In einem Interview mit dem Middle East Forum Radio sprach der Diplomat mit langjährigen Erfahrungen zu China und bei der NATO darüber, welche Absichten die Türkei verfolgen könnte. Er selbst war von 2000 bis 2003 als Botschafter in Ankara und wurde anschließend Personalverantwortlicher für alle Diplomaten des US-Außenministeriums.
Die Türkei habe in den vergangenen Jahren unter der Führung von Präsident Recep Tayyip Erdoğan ihr außenpolitisches Engagement deutlich ausgeweitet, und zwar nicht nur im kulturell-religiösen Bereich durch die zahlreichen Stiftungen und Organisationen, sondern auch militärisch. So sei die Türkei das einzige Land, das "eine militärische Präsenz an jedem wichtigen Wasserweg im Mittleren Osten" zeigt, meinte Pearson. Damit sprach er die Stützpunkte in Somalia am Roten Meer und in Katar am Persischen Golf an, die seit 2017 errichtet wurden.
Erst am Dienstag wurde der Stützpunkt Camp TURKSOM in Mogadischu Ziel eines Selbstmordanschlags, bei dem zwei Menschen ums Leben kamen. Es wird vermutet, dass die radikalislamische al-Shabaab hinter dem Anschlag steckt, da sie seit Jahren ihr Unwesen in dem bitterarmen Land treibt.
Seit Anfang des Jahres ist die Türkei auch in Libyen militärisch aktiv. An der Seite der von den Vereinten Nationen anerkannten Einheitsregierung von Ministerpräsident Fayiz as-Sarradsch kämpfen bis zu 10.000 Dschihadisten aus Syrien, die sich als türkische Söldner verdingt haben. Aber auch eigene Soldaten, vor allem Offiziere, Minenräumexperten und Drohnenpiloten, lässt Ankara an Kampfhandlungen gegen die sogenannte Libysche Nationale Armee (LNA) des Generals Chalifa Haftar teilnehmen.
Gemeinsam haben sie es geschafft, Haftars Offensive gegen die Hauptstadt Tripolis zu stoppen und fügten dessen Kräften in der Folge schwere Niederlagen zu.
Was sich in Libyen abspiele, sei nicht nur ein Stellvertreterkrieg von verschiedenen Ländern, sondern auch ein ideologischer Konflikt:
Auf einer Ebene ist es ein Spiel der Großmächte: Türkei, Russland, Europa, die Vereinigten Staaten. Und auf der anderen Ebene ist es ein ideologisches Spiel, weil Ägypten (und die) Vereinigten Arabischen Emirate die Opposition gegen die Muslimbruderschaft unterstützen, während Katar, ein starker Alliierter der Regierung in Tripolis, und die Türkei Vertreter der Muslimbruderschaft-Theologie sind. Es ist deshalb ein nahöstlicher Konflikt um Ideologie auf einer Ebene und ein Großmachtkonflikt über Ressourcen auf der anderen.
Doch Pearson macht sich weniger Sorgen darum, dass Erdoğan in Libyen seine Ziele durchsetzen kann. Die Aussicht, dass er "zu weit" gehen und Russland – das Haftar unterstützt – dazu verleiten könnte, einen eigenen militärischen Stützpunkt in dem ölreichen Land aufzubauen, sei für ihn viel schlimmer. Das sei "etwas, was wir Amerikaner ganz sicher nicht unterstützen oder wollen."
Deshalb sollten die USA und die Europäer, die bisher laut Pearson lediglich "passive Spieler" waren, wieder "etwas an Einfluss" zurückgewinnen und der Türkei klarmachen, dass man gegen die "Kontrolle über wirtschaftliche Ressourcen und aggressive politische Kampagnen" Ankaras im Mittleren Osten sei.
Er meinte, dass er die türkische Politik durchaus verstehe, und auch, dass sie von vielen Türken unterstützt werde. Es gebe "viel Zuspruch für eine Art Groß-Türkei – eine 'neue Türkei', wie das allgemein bezeichnet wird –, die eine große Rolle im Mittleren Osten und in der Welt spielt". Aber die Vergangenheit habe gezeigt, dass man in Ankara "nicht sehr erfolgreich mit den außenpolitischen Ausflügen" gewesen sei. Und es gebe durchaus politische Risiken für Erdoğan, meinte Pearson:
Wenn du in einem Krieg involviert bist, musst du gewinnen oder du verlierst nationales Prestige.
In Libyen aber dürfe es keinen Sieg der Türkei geben, meinte der ehemalige US-Botschafter. Deshalb sei es wichtig, dass die USA zusammen mit der EU oder der NATO politisch eingreifen, um allen Beteiligten klarzumachen, dass es nur eine politische Lösung geben könne. Und es dürfe auf gar keinen Fall eine "prominente russische Präsenz" in dem nordafrikanischen Land geben, betonte er erneut. Mit den mindestens 29 US-Stützpunkten in 15 verschiedenen afrikanischen Staaten scheint Pearson hingegen keine Probleme zu haben.
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