Friedensnobelpreisträger Kissinger zur Corona-Krise: Es gilt, die "liberale Weltordnung zu schützen"

Von Washington bis Berlin genießt Friedensnobelpreisträger Kissinger einen hervorragenden Ruf. Nun meldet sich die graue Eminenz der US-Interessenpolitik angesichts der Corona-Krise zurück. Laut Kissinger ist es nun an der Zeit, die USA fit für die "Ordnung der Welt nach Corona" zu machen.

von Kani Tuyala

Es ist keinesfalls übertrieben, ihn als Paradebeispiel für die Schizophrenie transatlantischer Selbstgerechtigkeit zu bezeichnen: Heinz Alfred Kissinger, Nobelpreisträger und Kriegsverbrecher. Nicht von ungefähr nannte Helmut Schmidt ihn einst einen "äußerst hartnäckigen diplomatischen Vermittler des amerikanischen Ideals von Freiheit".

Sei es als Nationaler Sicherheitsberater und US-Außenminister unter den US-Präsidenten Richard Nixon und Gerald Ford, über Jahrzehnte galt der mit Preisen um seine Verdienste von Washington bis Berlin überhäufte Kissinger als die graue Eminenz der geopolitischen Ambitionen Washingtons. Kissinger ging nicht nur als einer der Architekten der US-Aggression, die zum Vietnamkrieg und Millionen Toten führte, in die Geschichte ein.

Auch die Ausweitung des Krieges auf die Nachbarländer Kambodscha und Laos – samt illegaler Bombardierung mit Hunderttausenden Toten – geht auf den deutsch-amerikanischen US-Strippenzieher hinter den Kulissen zurück.

Als Visionär und Vordenker einer hegemonialen globalen Ordnung unter US-Federführung hielt er zudem beispielsweise die demokratisch gefällte Entscheidung der Chilenen, den Sozialisten Salvador Allende zum Präsidenten ihres Landes zu wählen, schlicht für unvernünftig. Daher war es für Kissinger gerechtfertigt, den faschistischen Putsch im Andenland durch verdeckte Geheimdienstoperationen zu unterstützen – nachdem die entsprechende Verhinderung der Wahl Allendes zum Präsidenten gescheitert war.

Millionen US-Dollar flossen in verdeckte Operationen, um die innenpolitische Situation des Landes zu destabilisieren. Nach dem Sturz und Tod Allendes ergriff mit dem Wohlwollen Washingtons die Junta des Generals Augusto Pinochet die Macht in Chile. 

Keine Frage also, dass sich der nun 96-jährige Kissinger auch in Sachen Corona-Krise und deren Bedeutung für die "internationale Ordnung" zu Wort meldet. Die Welt werde nach der Corona-Pandemie nicht mehr dieselbe sein und ein Versagen bei der Lösung der Krise könne "die Welt in Brand setzen", verriet Kissinger.

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In einem Meinungsartikel für das Wall Street Journal ließ der hochdotierte Vortragsreisende die Leserschaft wissen, dass das Coronavirus "mit beispiellosem Ausmaß und Grausamkeit zugeschlagen" habe und die Weltordnung für immer verändern werde.

In seinen Ausführungen räumt Kissinger zudem ein, dass die Reaktion der US-Administration auf die Corona-Krise im eigenen Land durchaus als "solide" bezeichnet werden könne. Dennoch müsse gleichzeitig "mit der dringenden Arbeit der Planung für eine neue Epoche" begonnen werden, so der ehemalige US-Sicherheitsberater.

Jetzt über die Vergangenheit zu streiten, macht es nur noch schwieriger, das zu tun, was getan werden muss", erläutert Kissinger.

Zu diesen Handlungsimperativen gehöre laut dem Berater diverser US-Präsidenten, in einem ersten Schritt "neue Techniken und Technologien zur Infektionskontrolle und entsprechende Impfstoffe für große Bevölkerungsgruppen" zu entwickeln. Gefahren für die Freiheitsrechte der Bürger mag Kissinger zumindest in seinem Gastbeitrag für das Wall Street Journal in seinen Vorschlägen nicht erkennen.

Und, wie könnte es anders sein, sorgt sich der Geostratege Kissinger andererseits vor allem auch um die weltweite Ordnung der Welt nach dem Abflauen der Corona-Pandemie.

Die Krisenanstrengungen, so umfangreich und notwendig sie auch sein mögen, dürfen die dringende Aufgabe nicht verdrängen, ein paralleles Unternehmen für den Übergang zur Post-Corona-Ordnung zu starten", erklärt Kissinger.

In einem zweiten Schritt gelte es, das Augenmerk jetzt darauf zu richten, "die Wunden der Weltwirtschaft zu heilen". Die Auswirkungen auf den globalen Handel seien komplexer als zu Zeiten der Finanzkrise 2008, aus der "die führenden Politiker der Welt (...) wichtige Lehren gezogen" hätten. Auch hier erläutert Kissinger nicht näher, worin die von ihm genannten wegweisenden "Lehren" aus der Finanzkrise demnach bestehen.

Doch auch die anfälligsten und verwundbarsten Bevölkerungsteile finden Raum in Kissingers Ausführungen. So sollten entsprechende Programme zur Bekämpfung von COVID-19 auch darauf abzielen, "die Auswirkungen des drohenden Chaos auf die am meisten gefährdeten Bevölkerungsgruppen der Welt zu mildern".

Wie sich dieser Ansatz allerdings in der aktuellen Situation mit der Beibehaltung und gar Verschärfung der Sanktionen der US-Regierung gegenüber Staaten wie dem Iran und Venezuela verträgt, findet keinen Raum in Kissingers Anmerkungen.

Wie dem auch sei, der außenpolitische Denker warnt in seinen Ausführungen angesichts der Corona-Krise vor nationalstaatlichen Maßnahmen und Entwicklungen, die mit dem Kerngedanken der Globalisierung angloamerikanischer Prägung nicht kompatibel seien. Daher sei es nun an der Zeit, "die Prinzipien der liberalen Weltordnung" zu schützen.

Die Demokratien der Welt müssen ihre aufklärerischen Werte verteidigen und aufrechterhalten", mahnt der vor allem in der transatlantischen Gemeinschaft gefeierte Welterklärer.

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