Nach monatelangen politischen Spannungen gibt es nun eine neue Regierung und einen neuen Ministerpräsidenten in der abtrünnigen serbischen Provinz. Mit einer hauchdünnen Mehrheit von 61 der 120 Abgeordneten wurde Avdullah Hoti von der konservativen Demokratischen Liga des Kosovo (LDK) zum Premier und damit zum Nachfolger des als links-nationalistisch geltenden Albin Kurti gewählt. Die Abgeordneten von Kurtis Partei Lëvizja Vetëvendosje! (LVV) nahmen an der Abstimmung nicht teil. Zur neuen Regierungskoalition gehören neben der konservativen LDK, die AAK des früheren Premiers Ramush Haradinaj, die Partei Nisma, die Serbische Liste (Srpska Lista) und einige Vertreter von Minderheiten.
Zahlreiche Beobachter der politischen Lage in Pristina gehen davon aus, dass der erhoffte und vor allem von der jüngeren frustrierten Bevölkerung ersehnte Aufbruch im Kosovo vorbei sein dürfte. Kurti wollte entschieden gegen Korruption, Vetternwirtschaft und organisierte Kriminalität im Land vorgehen, für die er die herrschende Elite und Parteien verantwortlich macht, die vorwiegend von ehemaligen Mitgliedern der sogenannten Befreiungsarmee UÇK dominiert werden. Doch am Ende verlor er nach rund 50 Tagen einen Machtkampf – gegen einen UÇK-Mann.
Sind Thaçi und Vučić bereit, ein "historisches Abkommen" zu unterschreiben?
Der Präsident Kosovos und zugleich ein ehemaliger Kommandeur der kosovo-albanischen paramilitärischen Organisation, Hashim Thaçi, schaffte es mithilfe der LDK – dem damaligen Koalitionspartner Kurtis – und reichlicher Unterstützung Washingtons, den 45-Jährigen im Zuge eines Misstrauensvotums zu stürzen. Eine entscheidende Rolle soll dabei der Sondergesandte des US-Präsidenten für den Dialog zwischen Serbien und Kosovo und inzwischen ehemalige US-Botschafter in Berlin, Richard Grenell, gespielt haben. Thaçi, der als Verbündeter Grenells gilt, wird nachgesagt, bereit zu sein, einem Plan zuzustimmen, der das Kosovo entlang ethnischer Linien teilen soll. Der vorwiegend von Serben bewohnte Norden der Provinz würde dann wieder an Belgrad zurückgehen. Kurti jedoch gilt als scharfer Gegner eines solchen Vorhabens.
In Serbien wird schon länger spekuliert, dass sich der Präsident des Landes auch mit diesem Plan zufriedengeben könnte. Der serbische Oppositionspolitiker und Vorsitzender der Volkspartei, Vuk Jeremić, hatte bereits mehrmals Aleksandar Vučić vorgeworfen, er habe seinem kosovarischen Amtskollegen den südöstlichen Teil des heutigen Serbien angeboten. Gemeint ist, dass Belgrad im Gegenzug für den Norden Kosovos die drei mehrheitlich von albanisch-stämmiger Bevölkerung bewohnten Gemeinden Presevo, Medvedja und Bujanovac an Pristina abgibt. Belgrad sollte danach auch die Unabhängigkeit Kosovos, das es nach wie vor als Teil des eigenen Staatsgebiets betrachtet, anerkennen.
Auch in Washington gibt es Anzeichen, dass man sich mit so einer Lösung des jahrzehntelangen Konflikts zufriedengeben könnte. Einige sehen sogar die USA als treibende Kraft hinter diesem Vorhaben. Im März dementierte Washington jedoch die Existenz eines geheimen Planes: Der Balkan-Sondergesandte der USA, Matthew Palmer, der Trump-Sondergesandte Grenell und der US-Botschafter in Pristina, Philip Kosnett, erklärten in einer Pressemitteilung:
Wir möchten klarstellen, dass es keinen geheimen Plan für einen Gebietstausch zwischen Kosovo und Serbien gibt, wie einige spekuliert haben. Der Sondergesandte des Präsidenten, Richard Grenell, habe einen solchen Plan noch nie gesehen oder diskutiert.
Brüssel ernennt EU-Gesandten für den Dialog zwischen Kosovo und Serbien
Doch die Spekulationen reißen nicht ab. Eins ist sicher: Die USA wollen die Gespräche zwischen Belgrad und Pristina vorantreiben. Vor allem die wirtschaftliche Entwicklung beider Seiten wird dabei in den Fokus gestellt. Washington erhofft sich ein "historisches Abkommen", am besten noch vor den US-Präsidentschaftswahlen am 3. November, zu erzielen.
Die Europäische Union will aber das politische Feld nicht komplett den USA überlassen. Brüssel ernannte jüngst den slowakischen Diplomaten und Politiker Miroslav Lajčák zum EU-Gesandten für Kosovo und Serbien. Er soll den Dialog zur Normalisierung der Beziehungen beider Seiten führen und auch den Deal, den die USA offenbar vorantreiben wollen, verhindern. Denn vor allem Berlin ist gegen diesen Plan des Territorialaustauschs. Die Grenzen auf dem Balkan sollen nicht mehr verändert werden.
Gleich nach Hotis Amtsantritt riefen der EU-Außenbeauftragte, Josep Borrell, sowie der EU-Kommissar für Nachbarschaftspolitik, Olivér Várhelyi, Kosovo dazu auf, den Dialog mit Serbien wieder aufzunehmen. Seit Ende 2018 liegt er auf Eis. Schuld daran sind die vom damaligen Premierminister Ramush Haradinaj verhängten Strafzölle in Höhe von 100 Prozent auf Waren aus Serbien und Bosnien-Herzegowina. Kurti hatte sie zwar auf Drängen der USA und der EU abgesetzt, stattdessen aber erließ er als eine seiner letzten Amtshandlungen die Maßnahme, dass sämtliche Begleitpapiere und Zertifikate im Warenverkehr mit Serbien die "Republik Kosovo" als Bestimmungsort ausweisen müssen. Belgrad bezeichnete dies als inakzeptabel, denn damit würde Serbien praktisch die Existenz einer unabhängigen Republik Kosovo anerkennen. Hoti hat diese Handelshindernisse nun wieder aufgehoben. Damit könnten die abgebrochenen Gespräche zwischen Belgrad und Pristina bald wieder starten. Ob sie noch in diesem Herbst mit einem "historischen Abkommen" beendet werden, bleibt abzuwarten.
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