Bei der Bürgerschaftswahl in Hamburg hat die AfD entgegen anderslautender Prognosen doch den Einzug in die Bürgerschaft geschafft, und dies relativ deutlich. Nach der "vereinfachten Zählung" des Hamburger Landeswahlamtes kam die Partei auf 5,3 Prozent der Stimmen, 0,8 Prozent weniger als bei der letzten Wahl 2015. Die in ARD und ZDF um 18 Uhr veröffentlichten Umfragen hatten die Partei noch bei 4,7 bzw. 4,8 Prozent gesehen, womit sie den Wiedereinzug verpasst hätte.
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Die politische Konkurrenz und der mediale Mainstream bejubelten das vermeintliche Scheitern der AfD zum Teil mit Inbrunst. Auf der Wahlparty der SPD wurde das vorhergesagte Scheitern der AfD stärker gefeiert als das Ergebnis der eigenen Partei. Auch im ARD-Studio war beim Verkünden der AfD-Prognose Jubel zu hören. Die Tagesspiegel-Kolumnistin Liane Bednarz freute sich auf Twitter über die zeitliche Nähe zwischen der Hamburger Wahl und den Morden von Hanau:
Weil hier im Angesicht von Hanau der AfD umgehend die rote Karte gezeigt werden konnte.
Nachdem ihr Wiedereinzug in die Bürgerschaft feststand, spottete die AfD über diese voreiligen und "entlarvenden" Reaktionen.
Über das Abschneiden der FDP besteht bislang noch keine Klarheit. Laut Landeswahlamt kam die Partei auf genau 5,0 Prozent – 2,4 Prozent weniger als bei der letzten Wahl. Damit würde die Partei die Fünfprozenthürde knapp überspringen. Allerdings bestehen an dem Ergebnis wegen einer möglichen Verwechslung bei der Stimmerfassung im Wahlbezirk Hamburg-Langenhorn Zweifel. In einem Wahllokal dort kamen die Liberalen nach der vereinfachten Auszählung am Sonntagabend auf 22,4 Prozent, die Grünen hingegen nur auf 5,1 Prozent – eine Umkehrung der sonst in Hamburg verzeichneten Ergebnisse. Der Landeswahlleiter Oliver Rudolf erklärte gegenüber der Nachrichtenagentur dpa:
Auffällig ist das auf jeden Fall. Den Hinweis, dass es eine Auffälligkeit gibt, habe ich auch schon weitergegeben.
Sollte es tatsächlich eine Verwechslung bei der Zuordnung gegeben haben, würden auf die FDP 423 Stimmen weniger entfallen. Da die Liberalen nach den vorläufigen Zahlen nur 121 Stimmen über der Fünfprozenthürde liegen, könnten sie den Einzug in die Bürgerschaft verfehlen. "Das kann durchaus ausschlaggebend sein", so Rudolf. Alle Stimmen würden am Montag aber ohnehin erneut ausgezählt, so dass ein Irrtum dann auch festgestellt würde.
Stärkste Kraft wurde nach Auszählung der Landesstimmen deutlich die SPD. Die Partei von Bürgermeister Peter Tschentscher verlor zwar deutlich (minus 6,6 Prozent), lag aber mit 39 Prozent deutlich vor dem grünen Regierungspartner, der auf 24,2 Prozent kam (plus 11,9). Damit konnten die Grünen zwar ihr Ergebnis fast verdoppeln, dennoch verfehlten sie das ausgegebene Ziel, stärkste Kraft zu werden und den Regierungschef zu stellen, deutlich. Zusammen verfügt Rot-Grün über eine klare Mehrheit; es ist mit einer Fortsetzung von der Koalition zu rechnen.
Die CDU büßte erneut deutlich an Stimmen ein und kam auf 11,2 Prozent (minus 4,7). 2004 hatte die Partei noch 47,2 Prozent erreicht. Die Linke erreichte 9,1 Prozent und legte nur leicht zu (0,6 Prozent).
Die Hamburger Parteichefs werden am Montag in Berlin erwartet. Bürgermeister Tschentscher will sich am Vormittag in der SPD-Zentrale feiern lassen. Die neuen Parteivorsitzenden Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans haben das Ergebnis bereits als Erfolg ihrer Arbeit gewertet, obwohl sie beim Wahlkampf in der Hansestadt auf Wunsch der Hamburger Genossen nicht präsent waren.
Die Grünen-Spitzenkandidatin Katharina Fegebank wird am Mittag mit der Bundesvorsitzenden Annalena Baerbock vor die Presse treten. Hamburgs CDU-Spitzenkandidat Marcus Weinberg wird mit der scheidenden Bundesvorsitzenden Annegret Kramp-Karrenbauer auftreten. Die Lage der Union wird durch das Hamburger Debakel noch schwieriger.
Kritik gab es am Hamburger Wahlsystem, das am Wahlabend selbst mit dem "vereinfachten Verfahren" nur eine Vorabzählung der Stimmen vorsieht. Die rechtlich relevante Auszählung aller Stimmen wird erst am Montag erfolgen.
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