Eine Art Tagebuch über das Kurzzeit-Engagement von Jürgen Klinsmann rechnet in beispielloser Weise mit Hertha BSC ab. Inwiefern der 55 Jahre alte ehemalige Fußball-Bundestrainer das Protokoll, das die Sport Bild am Mittwoch in gekürzter Form abdruckte, in Auftrag gegeben oder autorisiert hat, blieb zunächst unklar. Es soll sich um ein internes Papier für den Ex-Coach und dessen Partner handeln, das geleakt worden sein soll. Die Klinsmann-Seite wollte sich auf Anfrage der Deutschen Presse-Agentur am Mittwochmorgen nicht weiter dazu äußern.
In der internen Bestandsaufnahme und Analyse des 77-Tage-Auftritts von Klinsmann in der Hauptstadt werden massive Vorwürfe gegen den Club erhoben. Praktisch Tag für Tag wird darin geschildert, welche angeblichen Fehlleistungen sich die Hertha-Verantwortlichen in der kurzen Klinsmann-Ära leisteten.
Es wird von einer "Lügenkultur" geschrieben, einer Mannschaft, die bei der Übernahme durch Klinsmann in einem "katastrophalen Zustand" gewesen sei, von Klinsmanns Versuch, Ralf Rangnick für den Verein zu gewinnen, und erste Gedanken des Schwaben schon Ende Dezember, das Engagement wieder zu beenden.
"Abgesehen davon, dass nahezu sämtliche darin enthaltenen Vorwürfe und Behauptungen nicht der Wahrheit entsprechen, ist uns auch im Interesse von Jürgen Klinsmann daran gelegen, diese Personalie zu einem würdigen Ende zu bringen", sagte ein Hertha-Sprecher gegenüber der Deutschen Presse-Agentur in einer ersten Reaktion des Fußball-Bundesligisten auf den Beitrag der Sport Bild.
Das Klinsmann-Intermezzo hallt aber nicht nur nach, mit diesem Protokoll sorgt es für ein weiteres Beben bei dem sportlich schwer kriselnden Club. Erst am vergangenen Samstag hatte die Mannschaft, die derzeit von Klinsmanns Assistenten Alexander Nouri verantwortlich trainiert wird, eine desaströse Leistung gezeigt und zuhause mit 0:5 verloren. Fans vom 1. FC Köln hatten gegen Ende höhnisch "Jürgen Klinsmann" skandiert.
Klinsmann hatte den Posten am 27. November von Ante Covic übernommen. In dem Schreiben für Klinsmann heißt es: "Der Klub wäre ohne den Trainerwechsel Ende November direkt in die 2. Liga abgestiegen, weil er auf diese Situation gar nicht vorbereitet ist." Klinsmann, der als Cheftrainer des FC Bayern München 2008/09 schon vor Ablauf der Saison gescheitert war, pries den "Big City Club der Zukunft". Die Spieler lobten wiederum den ehemaligen Bundestrainer Klinsmann für dessen motivierende und aufbauende Art.
Klinsmann kassierte in der Liga mit der Mannschaft drei Niederlagen, schaffte drei Unentschieden und feierte drei Siege. Im DFB-Pokal schied er im Achtelfinale mit den Berlinern gegen den FC Schalke 04 aus. Am 11. Februar erklärte Klinsmann sein Engagement völlig überraschend wieder für beendet und stürzte den Verein nach ohnehin schon turbulenten Wochen und Monaten ins Chaos.
Hertha reagierte und sah auch keine Grundlage mehr für eine Zusammenarbeit mit Klinsmann im Aufsichtsrat. Dort hatte Investor Lars Windhorst Klinsmann zunächst installiert, ehe die Trennung von Covic den Weg auf die Trainerbank frei gemacht hatte.
Seinen Rücktritt hatte Klinsmann bei Facebook erklärt und seinen Entschluss mit fehlendem Vertrauen begründet. Die Vorwürfe in dem Protokoll gehen darüber weit hinaus und machen auch vor verbalen Angriffen auf handelnde Personen nicht halt. Geschäftsführer Michael Preetz werden zum Beispiel "katastrophale Versäumnisse" in allen Bereichen, die mit Leistungssport zu tun haben, unterstellt. Eine "Lügenkultur" soll auch das Vertrauensverhältnis der Spieler zu Preetz zerstört haben.
Fehler, die Klinsmann in seiner kurzen Zeit gemacht haben könnte, werden in dem Schreiben nicht thematisiert. Dagegen steht unter der Überschrift: "Was muss passieren, um diesen Klub wirklich nach oben zu bringen? Die Geschäftsleistung müsse sofort (fettgedruckt und unterstrichen) komplett ausgetauscht werden."
(rt/dpa)