Sowohl in den USA als auch im Iran brannten innerhalb von 72 Stunden Schiffe, deren Brandursachen noch unbekannt sind. Angesichts des Schattenkrieges, den sich beide Länder seit dem Mord an dem iranischen Generalmajor Qassem Soleimani Anfang des Jahres in Bagdad verstärkt liefern, wurden umgehend Spekulationen laut, dass auch diese beiden Ereignisse miteinander in Verbindung stehen könnten. Von Zufällen mag angesichts der Vorfälle seit Ende Juni niemand mehr sprechen, nachdem es in verschiedenen iranischen Städten zu gewaltigen Explosionen gekommen war.
Tatsächlich fürchteten US-Behörden, dass Präsident Donald Trump mit der Ermordung Soleimanis eine Grenze überschritten hat, wie Dokumente aus den sogenannten BlueLeaks nahelegen. Noch am Tag des Drohnenangriffs in der irakischen Hauptstadt am 3. Januar schrieb das Joint Regional Intelligence Center (JRIC) von Kalifornien in einem Memo:
Historisch gesehen, fand (die) Vergeltung durch den Iran und seine Stellvertreter an Orten von 'Drittparteien' statt, und nicht auf US-Boden. Doch die Signifikanz von Soleimanis Tod ist so (groß), dass das JRIC das Potenzial für Angriffe auf das Heimatland nicht ausschließen kann.
Wichtig in diesem Zusammenhang ist auch die Tatsache, dass das JRIC von "Vergeltung" seitens des Iran spricht, dass also zuvor stets eine Aktion gegen den Iran stattfand, die dann erst Vergeltungsmaßnahmen nach sich zog. In der Tat reagierte Teheran nach Soleimanis Tod mit einem ballistischen Raketenangriff auf zwei von den USA genutzte Militärstützpunkte im Irak.
Die weiteren fünf Monate vergingen mit Provokationen im und über dem Persischen Golf, ohne dass es jedoch zu ernsthaften Zwischenfällen gekommen war. Dies sollte sich ändern, als in der Nacht des 26. Juni eine mysteriöse Explosionsserie im Iran begann. In einer der wichtigsten militärischen Anlagen von Partschin bei Teheran führte angeblich ein Gasleck zu einer gewaltigen Explosion. Seitdem folgten ein Krankenhaus, Kraftwerke, petrochemische Anlagen, Raketenlager und ein Gebäude der Atomanlage von Natanz. Die sieben Schiffe im Hafen der südiranischen Stadt Buschehr sind nur die letzten, die es in der plötzlichen Serie von Zwischenfällen erwischt hat.
Spätestens seit der Explosion in Natanz bringt man sowohl die USA als auch Israel in Verbindung mit den mutmaßlichen Angriffen. Obwohl die Regierung in Teheran bisher keine offizielle Anschuldigung in Richtung Washington oder Jerusalem geäußert hat, zeigten sich andere nicht so zögerlich. Cyberangriffe gelten als mögliche Ursache in mindestens einem Fall, allerdings gibt es dafür zumindest bis zum gegenwärtigen Zeitpunkt keine Belege. Zwar streiten weder die USA noch Israel ab, involviert zu sein, doch auch das kann als Teil der psychologischen Kriegsführung betrachtet werden, um das Bild von omnipotenten Geheimdiensten aufrechtzuerhalten, die jederzeit und allerorts zuschlagen können.
Laut Angaben von ehemaligen US-Regierungsbeamten hat Präsident Trump bereits im Jahr 2018 dem Auslandsgeheimdienst CIA deutlich größere Befugnisse erteilt, als es unter der Regierung von Barack Obama der Fall war. Das wurde seinerzeit auch von John Bolton, dem damaligen Nationalen Sicherheitsberater, bestätigt. So soll die CIA per präsidialem Erlass ermächtigt worden sein, "den Kampf offensiv auf eine Handvoll gegnerischer Länder" auszuweiten. Dazu zählen insbesondere China, der Iran, Nordkorea und Russland, die laut den Ex-Regierungsbeamten explizit in dem Dokument erwähnt wurden.
Das Ziel sei nicht nur Informationsgewinnung durch Hacken gewesen, sondern tatsächlich offensive Cyberkriegsführung, um für Zerstörung in den angegriffenen Infrastrukturen zu sorgen. Trump habe außerdem die zuvor noch geltenden Beschränkungen zurückgenommen, wie beispielsweise Angriffe auf Banken und andere weiche Ziele. Während man unter Obama "Jahre aufgewendet hat", um zu beweisen, dass dieses oder jenes auf die iranische Regierung zurückzuführen war, reicht es heute bereits aus, wenn man "zeigen kann, dass es vage" danach aussieht.
So habe die CIA keine Zeit verschwendet und seit 2018 mindestens ein Dutzend Operationen gegen den Iran durchgeführt, heißt es weiter. Man habe eine "Kombination von zerstörerischen Dingen" ausgeführt, "Dinge brennen und explodieren". Ob das eine Anspielung auf die Explosionen der vergangenen drei Wochen war, ist nicht klar.
Was diese namentlich nicht genannten ehemaligen Regierungsbeamte behaupten, bestätigte auch Bolton in seinem neuen Buch. Man habe die Einschränkungen der Obama-Zeit "ausrangieren" und die "geheimen Möglichkeiten" der Regierung im Cyberraum verstärken müssen, schreibt er darin.
Das eigentliche Ziel der Geheimoperationen war ursprünglich das Aufhalten des iranischen Atomprogramms. Es sei nie explizit festgehalten gewesen, dass ein Regimewechsel in Teheran verfolgt wird. Doch durch die Ausweitung der CIA-Befugnisse sei es offensichtlich geworden, dass eine "Destabilisierung des Iran der Plan war", der zwar – vermeintlich – erwünscht gewesen sei, aber nicht niedergeschrieben war. Eine große Rolle in dieser Entwicklung habe John Bolton selbst gespielt, der nach den Erfahrungen des Stuxnet-Angriffs einen "anderen Hammer" haben wollte. Wenn man schon keinen richtigen Krieg gegen den Iran führen könne, so sei eine Destabilisierung des Landes "funktionell das Gleiche wie ein Regimewechsel", nur mit dem zusätzlichen Faktor der "Bestreitbarkeit".
Gegner dieser Entwicklung befürchten aber genau das: dass der Schattenkrieg zwischen den USA und dem Iran aufgrund dieser geheimen Kampagne offen ausbricht. Obwohl die US-Armee über eine überwältigende Feuerkraft verfügt und den iranischen Streitkräften diesbezüglich absolut überlegen ist, zeigen sowohl die Kriegssimulationen, aber auch die Erfahrungen aus Afghanistan und dem Irak, dass Washington diesen Krieg nicht gewinnen könnte. Außerdem haben die Iraner eigene Möglichkeiten, um durchaus schmerzhafte Operationen mit "glaubwürdiger Bestreitbarkeit" gegen die USA auszuführen. Wie schon das Memo des JRIC vom 3. Januar festhielt, sind es Vergeltungsschläge, die aufgrund von Angriffen der USA oder Israels erfolgen.
Der Nachfolger des getöteten Qassem Soleimani als Chef der Quds-Einheit der Revolutionsgarde, Brigadegeneral Esmail Ghaani, sagte nach dem Brand auf der "USS Bonhomme Richard", dass "dieser Vorfall eine Antwort auf eure Verbrechen ist, die von Händen eurer eigenen Elemente gekommen" sei. Gleichzeitig warnte er vor "sehr harten Tagen und schweren Vorfällen", die den USA und Israel noch bevorstehen würden.
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