Rufe nach "Coronageld": Solo-Selbstständige, Kleinunternehmer und versprochene Milliarden

Nicht nur für Industrie-Flaggschiffe, sondern auch für Selbstständige soll es einen Rettungsschirm geben – von insgesamt 40 Milliarden Euro. Doch die Hilfe kann durch Bürokratie und behördliche Überlastung versanden. Die Debatte über ein Grundeinkommen kommt wieder auf.

Im Jahr 2019 gab es rund 1,43 Millionen Selbstständige in Deutschland, darunter auch Solo-Selbstständige wie Musiker, Fotografen, Künstler, Heilpraktiker, Dolmetscher oder Pfleger. Insgesamt gibt es in Deutschland (Stand November 2019) 3.109.261 Kleinunternehmen mit jeweils bis zu neun Beschäftigten. Mit diesen und ihren Familienangehörigen dürfte die Anzahl der Existenzen, die von täglichen Kleinaufträgen abhängen, sich dem achtstelligen Bereich nähern. Viele von diesen Menschen leben prekär und ohne jegliche Rücklagen, um bei Gewinneinbrüchen wenigstens die laufenden Kosten wie Stromkosten und Miete für Gewerbeflächen zahlen zu können.

Der plötzliche Stillstand des öffentlichen Lebens infolge der Corona-Krise ließ bei ihnen die Alarmglocken läuten. Selbsthilfegruppen werden in sozialen Netzwerken organisiert, Petitionen gestartet. So schreibt die selbstständige Modedesignerin Tonia Merz, die fünf Angestellte beschäftigt, auf der Online-Plattform change.org:

Was mir trotz überdurchschnittlich viel Arbeit nicht gelang, ist Rücklagen zu bilden, die mich und mein Team durch eine Krise, wie wir sie derzeit erleben, retten könnten. So geht es nicht nur mir. So geht es unzähligen Selbstständigen, Kreativen, Musikern, Künstlern, Veranstaltern und Überlebenskünstlern. […] Menschen, die sich und andere immer selbst versorgt haben und nun unmittelbar vor dem Aus stehen. So geht es unzähligen Studenten und anderen, die auf ihre 450-Euro-Jobs angewiesen sind, um zu überleben. Für die kein Kurzarbeitergeld greift und für die Kredite keine Zukunftsperspektive sein können.

Auch Gewerkschaften und Wirtschaftsverbände melden sich zu Wort. Der Präsident des Deutschen Industrie- und Handelskammertags (DIHK) Eric Schweitzer forderte schnelles Handeln:

Wir müssen jetzt ganz schnell die Existenz von Solo-Selbstständigen und Kleinstunternehmen absichern. Bei diesen Unternehmern fällt der Umsatz über Nacht drastisch, manchmal bis auf null.Und sie wissen aktuell nicht, wann sie wieder Aufträge bekommen und diese annehmen dürfen. In vielen Fällen werden sie in dieser Situation auch keinen Kredit bekommen."

Die Verantwortlichen reagierten prompt. Die Bundesregierung plane in der Corona-Krise ein Hilfspaket von über 40 Milliarden Euro für Solo-Selbstständige und andere Kleinstfirmen, lautete die dpa-Nachricht am 19. März spätnachmittags. Aus dem Wirtschaftsministerium nahestehenden Kreisen hieß es, es dürfe keine "Solidaritätslücke" für Kleinstunternehmen und Solo-Selbstständige geben. Geplant seien direkte Zuschüsse und Darlehen, und zwar zügig.

Doch wer anspruchsberechtigt ist und wer nicht, wird in der Regel mithilfe eines komplizierten amtlichen Verfahrens entschieden, und vor allem – das dauert. Aber derzeit sind die Ämter geschlossen, die Telefonleitungen sind überlastet. Und Entlastung ist nicht in Sicht. "Eine schnelle Bearbeitung der Anträge sowie Anweisung von Leistungen, daran haben manche Experten angesichts des aktuellen Aufkommens in den Arbeitsagenturen Zweifel", schreibt die Hessenschau.

Nicht eben vielversprechend klingen auch die Einschätzungen der anderen öffentlich-rechtlichen Medien. Das Infektionsschutzgesetz erfasst eine Situation wie die Corona-Krise nicht vollständig. "Wenn auf staatliche Anordnung Geschäfte nicht mehr öffnen dürfen oder Veranstaltungen abgesagt werden, könnte man die Hoffnung haben, dass der Staat dann automatisch per Gesetz verpflichtet ist, für den entgehenden Gewinn einzustehen. Dies ist aber nicht der Fall", schreibt die Tagesschau mit Verweis auf einen Rechtswissenschaftler.  Man könne keinen allgemeinen Entschädigungsanspruch für eine breite Masse von Betroffenen aus den rechtmäßigen Anordnungen der Behörden ableiten.

Was bislang sicher sei: Sollte der Betrieb eines Selbstständigen wegen Quarantäne stillstehen, ersetzt die zuständige Behörde die weiterlaufenden Betriebsausgaben "in angemessenem Umfang". Der Antrag ist bis drei Monate nach dem Ende der Quarantäne einzureichen.

Was genau darunter zu verstehen ist, muss wohl die Praxis zeigen", so die Tageschau.

Es dürfte wegen der absehbaren rechtlichen und verwaltungstechnischen Hürden also mehr als fraglich sein, dass die versprochenen Milliarden bei den Bedürftigen tatsächlich und vor allem schnell ankommen. Die durch die Krise gesunkene Kaufkraft kann das Stagnieren der Nachfrage zudem noch zusätzlich verstärken. Forderungen nach einer einfacheren Lösung werden lauter.

Grundsicherung "Coronageld"

So will die Modedesignerin Merz in ihrer Petition keinen Kredit und keinen Zuschuss, sondern die Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens von 800 bis 1.200 Euro pro Person für sechs Monate– testweise. Als "schnell, unbürokratisch, zeitlich begrenzt" bezeichnet sie ihr Konzept:

Das würde den sozialen Absturz Tausender verhindern und gleichzeitig die Kaufkraft im Land erhalten. Denn das ist das Zweite, was wir brauchen: Menschen, die weiterhin Geld ausgeben!

Die Idee findet Zuspruch. Ihre Online-Petition wurde innerhalb eines Tages bereits von 250.000 Menschen unterzeichnet. Auch manchen politischen Parteien sind diese Ideen nicht fremd. So fordert die Linke im Bundestag neben einer generellen Anhebung der Regelsätze auch "unbürokratische Sonderzahlungen" – 200 Euro für arme Rentner und Bezieher von Grundsicherung zunächst für die Monate März und April schlägt die Partei vor. Schnelle Finanzhilfen sollte es auch für Minijobber, kleine Handwerksbetriebe oder Restaurantbetreiber geben.

Es ist bekannt: Der Weg vom Gewerbetreibenden zum Aufstocker oder Hartz-IV-Empfänger kann sehr kurz sein. Der Volkswirt Wolfgang Strengmann-Kuhn von den Grünen geht deshalb noch einen Schritt weiter und schlägt eine Art befristetes Grundeinkommen vor, ein "Coronageld" von 500 bis 800 Euro. Er denke dabei an Menschen, die nun in die Grundsicherung fielen und gegebenenfalls länger auf Geld warten müssten, wird er von der Hessenschau zitiert. "Gerade für die, die wegen der kriselnden Wirtschaft neu in Hartz IV rutschen oder aufstocken müssen, wäre es eine sofortige Abhilfe." Das Ganze könne man nach etwa sechs Monaten dann mit der Einkommenssteuer oder den Sozialleistungen verrechnen, so Strengmann-Kuhn.