In der Tierhaltung klaffen hierzulande enorme Abgründe zwischen den Forderungen vieler Bürger nach Tierwohl und dem, was der Staat dafür tut. Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klöckner (CDU) schmückt sich und die Bundesregierung in öffentlichen Auftritten gern mit dem vermeintlichen Einsatz für den Tierschutz. Zeitweise fällt die Betonung auf die Bedeutung der Bienen, dann soll ein Tierwohllabel "den Verbrauchern eine verlässliche Orientierung geben, wieviel Tierwohl in den Produkten steckt" – dies jedoch auf freiwilliger Basis.
Die negativen Folgen der Massentierhaltung für die Tiere und die Gesundheit der Anwohner sowie der Verbraucher, deren Schutz ebenfalls zu Frau Klöckners Aufgabengebiet zählt, sind bekannt. Immerhin, so lobt sich die Ministerin selbst, habe man in der Thematik bereits die gesellschaftspolitische Debatte und damit auch Diskussionen in Verbänden angestoßen, also bereits jetzt etwas bewirkt.
Die Forderung der SPD nach einer verpflichtenden Tierwohlkennzeichnung, um so auch den Landwirten mehr Planungssicherheit zu geben, hat Klöckner Ende Juni zurückgewiesen. Der SPD-Fraktionsvize Matthias Miersch bezeichnete Klöckners Aktionismus als "öffentlichkeitswirksame Ankündigungspolitik ohne Substanz".
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Fakt ist, dass die Haltung von Nutztieren hierzulande zumeist wenig bis gar nichts mit Tierwohl zu tun hat. Wiederholt werden Fälle von grausamsten Misshandlungen in Geflügelmastanlagen, Milchviehbetrieben, Schweinemastställen, Tierlaboren bekannt, welche kurzzeitig Wellen der Empörung durch die Republik senden. Ans Licht gebracht werden solche Fälle schwerer Tierschutzverstöße nicht selten erst durch heimliche Aufnahmen von Aktivisten, beispielsweise der Soko Tierschutz, die sich dafür selbst in Gefahr bringen.
Tierwohlrethorik versus immer neuen Beweisen von Misshandlungen
Gleichzeitig ist Tierquälerei jedoch trauriger Alltag. Nicht die skandalösen Misshandlungen, von denen viele nicht ans Licht kommen und einige sogar von Veterinärämtern gedeckt werden, sondern beispielsweise auch bei der politisch gewollten Ferkelkastration ohne Betäubung, bei Tiertransporten, bei Tierversuchen und dem ebenfalls politisch gedeckten und vom Bundesverwaltungsgericht abgesegneten Zerschreddern von Küken.
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Jüngst beleuchteten Medienberichte das Schicksal von Millionen Ferkeln und Mastschweinen, die noch vor ihrer Schlachtung elendig verenden oder teilweise totprügelt werden. Jedes fünfte Schwein hierzulande, immerhin 13,5 Millionen an der Zahl, schafft es aufgrund der fürchterlichen Lebens- und Haltungsbedingungen der industriellen Landwirtschaft nicht einmal bis zum Schlachtalter von sechs bis sieben Monaten. Nottötungen, also der Umstand, dass Nutztieren vor ihrer Schlachtung tiermedizinisch nicht mehr geholfen werden kann und sie von ihrem Leid erlöst werden müssen, kommen im landwirtschaftlichen Alltag immer wieder vor, heißt es in Agrarheute des Deutschen Landwirtschaftsverlags.
Deshalb gibt es für das Tötungsverfahren gesetzliche Regelungen. Nach Paragraph 4 des Tierschutzgesetzes darf ein Wirbeltier nur unter wirksamer Schmerzausschaltung (Betäubung) von einer sachkundigen Person getötet werden.
Stattdessen zeigen heimliche Aufnahmen erneut, wie kranke Schweine in deutschen Großbetrieben mangelhaft oder gar nicht betäubt werden und langsam und qualvoll verenden müssen, oder gar von abgebrühten Mitarbeitern gänzlich ohne Betäubung – bereits durch Krankheit bewegungsunfähig – mit einem Holzknüppel verdrescht werden, ohne dass jemand einschreitet. Sieben Mal schlägt ein Mann dem bereits bewegungsunfähigen Tier auf den Schädel. Die Aufnahmen wurden zwischen Februar und März dieses Jahres in zwei Betrieben gemacht und der Tierrechtsvereinigung Animals Rights Watch e.V. (ARIWA) zugespielt.
Das Tier in dem jetzt veröffentlichten Video aus dem Schweinemastbetrieb Woosmerhofer Landerzeuger in Vielank, Mecklenburg-Vorpommern, stirbt dadurch nicht etwa, sondern steht später noch einmal auf. Letztendlich stirbt es, jedoch erst nachdem das Bolzenschussgerät am Kopf des Tieres zum Einsatz kommt – allerdings auch erst nach weiteren qualvollen Minuten. Statt des gesetzlich vorgesehenen Zeitrahmens von nur wenigen Sekunden wird das geschundene Tier, das seine Hinterbeine bereits zuvor nicht mehr bewegen konnte, mehr als 30 Minuten lang in den Tod gequält.
Weitere Fälle zeigen, dass auch an anderen Orten Tiere ihr Dasein in Krankenbuchten fristen müssen. Sie werden teils gequält und verprügelt und die Schussvorrichtungen nicht fachgerecht eingesetzt.
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Diese Bilder sind aber nicht die Ausnahme, sondern eher die Regel, wonach das Tierwohl auch in deutschen Großbetrieben nicht selten mit großem Abstand hinter die Wirtschaftlichkeit gestellt wird. Sandra Franz, Sprecherin von Animal Rights Watch, meint, dass die Vernachlässigung offensichtlich schmerzhaft kranker Tiere gängige Praxis in den an Umsatz orientierten Großbetrieben sei:
Die betroffenen Tiere sind von vornherein als 'Verluste' einkalkuliert. Da eine Behandlung der Tiere nicht rentabel wäre, werden sie einem langsamen und leidvollen Tod überlassen.
Videoaufnahmen aus der gleichen Quelle aber aus einem anderen deutschen Betrieb zeigen, wie Schweine nach dem Einsatz eines Bolzenschussgeräts noch lange nicht tot sind und auch nicht durch den gesetzlich vorgesehenen Entblutungsschnitt in der vorgesehenen Zeit von 20 Sekunden getötet werden.
Tiere sind günstige Waren und grausamer Verlust einkalkuliert
Agrarministerin Klöckner reagierte erwartungsgemäß empört auf diese Berichte und verweist unter anderem auf die Verantwortung der Bundesländer und deren Behörden, da nur diese "die Vor-Ort-Kontrollen gewährleisten können". Klöckner wörtlich:
Ich habe bereits mehrfach deutlich gemacht, dass derjenige, der Tiere quält und sie in elendem Zustand verenden lässt, bestraft werden muss. Solche Leute haben kein Herz für Tiere und machen das Image einer ganzen Branche kaputt. Berufsverbote müssten die Folge sein. Hier erwarte ich auch von der Branche, dass sie sich klar und hörbar abgrenzt von den schwarzen Schafen.
Die Bundesministerin forderte die Länder auf, ihre Personal- und Kontrolldichten zu verbessern. Dass sich mit einer solchen Politik und dem Herumreichen des schwarzen Peters kaum etwas ändern dürfte, zeigt sich auch daran, dass einige der Aufnahmen aus einem Betrieb der Spreefa GmbH stammen, die zur LFD Holding (Landwirtschaftliche Ferkelzucht Deutschland) gehört. Diese hat die Betriebe des berüchtigten niederländischen "Schweinebarons" Adrianus Straathof weiter geführt, gegen den seit dem Jahr 2014 in Deutschland ein Tierhalteverbot besteht. Auch wenn Straathof offiziell nicht mehr involviert ist und seine LFD-Anteile an einen Treuhänder abgab, können auch Jahre später derartige Missstände nachgewiesen werden.
Anzeige gegen Tierschützer
Die Spreefa GmbH habe auf Nachfrage mitgeteilt, die gefilmten Situationen zeigten, dass "Nottötungen nicht sachgerecht durchgeführt" würden, heißt es im Spiegel. Dem betreffenden Mitarbeiter sei gekündigt worden. Dabei meinen Rechtswissenschaftler und andere Experten, dass es sich bei diesen Fällen um weit mehr als eine Ordnungswidrigkeit handelt, die mit Geldstrafen abgegolten werden könnten. Im Frühjahr wurde erstmals für die tierrechtswidrige Haltung ein Landwirt in Baden-Württemberg zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt. Der Woosmerhofer Landerzeuger schaltete eine renommierte Anwaltskanzlei ein und ließ über diese mitteilen, dass alle seine Mitarbeiter im Bereich Tierproduktion landwirtschaftlich ausgebildet und geschult seien, überwacht würden und sich an die gesetzlichen Vorschriften hielten. Derweil erhielt die Organisation "Animal Rights Watch" Anzeigen wegen Hausfriedensbruch.
Die Tierschutzbeauftragte des Landes Berlin und ehemalige Amtsveterinärin Diana Plange betonte, dass solche Videos nur einen Bruchteil des tatsächlichen Ausmaßes zeigen. Die Kontrollen seien unzureichend, so dass kaum etwas über die massiven Tierschutzverstöße an die Öffentlichkeit gelange.
Außerdem scheint es an politischem Willen im Bundeslandwirtschaftsministerium zu mangeln. Eine Studie an Schweinekadavern in Tierkörperbeseitigungsanlagen (TBA) hat gezeigt, dass anhand von "tierschutzrelevanten Befunden, die auch für einen Tierhalter erkennbar und bewertbar gewesen wären", eher massenhafte denn vereinzelte Verstöße gegen Tierschutzvorgaben vorliegen. Der Studie zufolge musste eine große Anzahl an Tieren mit länger andauernden erheblichen Schmerzen leben. Nicht wenige wurden gar lebendig zur Entsorgung angeliefert.
Anhand solcher Befunde sollten die Kontrollen in diesen Bereichen ausgeweitet werden. Doch der dahingehende Beschluss des Bundesrats liegt seit Frühjahr dieses Jahres ohne Umsetzung im zuständigen Bundesministerium von Julia Klöckner (CDU). Somit wäre es zu einfach, die Schuld bei den Landwirten zu suchen, die nach eigenen Angaben künftig unter noch höherem Druck stehen werden, falls es zum Mercosur-Abkommen kommt. Einfach auf die die Kontrollinstanzen der Länder zu verweisen, ist ebenfalls zu kurz gedacht.
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