Die USA wollen Mitarbeiter des Internationalen Strafgerichtshofs in Den Haag bei Ermittlungen gegen US-Sicherheitskräfte mit Sanktionen bestrafen. Präsident Donald Trump genehmigte am Donnerstag eine Verfügung, wonach unter anderem deren Besitz in den Vereinigten Staaten eingefroren werden kann. Außerdem genehmigte Trump laut dem Weißen Haus auch eine Ausweitung von Visabeschränkungen gegen Mitarbeiter des Strafgerichtshofs und deren Angehörige. Andere Nationen kritisierten Washington dafür.
Insbesondere US-Außenminister und Ex-CIA-Chef Mike Pompeo hatte sich seit der Ankündigung des Strafgerichtshofs über die möglichen Untersuchungen von Kriegsverbrechen in Afghanistan empört, bei denen auch die Aktionen von US-Geheimdiensten in den Fokus geraten könnten. Wohl um die aktuelle Politik gegen die internationale Organisation zu rechtfertigen, warnte er:
Wir können und wollen nicht dabei zusehen, wie unsere Leute von einem korrupten Gericht bedroht werden.
Strafgerichtshof als Bedrohung für die nationale Sicherheit
Laut dem Weißen Haus stellen die Handlungen des Gerichts einen Angriff auf die Rechte der Amerikaner dar und bedrohten gar die nationale Sicherheit. Die USA würden daher – wie immer im Falle der vermeintlich bedrohten nationalen Sicherheit – jede notwendige Maßnahme ergreifen, um Bürger und Verbündete vor ungerechtfertigter Verfolgung zu schützen.
Allerdings zeigen aktuelle Berichte erneut, dass es keinen Mangel an gerechtfertigtem Anlass zur Untersuchung durch das Gericht gibt, das Kriegsverbrechen, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Völkermord untersucht.
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Erst Anfang Juni veröffentlichte das unabhängige Bureau of Investigative Journalism (TBIJ) einen Artikel, wonach allein in den vergangenen zwei Jahren des US-Kriegs in Afghanistan bei nur zehn Luftangriffen 115 Zivilisten ums Leben kamen, darunter mehr als 70 Kinder.
Dabei sind diese vom US-Militär und der von den USA unterstützten afghanischen Luftwaffe durchgeführten Anschläge gerade einmal ein Bruchteil der gesamten Bombenangriffe in diesem Zeitraum zwischen 2018 und 2019. Einige der Opfer unter der Zivilbevölkerung hatte das US-Militär nicht aufgeführt.
Bei sechs der Angriffe beruft sich das US-Militär auf Selbstverteidigung, in vier Fällen gab es dem TBIJ zufolge keine Erklärung. Die Untersuchung erfolgte in Zusammenarbeit mit dem Sender Al Jazeera, dessen Mitarbeiter vor Ort Betroffene interviewten und dabei erfuhren, dass die Luftangriffe nicht proportional und vor allem die Zerstörung und Tötung in ihren Familien ungerechtfertigt waren, selbst wenn in der Gegend Kämpfe stattfanden. Allein diese wenigen Angriffe "geben Anlass zu ernsthaften Bedenken hinsichtlich der Einhaltung des Rechts des bewaffneten Konflikts", sagte Daragh Murray, leitender Juradozent an der Universität Essex, zum TBIJ.
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Bereits früher hatten Untersuchungen auf Verstöße gegen das Völkerrecht verwiesen, darunter die Enthüllungen von WikiLeaks. Dem US-Militär wurde auch vorgeworfen, das Kriegsland für Waffentests zu missbrauchen. Die UN-Unterstützungsmission in Afghanistan (UNAMA) dokumentierte im Jahr 2019 mehr als 10.000 zivile Opfer, von denen mehr als 3.400 getötet wurden. Mittlerweile sollen den internationalen Ermittlern Beweise vorliegen, dass die US-Streitkräfte und die CIA in den Jahren 2003 bis 2004 Folter, Vergewaltigung und sexuelle Gewalt an über 50 Gefangenen in Afghanistan angwendeten.
Der Internationale Strafgerichtshof in Den Haag hatte im März den Weg für Ermittlungsverfahren zu möglichen Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit in Afghanistan freigemacht.
Zwar geht es dabei um Vorwürfe gegen die Taliban und afghanische Regierungstruppen, aber auch um mögliche Verbrechen ausländischer Militärs, insbesondere von US-Soldaten und Angehörigen des US-Geheimdienstes CIA. Auch zu mutmaßlichen Kriegsverbrechen in geheimen Gefangenen-Einrichtungen der US-Streitkräfte außerhalb von Afghanistan darf die Anklage ermitteln. 123 Staaten ratifizierten den Grundlagenvertrag des Gerichtes, die USA gehören nicht dazu.
In den Augen von US-Justizminister William Barr wird mit Trumps Anordnung sichergestellt, "dass diejenigen, die die politisch motivierten Ermittlungen des Internationalen Strafgerichtshofs gegen amerikanische Soldaten und Geheimdienstmitarbeiter ohne Zustimmung der Vereinigten Staaten unterstützen, ernste Konsequenzen erleiden werden". Bei dem Gericht handele es sich "um wenig mehr als ein politisches Werkzeug".
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Auf ähnliche Weise verurteilte Ende des vergangenen Jahres der israelische Ministerpräsident Netanjahu den Weltgerichtshof, nachdem Chefanklägerin Fatou Bensouda erwähnt hatte, sie sehe ausreichend Anlass für eine Untersuchung von Kriegsverbrechen im von Israel besetzten Westjordanland, in Ostjerusalem und im Gazastreifen.
Auch Verteidigungsminister Mark Esper sträubt sich gegen die Vorstellung, dass sich US-Militärs für mögliche Verbrechen verantworten müssen, und versicherte, amerikanische Soldaten würden "niemals vor dem Internationalen Strafgerichtshof erscheinen".
Die US-Regierung hatte bereits im vergangenen Jahr mit Gegenmaßnahmen gedroht. Die Ermittlungen begannen inzwischen dennoch. Bisher ergaben diese noch keine offiziellen Verdachtsfälle oder Anklagen. Ermittlungen beim Weltstrafgericht, das aus einer anderen Perspektive bereits in der Kritik stand, seinen Fokus vorrangig auf afrikanische Verdächtige zu richten, ziehen sich oft über viele Jahre hin. Es ist nicht abzusehen, ob sie in diesem Fall auch zu Haftbefehlen oder einem Prozess führen werden.
Pompeo betonte, er habe zudem eine "Botschaft an enge Verbündete auf der ganzen Welt: Eure Leute könnten als Nächstes dran sein, besonders die von NATO-Staaten, die den Terrorismus in Afghanistan an unserer Seite bekämpft haben".
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