"Riesen-Schweinerei" hier, Steuergeschenk da: Bundesfinanzminister versus Bürgermeister Olaf Scholz

Cum-Ex ist der größte Steuerraubzug der deutschen Geschichte. Was für den Finanzminister Scholz nach eigener Aussage eine "Riesen-Schweinerei" auf Kosten des Gemeinwesens ist, war laut dem Hamburger Bürgermeister Scholz offenbar kein Anlass zur Sorge für involvierte Finanzbetrüger.

Scharfe Worte fand Bundesfinanzminister Olaf Scholz noch im Dezember bei einer Podiumsdiskussion, die die Organisation WEED zusammen mit dem Netzwerk Steuergerechtigkeit und Transparency Deutschland unter dem Titel "Cum-Ex: Der organisierte Griff in die Staatskasse"organisiert hatten.

Als " frech und dreist, verachtenswert" verurteilte Scholz die Steuer-Abzocke, mit dem in- und ausländische Investoren und Banken den Bund um mehrere Milliarden betrogen und welche die Justiz noch Jahre später beschäftige.

Einig sei man sich sicher über eines:

Cum-Ex war eine Riesen-Schweinerei. Aufwändige Modelle zu konstruieren, um sich Steuern 'rück'-erstatten zu lassen, die man nie gezahlt hat: Mir ist völlig schleierhaft, wie man das für legal oder gar legitim halten kann.

Empört sei er, handele es sich bei Cum-Ex doch um "ein besonders perfides Beispiel, wieviel Energie manche investieren, um sich auf Kosten des Gemeinwesens zu bereichern. In der Tat handelt es sich bei Cum-Ex um den bisher größten bekannten Steuerskandal der Geschichte der Bundesrepublik, daneben wurden außerdem Cum-Cum und Cum-Fake durch Medienrecherchen bekannt.

Jahrelang missbrauchten Investoren eine Lücke im Gesetz, schoben Aktien mit ("cum") und ohne ("ex") Ausschüttungsanspruch rund um den Dividendenstichtag zwischen mehreren Beteiligten hin und her, damit der Fiskus der Überblick verliert und so am Ende in Milliardenhöhe Kapitalertragsteuern erstattete, die gar nicht gezahlt worden waren.

Nach aktuellen Recherchen von ARD Panorama und Die Zeit hätte die Stadt Hamburg sich immerhin 47 Millionen Euro von der Warburg-Bank erstatten lassen können, verzichtete aber darauf. Demnach trafen sich mehrere Entscheidungsträger des Stadtstaates mit Warburg-Bankern, während gegen diese wegen Cum-Ex-Geschäften ermittelt wurde – darunter auch Olaf Scholz in seiner damaligen Funktion als Hamburgs Erster Bürgermeister, die er zwischen 2011 und 2018 innehatte.

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Bereits im Jahr 2016 war die Hamburger Finanzbehörde von Ermittlern und dem Bundesfinanzministerium darauf hingewiesen worden, dass die Warburg-Bank in die Cum-Ex-Deals verwickelt war und sich so auf Kosten der Allgemeinheit im Jahr 2009 rund 47 Millionen Euro angeeignet hatte. Zudem hatte früher im gleichen Jahr die Kölner Staatsanwaltschaft die Geschäftsräume der Bank wegen des Verdachts auf Steuerhinterziehung durchsuchen lassen.

Gehandelt haben die Hamburger Behörden aber nicht, das Risiko eines Rechtsstreits mit der größten Privatbank wollte man nicht tragen. Dabei drohte zum Ende des Jahres 2016 die Verjährung der Forderungen, bei denen immerhin ein anteiliger Ausgleich zugunsten des Gemeinwesens, welches Scholz jüngst so am Herzen zu liegen scheint, möglich gewesen wäre. Den Berichten zufolge verzichteten die Beamten auf das Geld, weil die vorgesetzte Finanzbehörde es so wollte – damals geführt vom heutigen Ersten Bürgermeister Hamburgs: Peter Tschentscher. Er steht mitten im Wahlkampf um seine Wiederwahl in der kommenden Woche.

Bürgermeister Scholz und andere SPD-Spitzenpolitiker trafen sich vielmehr – trotz laufender Ermittlungen – im Jahr 2017 mit Christian Olearius, Mitinhaber und bis Ende 2019 Aufsichtsratsvorsitzender der Hamburger Privatbank. Das geht aus bei Durchsuchungen beschlagnahmten Tagebüchern von Christian Olearius hervor. Auszüge daraus sind Bestandteil der Ermittlungsakte der Staatsanwaltschaft Köln. Bei den Treffen ging es demnach um die steuerlichen und strafrechtlichen Probleme, die der Bank aus ihren Cum-Ex-Geschäften erwachsen waren.

Scholz hatte bisher Treffen mit Vertretern der Warburg-Bank im Zusammenhang mit Cum-Ex-Ermittlungen und Steuerverfahren abstreiten lassen. Die Hamburger Senatskanzlei antwortete konkret auf eine Anfrage der Linken in der Hamburger Bürgerschaft im November 2019: "Nein", dazu habe es weder mit Olaf Scholz noch mit anderen Senatsmitgliedern Gespräche mit Vertretern der Warburg-Bank gegeben".

Laut den Tagebuchaufzeichnungen jedoch hat Olearius den Bürgermeister Scholz bei einem Treffen im November 2017 über den Sachstand des Ermittlungsverfahrens und des Steuerverfahrens gegen Warburg unterrichtet. Demnach interpretierte Olearius die Reaktion von Scholz so, dass die Bank und Olearius sich "keine Sorgen zu machen brauchen".

"Schließlich sind wir Konsorten", hatte der Hamburger Bürgermeister Olaf Scholz im Jahr 2012 zu Olearius 70. Geburtstag  feierlich erklärt und bezog sich dabei auf das Konsortium, welches Warburg mit städtischer Beteiligung zum Einstieg bei der Reederei Hapag-Lloyd gebildet hatte:

Die Weiterentwicklung und Stärkung des Finanzplatzes Hamburg – mit den fast 50.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern im Kredit- und Versicherungsgewerbe – liegt dem Senat der Freien und Hansestadt Hamburg sehr am Herzen.

Es sei ihm daher ein persönliches Anliegen, durch intensive Zusammenarbeit mit der EU-Kommission eine tragfähige Lösung für die HSH Nordbank zu finden, die deren Weiterbestand dauerhaft sichert und die Schiffsfinanzierung als weiteres Standbein auch weiterhin ermöglicht.

Aus den Tagebüchern von Christian Olearius geht weiterhin hervor, dass er im Dezember 2017 ein Treffen mit dem haushaltspolitischen Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion Johannes Kahrs hatte. Auch der damalige Hamburger Innensenator Alfons Pawelczyk (SPD) soll teilgenommen haben. Kurz zuvor hatte das Bundesfinanzministerium die Hamburger Finanzbehörde erinnert, nicht erneut Cum-Ex-Steuererstattungen in Höhe von mehr als 43 Millionen in die Verjährung laufen zu lassen, sondern das Geld von Warburg zurückzufordern. Ebendieser außergewöhnliche Vorgang zwischen dem BMF und der Hamburger Finanzbehörde soll besprochen worden sein. Kahrs wollte demnach erfahren: "Was treibt das Ministerium?" Kahrs dementierte dies jedoch auf Anfrage der ARD. Olearius ließ über seine Bank erklären:

Zum normalen und wünschenswerten Dialog zwischen Politik und Wirtschaft gehört der persönliche Austausch, weshalb wir uns seit jeher zu verschiedensten Themen mit Politikern treffen. Dabei halten wir unsere Leitlinien und gesetzliche Regelungen ein.

Die Warburg-Bank war in den Jahren 2007 bis 2011 in Cum-Ex-Geschäfte verwickelt, bestreitet aber jede rechtswidrige Absicht. Gegenwärtig läuft am Landgericht Bonn ein Strafverfahren, an dem auch die Warburg-Gruppe beteiligt ist, gegen zwei Londoner Aktienhändler wegen deren Beteiligung an Cum-Ex-Geschäften. Die Bank selbst ist nicht als Täter oder Teilnehmer angeklagt. Sollten die beiden Angeklagten verurteilt werden, müssten auch die im Prozess beschuldigten Finanzinstitute die durch die Cum-Ex-Masche erlangten Taterträge zurückzahlen. Die Warburg-Bank nannte jüngst zwei Tatkomplexe: Von 2007 bis 2011 habe die Bank umstrittene Geschäfte mit einem Gewinn von 68 Millionen Euro getätigt, wobei die erstattete Kapitalertragssteuer 169 Millionen betrug. Den größten Teil der Beträge hätten andere Marktteilnehmer erhalten, gegen die zum Teil Ermittlungsverfahren geführt würden.

Zudem habe die Warburg Invest Holding GmbH (heute Warburg Invest AG) zwei Sondervermögen verwaltet und im Zusammenhang mit Cum-Ex-Geschäften 780.000 Euro Verwaltungsgebühren eingenommen. Dabei ging es um Kapitalertragssteuern von 109 Millionen Euro. Der Ertrag sei den Sondervermögen und damit Fondsanlegern zugutegekommen. Das Gericht kann somit 278,8 Millionen Euro einfordern.

Steuerrechts-Experte Christoph Spengel, der an der Universität Mannheim die Fakultät für Betriebswirtschaftslehre leitet, verweist im Interview mit RT Deutsch auf die "erschütternde" Tatenlosigkeit der zuständigen Behörden, vor allem des Finanzministeriums, im langjährigen Cum-Ex-Skandal.

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