Verschwörungstheorien sind angeblich ein Spezialgebiet "russischer Medien". Auch China sieht sich ein ums andere Mal mit dem Vorwurf konfrontiert, mutwillig falsche Informationen über die Verbreitung des Corona-Virus in Umlauf gebracht zu haben. Die Vorwürfe erheben vor allem westliche Medienerzeugnisse und Regierungen – und bedienen sich dabei gerne jener Methoden, die sie anderen vorwerfen.
Was mit Bezug zu US-Geheimdiensten zunächst vage als Möglichkeit eines "Unfalls" im Wuhan Institute of Virology – als "dem" Ausgangspunkt für die globale Corona-Pandemie diesseits und jenseits des Atlantiks propagiert wurde, wird nunmehr schleichend zur vermeintlichen Gewissheit "verdichtet". So werden im Bewusstsein von Menschen der Zielgruppen durch ständige Wiederholung und vorgeblich "neue Erkenntnisse" aus Verschwörungstheorien neue, nämlich virtuelle Realitäten geformt – Politiker jeder Couleur eingeschlossen.
Jetzt legten westliche Geheimdienste gemeinsam nach. Ein Geheimdienstdossier der "Five Eyes" genannten Geheimdienstallianz der USA, Großbritanniens, Australiens, Kanadas und Neuseelands fasste nun die Vorwürfe und Verdächtigungen an die Adresse Chinas zusammen, wie der australische Saturday Telegraph am Wochenende berichtete.
Demnach dokumentiert das Dossier die Vertuschung chinesischer Behörden und weist auf riskante Forschungsarbeiten im Wuhan Institute of Virology hin, wo das neue Coronavirus nach offiziellen Angaben im Dezember erstmals identifiziert wurde. In dem Geheimdienstpapier wird zudem auf ohnehin gefährliche sonstige Forschungsarbeiten im Wuhan-Biolabor mit Viren von Fledermäusen verwiesen – die allerdings auch in Zusammenarbeit mit amerikanischen und australischen Wissenschaftlern erfolgt waren.
Die gebotene Unschuldsvermutung wird kurzerhand ignoriert, und der geopolitisch ohnehin störende Superrivale China wird aufgrund von Behauptungen, bestenfalls Mutmaßungen und Spekulationen der vermeintlich über jeden Zweifel erhabenen westlichen "Schlapphutfraktion" in die Defensive gedrängt. Angebliche Indizien sollen – wieder einmal – Beweise ersetzen.
Die "fünf Augen" der Wertegemeinschaft reihen Vorwurf an Vorwurf. Das Dossier der "Five Eyes" bildet demnach die Grundlage für die Spekulationen, denen die westlichen Geheimdienste nun nachzugehen vorgeben. So wird festgehalten, nicht nur dass, sondern gleich auch noch wie Chinas Behörden frühzeitige Warnungen von Medizinern unterdrückten, das wahre Ausmaß des Ausbruchs herunterspielten und Informationen zensierten. Dies wurde nach dpa-Angaben "auch in Medienberichten bereits mehrfach dargestellt" – und damit wurde das entsprechende Narrativ bereitwillig untermauert.
Das nun bereits als "Vertuschung" feststehende Verhalten der chinesischen Regierung wird in dem Dossier in einer griffigen Formel als "Anschlag auf die internationale Transparenz" beschrieben. Es gehört schon ein gehöriges Maß an Chuzpe dazu, China einen solchen "Anschlag" vorzuwerfen, während die eigenen Regierungen ein ums andere Mal der massiven Intransparenz und Vertuschung überführt wurden. Erinnert sei hier nur an die Enthüllungen eines Edward Snowdens oder Julian Assanges, die ihnen lebenslange Ächtung und Verfolgung durch die "Transparenten" einbrachten.
Besonderes Augenmerk legen die "Five Eyes" auf die vermeintliche Tatsache, China habe noch bis zum 20. Januar bestritten, dass das Virus von Mensch zu Mensch übertragen werden kann. Schließlich habe es dafür schon seit Anfang Dezember Hinweise gegeben, heißt es in dem Papier. Auch wird China darin vorgeworfen, Virusproben vernichtet zu haben. Chinas Behörden hätten sich außerdem geweigert, Lebendproben internationalen Forschern zur Verfügung zu stellen.
Auf welchen Wegen die westlichen Geheimdienste zu all diesen "Erkenntnissen" gelangten, wird womöglich immer ein Rätsel bleiben. Angaben der WHO und entsprechende internationale Berichte können jedenfalls nicht die Grundlage bilden.
So hieß es in einem Situationsbericht der WHO vom 21. Januar 2020:
Am 12. Januar 2020 teilte China den Ländern die genetische Sequenz des neuartigen Coronavirus mit, die diese bei der Entwicklung spezifischer Diagnostik-Kits verwenden können.
Inwieweit entspricht dies einem intransparenten Vorgehen? Der gesamte von der Weltgesundheitsorganisation geschilderte zeitliche Ablauf der Ereignisse spricht dagegen. Es will auch nicht so recht ins Bild passen, dass die US-Geheimdienste Donald Trump bereits Ende vergangenen Jahres über einen möglichen Ausbruch des Coronavirus informiert haben wollen, wobei der US-Präsident die Warnungen demnach in den Wind geschlagen habe. Kann es auch Chinas Verantwortung sein, dass die US-Administration Wochen später immer noch völlig unvorbereitet und chaotisch in die Pandemie schlidderte?
Nun heißt es jedoch, Trump sei erst am 23. Januar von seinen Geheimdiensten informiert worden. In einem Briefing am 23. Januar wurde Trump mitgeteilt, dass sich das Virus von China aus weltweit verbreiten würde und dass eine Ansteckung für die meisten Menschen wohl nicht tödlich sei. Die Sitzung vom 23. Januar war angeblich das erste Mal, dass die Nachrichtendienstgemeinschaft ihren Präsidenten über COVID-19 unterrichtete, berichten aktuell US-Medien.
Dass nun – laut den "Five Eyes" – in China "Veröffentlichungen von Wissenschaftlern über das Virus streng kontrolliert" worden seien, erscheint derweil nicht als ein Alleinstellungsmerkmal der Regierung in Beijing, wie wohl auch hierzulande die höchst kontroversen Debatten über den Umgang mit dem Virus und den vermeintlichen "Desinformationen" darüber durch Ärzte, Wissenschaftler und Medien eindrücklich belegen.
Derweil goss US-Präsident Trump nun neues Öl ins Feuer.
Wir werden einen sehr aussagekräftigen Bericht über das geben, was unserer Meinung nach passiert ist, und ich denke, er wird sehr schlüssig sein. Persönlich denke ich, dass sie einen sehr schrecklichen Fehler gemacht haben. Sie haben versucht, es zu vertuschen", unterstrich Trump das nunmehr bereits fest etablierte Narrativ am Sonntag im US-Nachrichtenkanal Fox News.
Flankiert wurde der US-Präsident von Außenminister Mike Pompeo als seinem Sekundanten. Ohne entsprechende Beweise auf den Tisch zu legen, wusste dieser ebenfalls am Sonntag von "enormen Beweisen" zu berichten, dass der Ausbruch von SARS-CoV-2 in einem Labor in Wuhan seinen Anfang gehabt hätte.
Ich kann Ihnen sagen, dass es eine beträchtliche Menge an Beweisen gibt, dass dies [Coronavirus SARS-CoV-2, Anm. d. Red.] aus diesem Labor in Wuhan kam", beharrte Pompeo.
Pompeo scheute jedoch vor der Behauptung zurück, dass das Virus menschengemacht sei. Vielmehr stimme er überein mit einem Bericht aus dem Büro des Directors of National Intelligence (DNI), jenes Beauftragten des US-Präsidenten für den Zusammenschlusses aller 17 Nachrichtendienste der Vereinigten Staaten, der eine genetische Veränderung des Erregers bereits ausgeschlossen hatte.
Ich habe gesehen, was die Nachrichtendienstgemeinschaft gesagt hat. Ich habe keinen Grund zu glauben, dass sie falsch gelegen haben", erklärte Pompeo.
Auf die Frage, ob die Chinesen das Coronavirus denn absichtlich freigesetzt hätten, wollte sich Pompeo demnach jedoch nicht äußern
Dazu habe ich nichts zu sagen", so der US-Außenminister.
Der Saturday Telegraph will jedoch über andere Informationen verfügen. Im Zusammenhang mit dem "Five Eyes"-Dossier heißt es:
Es kann auch enthüllt werden, dass die australische Regierung ein Team chinesischer Wissenschaftler ausgebildet und finanziert hat, die einem Labor angehören, das später tödliche Coronaviren genetisch veränderte, die von Fledermäusen auf den Menschen übertragen werden konnten und unheilbar waren und das nun Gegenstand einer Untersuchung über die Ursprünge von COVID-19 ist", heißt es.
Für die chinesische Regierung handelt es sich bei den Anschuldigungen der westlichen Geheimdienste um eine äußerst durchschaubare Inszenierung.
Die US-Regierung hat die Fakten ignoriert, die öffentliche Aufmerksamkeit abgelenkt und versucht, sich ihrer Verantwortung für die Inkompetenz im Kampf gegen die Epidemie zu entziehen", fasste der Sprecher des chinesischen Außenministeriums, Geng Shuang, bereits am Freitag zusammen.
Dennoch fordern nun auch etliche deutsche Politiker bereits "Transparenz" von China, allen voran erneuerte Bundesaußenminister Heiko Maas diese Forderung – allerdings darauf bedacht, die chinesische Regierung nicht direkt zu beschuldigen. Vielmehr solle sich China umfänglich an der Aufklärung des Coronavirus-Ursprungs beteiligen.
Die ganze Welt hat ein Interesse, dass der genaue Ursprung des Virus geklärt wird. Fundierte Antworten darauf muss aber die Wissenschaft geben, nicht die Politik. China kann hier unter Beweis stellen, wie transparent es mit dem Virus tatsächlich umgehen will", erklärte Maas gegenüber der Funke-Mediengruppe.
Weit mehr als eine Million Menschen in den USA haben sich nach aktuellem Stand der Dinge mit dem Virus infiziert, wobei demnach bereits 67.000 US-Amerikaner im Zusammenhang mit COVID-19 verstarben.