Snowden warnt eindringlich vor Corona-Apps: "Architektur der Unterdrückung"

Von den sogenannten Leitmedien kaum beachtet, ist Edward Snowden als kritischer Mahner nach wie vor aktiv. Es sind insbesondere die geplanten staatlichen Maßnahmen in Sachen Tracking-App, vor denen der IT-Experte warnt. Die Zeit werde sich nicht mehr zurückdrehen lassen.

Den Vorwurf, ein "Verschwörungstheoretiker" zu sein, muss sich Whistleblower und IT-Fachmann Edward Snowden nicht gefallen lassen. Aufgrund seiner hieb- und stichfesten Enthüllungen – etwa über die weltumspannenden NSA-Abhörmaßnahmen – sitzt der ehemalige CIA-Mitarbeiter nach wie vor im Moskauer Asyl. Wenn überhaupt jemand angesichts seiner persönlichen Einblicke, Kenntnisse und Erfahrungen im Bereich institutionalisierter IT-Fragen Glaubwürdigkeit besitzt, dann ist das Edward Snowden.

In diesen Zeiten der globalen Corona-Pandemie meldet sich Snowden nun wieder verstärkt zurück, um vor den potentiellen Gefahren einiger staatlicher Maßnahmen zur Bekämpfung von COVID-19 zu warnen. Zuletzt steckte er seine Finger mehrfach in die Corona-Wunde, zunächst nur, um die verspäteten Reaktionen von Regierungen weltweit auf eine Entwicklung zu kritisieren, die alles andere als überraschend über die Menschheit gekommen sei.

In einer Welt, in der wir in überfüllten und verschmutzten Städten quasi aufeinander hocken, ist nichts so vorhersehbar wie eine Krise der öffentlichen Gesundheit, wie eine Pandemie. Und jeder Akademiker, jeder Forscher, der sich damit befasst hat, wusste, dass dies kommen würde", erklärte Snowden zuletzt in einem Interview mit dem US-Magazin Vice.

Tatsächlich lagen in etlichen Regierungsschubladen bereits seit Jahren die Blaupausen für den jederzeit drohenden Ausbruch einer globalen Krise durch eine Virus-Pandemie. Zudem sei es laut Snowden absurd, davon auszugehen, dass nicht auch all die Nachrichtendienste weltweit ebenfalls frühzeitig auf dem Laufenden gewesen seien:

Und in der Tat: Sogar die Geheimdienste, das kann ich Ihnen aus erster Hand sagen, denn sie haben die Berichte gelesen, die für Pandemien geplant waren", ergänzt Snowden.

Gestützt werden die Aussagen des Geheimdienstexperten von den jüngsten Berichten, wonach US-Nachrichtendienste angeblich bereits Ende vergangenen Jahres über Erkenntnisse in Bezug auf eine bevorstehende Pandemie verfügten. Mit ihren Warnungen seien sie jedoch nach eigenen Angaben bei den Politikern auf taube Ohren gestoßen.

Jetzt sollen es also die Segnungen der Digitalisierung sein, die die eigenen Unzulänglichkeiten und teils hilflos und unkoordiniert wirkenden Maßnahmen in Reaktion auf die Realität gewordene Krise kompensieren sollen.

Bereits Mitte März sickerte ein entsprechender Gesetzentwurf aus dem Bundesgesundheitsministerium von Jens Spahn durch. In dem Schreiben wurde erörtert, wie Standortdaten von Mobiltelefonen aller Bürger im Kampf gegen Corona eingesetzt werden könnten. Die Zeit war da jedoch noch nicht reif für den letzten Schritt, die Krise in Deutschland noch nicht genügend eskaliert.

Von einem "massiven Grundrechtseingriff" sprach heute Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU), sollten bestimmte Handy-Standortdaten zur Bekämpfung des Coronavirus eingesetzt werden. Deshalb sei die entsprechende Passage aus einem Entwurf des Infektionsschutzgesetzes gestrichen worden, der am Wochenende bekannt wurde", kommentierte Netzpolitik.org die Daten-Diskussion Ende März 2020.

Doch aufgeschoben ist nicht aufgehoben. Zur Umsetzung der entsprechenden Pläne brauche es nun vor allem nur noch eine möglichst "große Unterstützung im politischen und gesellschaftlichen Raum", erläuterte Spahn. Zuletzt war es Bundeskanzlerin Angela Merkel, die eine Nutzung von Apps im Kampf gegen Corona befürwortete. EU-weit arbeiten demnach über 130 Experten aus acht Ländern bereits emsig an solch Tracking-Apps. Da sage doch noch jemand, die EU sei nicht mehr zur effektiven Zusammenarbeit fähig.

Seit Anfang April lässt die Bundesregierung demnach von Bundeswehrsoldaten der Berliner Julius-Leber-Kaserne eine App zur Nachverfolgung von Corona-Infektionsketten testen.

Und auch die Konkurrenz schläft nicht. Die US-Tech-Giganten Google und Apple wollen jetzt ebenfalls ihre Kompetenzen als Nutznießer von Big-Data bündeln, um möglichst bald eine ganz "hippe", digitale Applikation zur Bekämpfung von COVID-19 zu entwickeln.

Die entsprechenden Apps müssten – selbstverständlich auf "freiwilliger Basis" – eingeführt werden, solange ein wirksamer Impfstoff fehle. Mit der tatsächlichen Freiheit der persönlichen Entscheidung ist es jedoch bekanntlich so eine Sache. Wer mag zukünftig dann zu jenem Kreis von vermeintlich "verantwortungslosen Zeitgenossen" gehören, die sich dem Sammeln und Auswerten zahlreicher persönlicher Daten einzig und allein für einen "guten Zweck" verweigern? Der gesellschaftliche und politische Druck wird sein Übriges tun, damit aus der vermeintlichen "Freiwilligkeit" schnell eine ehrenvolle Bürgerpflicht, eine Selbstverständlichkeit wird.

Es sind insbesondere diese Entwicklungen und der damit einhergehende massive Eingriff in die Grundrechte, die nicht zuletzt auch dem IT-Experten Snowden Sorgen bereiten.

Wenn sich der Autoritarismus ausbreitet, wenn Notstandsgesetze sich ausbreiten, wenn wir unsere Rechte opfern, dann opfern wir auch unsere Fähigkeit, dem Abgleiten in eine weniger liberale und weniger freie Welt Einhalt zu gebieten", ist Snowden überzeugt.

Der mit den staatlichen Maßnahmen einhergehende massive Eingriff in die Grundrechte werde die Corona-Krise überdauern. Der Whistleblower mag den Regierungen zwar nicht absprechen, dass sie jetzt in guter Absicht handeln wollen. Das Dilemma bestünde jedoch darin, dass sie dennoch an dem Instrumentarium arbeiten, das Snowden "die Architektur der Unterdrückung" nennt.

Glauben Sie wirklich, dass – wenn die erste Welle, diese zweite Welle, die 16. Welle des Coronavirus eine längst vergessene Erinnerung sind – diese Fähigkeiten nicht erhalten bleiben werden? Dass diese Datensätze nicht aufbewahrt werden? Ganz gleich, wie sie genutzt werden – was da aufgebaut wird, ist die Architektur der Unterdrückung", gibt Snowden zu bedenken.

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