Rund 4.000 Polizisten waren am Räumungseinsatz im Hambacher Forst im September vergangenen Jahres beteiligt, ein Aktivist starb, Kosten in Millionenhöhe wurden dafür vom Steuerzahler geschultert. Dabei stehen viele, nicht nur Anwohner und Aktivisten, der Rodung der verbleibenden 200 Hektar eines der letzten großen und jahrtausendealten Mischwälder in Mitteleuropa skeptisch gegenüber.
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Von dem einst 5.500 Hektar großen Wald, den der Energiekonzern RWE seit seinem Erwerb im Jahr 1978 fortschreitend rodet, ist weniger als ein Zehntel übrig – und auch das wäre bei fortschreitender Rodung wohl vernichtet worden.
Die Frage vieler Bürger und Umweltschützer, warum eine demokratische Landesregierung sich gegen seine Bürger und stattdessen hinter einen Privatkonzern stellt, während eine Kohlekommission gleichzeitig den Ausstieg plant, blieb lange unbeantwortet und schien gar ungerechtfertigt, schließlich hatte das Unternehmen RWE die Genehmigung zur Kohleförderung aus Hambach bereits im Jahr 1977 erhalten.
Der nordrhein-westfälische Innenminister Herbert Reul (CDU) begründete die Räumung im vergangenen Jahr mit einer Gefahr, die baurechtlich von den Baumhäusern ausgehe. Mit der Rodung des Waldes habe diese nichts zu tun.
Die zahlreichen Polizeikräfte kamen sowohl zur Räumung des Waldes, zur Kontrolle – oder wie manche meinen, Einschränkung der jungen und alten Demonstranten – sowie zum Schutz derRWE-Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen im Hambacher Forst bei deren Zugang zum Wald zum Einsatz. Außerdem war die Polizei im Hambacher Wald, um mögliche Beweis- und Tatmittel sicherzustellen, die zur Vorbereitung und Durchführung von Straftaten oder Ordnungswidrigkeiten bzw. dem Bau von Barrikaden dienen könnten.
Händeringende Suche nach Vorwand zur Räumung
Klingt beinahe, als habe es eine Suche nach Gründen gegeben, die Gegner der Rodung mit Straftaten in Verbindung zu bringen, um eine schnellstmögliche Räumung durchzusetzen. Und tatsächlich haben zwei im August veröffentlichte Gutachten bestätigt, was Kritiker der Rodung bereits vor einem Jahr vermuteten: Die schwarz-gelbe Landesregierung hatte vor allem die schnellstmögliche Wiederaufnahme der Rodungen im Sinn und dafür einen Vorwand genutzt – um die vorgegebene mangelnde Bausicherheit der Baumhäuser ging es dabei gar nicht.
Nach der Ablehnung des Gesuchs von RWE, eine baldmögliche Räumung zu erwirken, lag im August vergangenen Jahres ein vom NRW-Innenministerium beauftragtes Gutachten vor. Darin wird offensichtlich einzig und händeringend nach irgendeinem vertretbaren Rechtsgrund gesucht, den Wald zu räumen, obwohl die zuständigen Ordnungsbehörden dies abgelehnt hatten.
Von einer "Straftatenverhütung" raten die Gutachter ab, da es nicht ohne Zweifel ist, dass es sich um "kriminelle, kriminologische, gefährdete oder gefährliche Milieus handelt". Insgesamt werden in dem Gutachten ein halbes Dutzend möglicher rechtlicher Begründungen für den Polizeieinsatz erwogen. Letztendlich zieht der Gutachter das Baurecht – "ein besonders scharfes Schwert" – heran, "um die Besetzung und die Besetzungsinfrastruktur im Hambacher Forst (sonder-) ordnungsbehördlich zu beenden".
Sofort darauf gibt das Bauministerium ein zweites Gutachten in Auftrag, in dem das Vorgehen nach Baurecht erörtert wird. Gleichzeitig, vor der Fertigstellung des Gutachtens am 31. August 2018, findet am 27. August eine Begehung im Hambacher Forst statt – "offenbar um 'Stoff' für das geplante Vorgehen zu sammeln", wie es beim WDR heißt.
Tricks und Blendwerk – Vorwand für Polizeieinsatz "konstruiert"
Die schwarz-gelbe Landesregierung sieht sich massiver parteiübergreifender Kritik der Opposition ausgesetzt. SPD-Fraktionschef Thomas Kutschaty antwortete dem WDR, "die Landesregierung hat die Öffentlichkeit bewusst in die Irre geführt, nur um Macht zu demonstrieren". AfD-Fraktionschef Markus Wagner sagte, Schwarz-Gelb habe versucht, "die Bürger durch Tricks und Blendwerk zu täuschen". Die innenpolitische Sprecherin der Grünen Verena Schäffer meinte, die Landesregierung habe sich "klar an die Seite von RWE gestellt".
Innenminister Reul (CDU) betonte zwar selbst, es sei anfangs nicht um den Brandschutz gegangen und man habe juristische Möglichkeiten gesucht, dabei aber keinen Kontakt zu RWE gehabt:
Ich bin kein Erfüllungsgehilfe.
SPD-Politiker Jochen Ott sagte, man halte es für "höchst bedenklich", dass eine Landesregierung den größten und teuersten Polizeieinsatz mit einem Vorwand "konstruiert" und "rechtfertigt" habe.
In den sozialen Netzwerken zeigten sich viele, nicht nur Aktivisten, empört und verlangten politische Konsequenzen.