Der oberste WHO-Vertreter in Europa, Hans Kluge, hat seine Besorgnis darüber geäußert, dass eine zweite Corona-Welle in diesem Winter unvermeidlich sein könnte. Diese könnte möglicherweise durch die saisonale Grippe oder einen möglichen Masernausbruch verschlimmert werden.
Da es noch keinen Impfstoff gibt, sollten Länder, die nicht so stark betroffen sind wie zum Beispiel Großbritannien, Italien oder Spanien, sorgfältig die Risiken einer Lockerung ihrer Blockaden und der Abschaffung sozialer Distanzierungsmaßnahmen bedenken, so Kluge in einem Interview mit The Telegraph.
Wir wissen aus der Geschichte, dass bei Pandemien die Länder, die nicht zu einem frühen Zeitpunkt getroffen wurden, in einer zweiten Welle getroffen werden können. Was werden wir in Afrika und Osteuropa erleben?
Die Maßnahmen, die zur Eindämmung des Coronavirus eingeführt wurden, versetzten vielen Volkswirtschaften weltweit einen massiven Schlag und führten zu Millionen weiterer Arbeitsloser. Inmitten der Besorgnis, dass "die Behandlung schlimmer wird als die Krankheit selbst", beeilen sich viele Länder nun, die Beschränkungen bei ersten Anzeichen eines stabilen Abwärtstrends zu lockern.
Nach mehr als zwei Monaten landesweiter Quarantäne und fast 32.000 Toten erlaubt Italien seit Montag die Wiederaufnahme des Geschäftsbetriebs. Turnhallen, Schwimmbäder und Sportzentren sollen nächste Woche wieder öffnen. Am 3. Juni sollen die Grenzen für europäische Touristen geöffnet werden – ein Plan, der vom Nachbarland Frankreich bereits als verfrüht eingestuft wurde. Kluge erklärte:
Die Menschen bekommen den Eindruck, dass die Abriegelung zu Ende sei. Doch es hat sich nichts geändert. Das gesamte Maßnahmenpaket zur Krankheitsbekämpfung muss umgesetzt werden.
Kluge befürchtet, dass es im Winter "eine zweite COVID-Welle und eine weitere einer saisonalen Grippe oder Masern" geben könnte, falls die Behörden den Fehler machen würden, ihre Gesundheitssysteme nicht richtig vorzubereiten. Die Möglichkeit einer zweiten Welle des neuartigen Coronavirus war die größte Sorge der Gesundheitsbehörden, da die Nationen eine Lockerung ihrer Quarantänebestimmungen erwägen.
Letzte Woche warnte WHO-Notfallmanager Mike Ryan, dass das Virus endemisch werden und "vielleicht nie wieder verschwinden" könnte, so wie HIV nach dem Auftreten in den 1980er-Jahren nicht verschwunden ist.
Die Besorgnis der WHO widerspiegelnd, forderte der Sprecher der EU-Kommission Stefan de Keersmaecker die EU-Mitgliedsstaaten auf, "sich auf eine mögliche zweite Infektionswelle vorzubereiten", indem sie Systeme zur Kontaktverfolgung unterstützen.
Viele setzen jedoch auf die Entwicklung eines Impfstoffs, dessen Herstellung – wenn die Bemühungen überhaupt erfolgreich sind – mehrere Jahre dauern kann.
Anthony Fauci, Direktor des US National Institute of Allergy and Infectious Diseases, warnte kürzlich davor, dass es "keine Garantie" dafür gibt, dass ein Impfstoff tatsächlich gegen die Krankheit wirksam ist.
Es bestehe jedoch auch die Möglichkeit, dass das Virus "von selbst versiegt", bevor die Welt mit einem Impfstoff aufwartet, so Karol Sikora, eine führende Akademikerin und ehemalige Spitzenonkologin bei der WHO. Sie argumentierte, dass "eine reale Chance" bestehe, dass dies eintritt, warnte aber davor, dass dies kein sicheres Szenario sei.
Die WHO ist eine Sonderorganisation der Vereinten Nationen, die sich überwiegend aus Spenden aus dem Privatsektor und von Stiftungen finanziert. Unter diesen ist die Bill-und-Melinda-Gates-Stiftung der größte Einzelspender. Nach der Ausrufung der höchsten Alarmstufe für die sogenannte Schweinegrippe H1N1 im Juni 2009 und einer von ihr abgegebenen zweifelhaften Impfempfehlung geriet die WHO massiv in die Kritik.
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