre Verkleidung fallengelassen" und ihr wahres Gesicht gezeigt haben. Beide Außenminister seien sich einig, dass man mit anderen Ländern zusammenarbeiten sollte, um sich den "Taten zu widersetzen, die die internationale Ordnung zerstören" und um gemeinsam den Weltfrieden zu wahren.
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