von Wladislaw Sankin
Mit diesen Fragen hat sich RT Deutsch während der Russland-Konferenz der Rosa-Luxemburg-Stiftung in Berlin an mehrere hohe Parteifunktionäre gewandt. Das dreitägige deutsch-russische Forum der linken Kräfte fand letzte Woche nur wenige Tage nach dem Eklat in Leipzig statt. Die Leipziger Linksjugend postete am Rande des Landesparteitages einen längeren Text mit der Überschrift "Kein Frieden mit Russland" auf Facebook. Danach wurde er gelöscht und als "Keine Solidarität mit Russland" neu veröffentlicht.
Bei der Fragestellung war deutlich zu erkennen: Das Problem beschäftigt die Partei. Man kann sogar sagen, die Frage hat einen Nerv getroffen, denn auch die russischen Gäste waren über das Leipziger "Facebook-Ereignis" gut informiert.
Diese Diskussion mit der Leipziger Linksjugend zu Russland hat uns sehr beeindruckt. Wir sehen, dass dies eines der Topthemen im Umfeld derjenigen ist, mit denen wir zusammenarbeiten. Es sollte mehr solche Diskussionen geben. Ich möchte aber betonen, dass die Fragen der sozialen Gerechtigkeit und der Rechte der Werktätigen im Fokus bleiben müssen", sagte Boris Krawtschenko, Vorsitzender der Gewerkschaft "Konföderation der Arbeit".
Der außenpolitische Sprecher der Linksfraktion im Deutschen Bundestag Stefan Liebich sagte, der Generationenkonflikt ist nicht wirklich parteispezifisch und betrifft vor allem in Ostdeutschland viele Familien. Seine Familie mit Eltern und Großeltern sei dafür typisch, denn alle seien mit der russischen Sprache und Kultur groß geworden. Leute aus diesen Generationen, ihn selbst eingeschlossen, hätten eine Neigung zur Relativierung, Nachfrage oder sogar Entschuldigung bei der Besprechung russischer Probleme. Verständnis für Russland sei aber nichts Schlechtes.
Für die heutigen 20-Jährigen ist Wladimir Putin und seine Regierung einer der vielen autoritären Herrscher, die es auf der Welt gibt. Sie fragen uns, wieso versucht ihr, uns die konservativen Werte, die es in Russland gibt, so umständlich zu formulieren, was man bei keinem anderen Land sonst machen würde.
Dieser natürliche Generationenkonflikt habe aber kein Spaltungspotenzial. "Diese Debatte begleitet uns seit Anfang der 1990er-Jahre", so Liebich weiter. Solange der Dialog zwischen den jüngeren, mittelalten und erfahrenen Genossen stattfinde, werde das die Linke nicht spalten.
Auch, wenn es manchmal etwas scheppert. Das müssten wir aushalten und das können wir aushalten", so der Abgeordnete.
Ähnlich sieht es auch der Bereichsleiter für Internationale Politik Oliver Schröder. Im Gespräch wies er darauf hin, dass die Situation in den Landesverbänden unterschiedlich sei: "Wir haben auch orthodoxe Jugendverbände."
Der Bundestagabgeordnete André Hahn betonte als Zeuge der Debatte auf dem sächsischen Parteitag in Leipzig, dass in der Resolution mit der Formulierung "Frieden mit Russland, Europa und der Welt" ein Kompromiss gefunden wurde.
"Russland sollte ausdrücklich wegen der Sanktionen genannt werden, was aber nicht heißt, dass wir alles toll finden, was in Russland passiert", so Hahn. Dieser Post sei ein Alleingang gewesen, davon habe sich die Landespartei ausdrücklich distanziert.
Kerstin Kaiser, die das Büro der Rosa-Luxemburg-Stiftung in Moskau leitet, sieht bezüglich der Russland-Frage keinen Generationenkonflikt in der Partei, sondern hält das Geschehene eher für einen Ausdruck davon, dass "wir unsere Hausaufgaben nicht gemacht haben".
Diese bestünden darin, den Austausch der deutschen und russischen linken Jugend mehr zu fördern, nunmehr auch in den "Problemzonen" wie Leipzig. "Es kommt eher auf die Erfahrung mit dem Land und nicht unbedingt auf das Alter an."
Aber auch die auf Bundesebene bislang fehlende Positionierung der Partei zu der Tatsache, dass Russland faktisch zum Feind Deutschlands und der EU erklärt wurde, sei ein Problem, das die Jugend desorientiert.
Diese Worte fielen bei einer offenen Podiumsdiskussion. Zum Abschluss schlug der im Saal anwesende ehemalige SPD-Politiker und derzeitige Aktivist der Städtepartnerschaft zu Städten auf der Krim Jörg Tauss vor, dass eine hochrangige Parteidelegation endlich die russische Krim besucht – ohne den Gegenwind der Presse zu scheuen. Liebich ging auf den Vorschlag nicht ein.
Da die Russland-Konferenz mehrere Tage dauerte, gab es auch für Ton- und Videoaufzeichnungen nicht freigegebene runde Tische und Seminare mit deutschen und russischen Teilnehmern. Da war mehr Kritisches zum gleichen Thema zu hören, auch von russischer Seite. Die Wahrnehmung Russlands sei bereits seit mehreren Jahrzehnten nicht adäquat, sagte der russische Politikwissenschaftler und linke Aktivist Boris Kagarlitzki:
Russland ist inzwischen ein typisches kapitalistisches Land und eine typische Klassengesellschaft, aber viele sehen in Russland entweder die Sowjetunion oder das zaristische Russland.
Mehrere russische Teilnehmer des Forums wiesen darauf hin, dass das im Westen, aber auch ganz konkret in Deutschland gepflegte Feindbild Russland die Russen sehr irritiert und enttäuscht:
Antirussische Hysterie stört unsere Zusammenarbeit.
Schröder bemängelte die schwache internationale Vernetzung der linken Kräfte untereinander.
Da ist das Kapital viel internationalistischer als wir", sagte er.
Die Aussagen von Wulf Gallert, dem Vizepräsidenten des Landtags von Sachsen-Anhalt, brachten das linke Russland-Dilemma auf den Punkt: Die Linke ist zwischen dem neoliberalen antirussischen Mainstream, berechtigter Kritik an den in Russland Herrschenden und der Zusammenarbeit mit der russischen linken Opposition gefangen.
Er gab zu, dass es antirussische Ressentiments bei den Linken gibt, und erinnerte daran, dass liberale Freiheiten wie LGBT-Rechte auch ein linkes Projekt sind.
Ich bin dafür, sich für die Rechte der Homosexuellen einzusetzen. Das tue ich als Linker. Aber das ist kompliziert, da es bei den Linken verschiedene Perspektiven auf Russland gibt", sagte Gallert.
Auch der frühere Abgeordnete der Linkspartei und ehemalige westdeutsche Kommunist Wolfgang Gehrke war bei einer Diskussion dabei. Bislang setzte er sich wahrscheinlich am stärksten für eine Verständigung mit Russland ein. Nun ist er Politrentner. Das Hinausdrängen Russlands aus der linken Szene nannte er einen großen Fehler und die Ursache für hohe Stimmenverluste der Partei in Sachsen und Brandenburg.
Die Belehrungen aus Deutschland über Sexualpolitik und Demokratie sind nicht angebracht. Manche Konservative machen derzeit sogar bessere Friedenspolitik als manche Linken", so Gehrke.
Den gleichen kausalen Zusammenhang zwischen der Positionierung zu Russland und Wahlerfolg im Osten des Landes stellte auch die bekannte russische Politologin Veronika Krascheninnikowa her. Sie gehört dem politischen Expertenrat der regierenden Partei Einiges Russland an. Als Mitglied der russischen Gesellschaftskammer setzt sie sich in letzter Zeit verstärkt für typisch linke Themen wie soziale Gerechtigkeit und die Rehabilitierung des Sowjet-Erbes ein.
Das politische Vakuum kann wie jedes andere Vakuum nicht lange leer bleiben. Als der Westen Russland im Jahr 2014 einer Blockade ausgesetzt hat, füllten neu entstandene oder marginale europäische rechte Kräfte diese Leere und versuchten sich durch Anerkennung Russlands internationales Ansehen zu verschaffen", sagte Krascheninnikowa.
So habe sich die AfD als vermeintlich russlandfreundliche Partei gerade in jenen Regionen Deutschlands etabliert, in denen die Wähler traditionell stark für Kooperation und Freundschaft mit Russland eintreten. Dabei seien die Rechten keineswegs wahre Freunde Russlands.
Wir haben 20 Millionen Muslime, ihre Rhetorik gegenüber Menschen islamischen Glaubens ist bei uns strafbar. Aber vor allem ihr Geschichtsrevisionismus ist für Russland nicht akzeptabel", betonte die Politologin.
Das waren einige der Stimmen zur Russland-Problematik. Bei der deutsch-russischen Konferenz herrschte eine freundliche Arbeitsatmosphäre, man schmiedete Pläne für eine weitere Kooperation der linksorientierten Kräfte. Die Frage nach den Eigentumsverhältnissen stelle jedoch niemand, es ging darum, die sozialen und gesellschaftlichen Verhältnisse zu verbessern und effektiver für die Rechte der Werktätigen zu kämpfen.
Von der Einsicht, dass die Linkspartei sich mit ihren Debatten über den Umgang mit Russland in die Bedeutungslosigkeit manövriert, war nicht viel zu spüren, zumindest bei den Entscheidungsträgern in der Partei. Die Linkspartei sei eine verlangsamte politische Stimmungsbremse, was an ihrem Patchwork-Charakter, der Überalterung und einem zum politischen Mainstream driftenden jugendlichen Karrierismus liege, warnte der Publizist Hermann Ploppa noch vor zwei Jahren in einem Artikel.
Nun ist die Warnung Realität geworden: Die aufgezeigten Trennlinien zwischen den ehemaligen SED-, DKP- und PDS-Mitgliedern, SPD-Überläufern und Gewerkschaftsfunktionären der WASG sowie jungen Kräften sind sichtbarer geworden. Stimmenverluste bei Wahlen in den einstigen Hochburgen der Linken fielen sogar verheerender aus als erwartet. Es ist daher umso fraglicher, ob von dieser "Patchwork-Familie" zukunftsträchtiger politischer Nachwuchs mit einer klaren Linie in der Russland-Politik zu erwarten ist.
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