Der Machtkampf um die künftige SPD-Führung wird mit harten Bandagen ausgetragen. Während die nach der ersten Runde des Mitgliederentscheids übriggebliebenen Kandidatenduos Olaf Scholz und Klara Geywitz sowie Norbert Walter-Borjans und Saskia Esken auf offener Bühne ausgesucht höflich miteinander umgehen, geht es hinter den Kulissen offenbar weniger fair zur Sache.
Das Nachrichtenportal t-online.de berichtet von Manipulationen der Wikipedia-Artikel, die sowohl in der Partei als auch in der Wikipedia-Gemeinde für Unmut sorgen. Der Wikipedia-Autor Sciman veränderte die Artikel zu Scholz und Geywitz mehrmals zum Positiven, den von Walter-Borjans zum Negativen. Hier findet sich beispielsweise eine ausführliche Diskussion um die Veränderung im Artikel zu Walter-Borjans.
Nach Informationen des Portals verbirgt sich hinter Sciman der SPD-Politiker Simon Vaut. Dieser war Spitzenkandidat der Brandenburger SPD für die Wahl zum EU-Parlament. Zwei Monate vor der Wahl kam allerdings heraus, dass Vaut über seinen Wohnort und eine angebliche Freundin gelogen hatte. Der 41-Jährige arbeitet im Bundeswirtschaftsministerium, vorher war er Redenschreiber für Sigmar Gabriel und Referent der SPD-Bundestagsfraktion.
Auf Twitter verteilte Vaut Likes für Berichte, in denen Scholz und Geywitz positiv und Walter-Borjans negativ dargestellt wurden. Der Autor Sciman erklärte gegenüber anderen Wikipedia-Autoren, keine politische Agenda zu verfolgen. Vaut wollte sich gegenüber t-online.de nicht zu den Vorwürfen äußern.
Die Plattform zitiert einen Wikipedia-Aktivisten mit der Aussage, dass durch ein derartiges Vorgehen und das folgende "Tauziehen" über die Änderungen der Ruf der Wikipedia Schaden nehmen könne. Allerdings muss dieser Ruf ohnehin als beschädigt gelten, seitdem die Journalisten Markus Fiedler und Dirk Pohlmann in ihren "Geschichten aus Wikihausen" in großem Stil Manipulationen und Fälschungen auf Wikipedia aufgedeckt haben.
Was die SPD betrifft, so fügen sich die aufgeflogenen Manipulationen der Wikipedia-Artikel in das Gesamtbild ein, dass der übergroße Teil des politisch-medialen Mainstreams sich für einen Sieg von Olaf Scholz ins Zeug legt – und damit für ein Fortbestehen der "Großen Koalition".
Der inhaltlich dünne Kompromiss zur sogenannten Grundrente scheint eher dafür geeignet zu sein, durch die Bekämpfung von Symptomen den Koalitionsstreit beizulegen, anstatt grundlegende Probleme im Rentensystem zu lösen. Der Kompromiss wurde beiderseits ungewöhnlich lautstark bejubelt und sowohl als "Sieg" der SPD wie auch als Punktgewinn für Scholz im innerparteilichen Wahlkampf bewertet.
Auch die herkömmlichen Medien mobilisieren für Scholz. Der Morgenlage-Newsletter des Tagesspiegel pries Scholz am Donnerstagmorgen mit diesem überschwänglichen Stück Prosa:
Wer den Vizekanzler in diesen Tagen im persönlichen Gespräch erlebt, erlebt einen Mann, der die Faust ballt, mit Leidenschaft kämpft und einen klaren Plan hat, wofür die SPD noch gebraucht wird … Er hat genug vom Selbst-Schlechtreden der Genossen und des Landes – wie heißt noch sein Buch, das er als Blaupause sieht? "Hoffnungsland." Auch seine persönliche Hoffnung auf SPD-Vorsitz und Kanzlerkandidatur scheint zu wachsen.
Beispielhaft für die Darstellung Walter-Borjans ist ein Meinungsartikel im Spiegel der vergangenen Woche, der den Kandidaten unter der Überschrift "Der Nowabofakis vom Rhein" als haushaltspolitischen Hallodri und unseriösen Politiker darstellt.
Tatsächlich gilt Scholz mit seiner Mitkandidatin Geywitz, die allerdings nicht nur in den Medien eine untergeordnete Rolle spielt, mittlerweile als Favorit für die zweite Runde der SPD-Mitgliederbefragung, die noch bis Ende November läuft. Allerdings ist der Frust an der Basis groß, und mit einem Parteivorsitz von Olaf Scholz entstünde der Eindruck, dass man sich mit dem größtmöglichen Aufwand ein halbes Jahr lang im Kreis gedreht hat. Es wäre ein "Weiter so", das den Niedergang der SPD beschleunigen und besiegeln dürfte.
Mit Walter-Borjans dagegen scheint wenigstens die Möglichkeit einer programmatischen und inhaltlichen Neuaufstellung der Partei gegeben. Dass der Mainstream ihm so ablehnend gegenübersteht und hinter den Kulissen gegen ihn geschoben wird, könnte dem Kandidaten am Ende an der Basis nützen.
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