Dass es mit dem moralischen Dünkel, der die Menschenrechte in transatlantischen Sonntagsreden umweht, nicht allzu weit her ist, dürfte dem einen oder anderen bereits aufgefallen sein. Zu offensichtlich ist die selektive Auswahl derjenigen Staatsoberhäupter und Regierungen, denen entsprechende Verfehlungen angelastet werden – mit allzu oft katastrophalen Konsequenzen für das betroffene Land und dessen Bevölkerung.
Jetzt griff auch US-Außenminister Michael Pompeo das Thema erneut auf und ging dabei auf seine ganz eigene Art in Tiefe. Zunächst plädierte er Ende vergangener Woche "für eine begrenztere Sicht der USA auf die globale Verteidigung der Menschenrechte". Dies solle demnach "auf der Grundlage der von den Gründervätern Amerikas dargelegten Prinzipien" geschehen. Erste Kritiker richteten ihren Blick jedoch nicht auf die geopolitische Dimension von Pompeos Äußerungen. Vielmehr wurde beklagt, dass dessen Überlegungen eine Abkehr "von modernen Konzepten wie der Unterstützung von Frauen und der LGBT-Gemeinschaften auf der ganzen Welt" bedeuten würden.
Während einer Rede in der US-Metropole Philadelphia präsentierte Pompeo die Ergebnisse eines Berichts in Sachen Menschenrechte – während er die "Verbreitung von Schutzmaßnahmen in internationalen Menschenrechtsabkommen" beklagte. Explizit schützenswert seien laut Pompeo insbesondere "Eigentumsrechte" und "religiöse Freiheit" als "oberste Prinzipien".
Wir sind gezwungen, uns mit schwierigen Entscheidungen darüber auseinanderzusetzen, welche Rechte wir fördern und wie wir darüber denken sollen. Die Amerikaner haben nicht nur unveräußerliche Rechte, sondern auch positive Rechte, die von Regierungen, Gerichten und multilateralen Gremien gewährt werden. Viele von ihnen sind es wert, angesichts unserer Gründung verteidigt zu werden; andere sind es nicht", erklärte Pompeo.
Die Einlassungen des US-Außenministers basieren auf den Ergebnissen der sogenannten Kommission für unveräußerliche Rechte, die er im vergangenen Jahr einrichten ließ. Im Bericht des Gremiums heißt es, wie Pompeo bereits 2019 feststellte, "dass es an der Zeit sei, die Rolle der Menschenrechte in einer Außenpolitik, die den amerikanischen Interessen dient, die amerikanischen Ideale widerspiegelt und die internationalen Verpflichtungen der Vereinigten Staaten erfüllt, einer fundierten Überprüfung zu unterziehen."
Bei der Kommission für unveräußerliche Rechte handelt es sich – laut dem US-Außenministerium – um ein "unabhängiges, unparteiisches Beratungsgremium", basierend auf dem Federal Advisory Committee Act von 1972.
Im Bericht selbst heißt es:
Kurz gesagt, die Menschenrechte werden heute von vielen missverstanden, von einigen manipuliert, von den schlimmsten Menschenrechtsverletzern der Welt abgelehnt und sind gefährlichen neuen Bedrohungen ausgesetzt.
Zu den von ihm genannten Prioritäten der US-Menschenrechtspolitik weiß Pompeo in Philadelphia Folgendes zu sagen:
Niemand kann das Streben nach Glück genießen, wenn man die Früchte seiner eigenen Arbeit nicht besitzen kann. Und keine Gesellschaft kann ihre Legitimität oder ihren tugendhaften Charakter ohne Religionsfreiheit bewahren.
In dem Bericht des US-Außenministeriums kommen China und Russland besonders schlecht weg. In letzterem Fall hätten sich nach der Öffnung des sogenannten Eisernen Vorhangs alle Hoffnungen zerschlagen, dass Russland sich zu einem "liberalen und demokratischen Land mit Respekt für die Menschenrechte entwickeln" würde. Auch im Falle Chinas hätten sich die Hoffnungen, dass das Land "als verantwortungsbewusster Akteur innerhalb der internationalen Ordnung (...) Respekt für Rechte und Demokratie entwickeln würde, als Illusion erwiesen."
Sie [Russland und China, Anm. d. Red.] versuchen auch aktiv, ihre despotischen politischen Modelle international zu fördern", heißt es im Bericht.
Derweil äußerten etwa US-Senatoren wie Bob Menendez Kritik am Bericht des US-Außenministeriums. Das ranghöchste Mitglied des Senatsausschusses für auswärtige Beziehungen vertrat die Ansicht, dass der Bericht "dem Ruf der Vereinigten Staaten als Vorkämpfer für Menschenrechte in der ganzen Welt schaden" würde, da er "den Kreis der Schutzbedürftigen" einenge.
Wie befürchtet nutzte Minister Pompeo seine Rede, um eine Hierarchie der Rechte zu behaupten, in der Eigentumsrechte und Religionsfreiheit 'an erster Stelle' stehen und einige Rechte nicht 'verteidigungswürdig' sind", erklärte der US-Demokrat.
Wobei laut Beobachtern bei der internationalen Interpretation des Themas US-"Eigentumsrechte" gemeinhin politischer Konsens zwischen "Demokraten und "Republikanern" herrscht. Auch das Thema "Religionsfreiheit" wirft demnach einige Fragen auf.
David Stacy, Direktor für Regierungsangelegenheiten der sogenannten Menschenrechtskampagne, legt sein Augenmerk vor allem auf die Rechte der LGBT-Gemeinschaft.
Wie von Anfang an klar war, forderte die Kommission für unveräußerliche Rechte von Minister Pompeo den internationalen Konsens mit einer engstirnigen Sichtweise der Menschenrechte heraus, die unter anderem die LGBTQ-Menschen noch anfälliger für Gewalt und Diskriminierung machen würde", so Stacy.
Pompeo möchte den Bericht seines Ministeriums jedoch vor allem als Reflexion über die eigenen "Herausforderungen" beim Thema Menschenrechte verstanden wissen. Doch eines steht dabei fest: Die Vereinigten Staaten sind und bleiben für sich und die Weltgemeinschaft ein leuchtendes Vorbild.
Amerika ist grundsätzlich gut und hat der Welt viel zu bieten, weil unsere Gründer die Existenz von gottgegebenen unveräußerlichen Rechten erkannt und ein dauerhaftes System zu deren Schutz entworfen haben", weiß der US-Außenminister zu berichten.
Dass diese vermeintlich "unveräußerlichen Rechte" von Anbeginn weder für die amerikanischen Ureinwohner noch für Afroamerikaner oder Latinos galten und gelten, kann Pompeo nicht beirren.
Aber heutzutage muss ich sagen, dass selbst die Aussage, Amerika sei grundsätzlich gut, umstritten ist", ergänzt der ehemalige CIA-Direktor.
Warum viele Menschen weltweit die US-Außenpolitik und die der transatlantischen Gemeinschaft – nicht erst seit Donald Trump – äußerst kritisch verfolgen, ist für den US-Außenminister ganz offensichtlich ohnehin nicht nachvollziehbar.
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