Die Kaperung und wochenlange Festsetzung des iranischen Tankers "Grace 1" vor Gibraltar war laut Einschätzung eines aktuellen Völkerrechtsgutachtens des Bundestages völkerrechtswidrig. Die Beschlagnahmung des Schiffes am 4. Juli 2019 durch ein britisches Marinekommando in der Straße von Gibraltar habe "keine Rechtsgrundlage im Seevölkerrecht", so das eindeutige Urteil des Wissenschaftlichen Dienstes des Bundestages.
In dem Gutachten, das unter dem Titel "Die Festsetzung eines iranischen Tankers vor Gibraltar im Hinblick auf das Seerechtsübereinkommen und die Charta der Vereinten Nationen" auf der Webseite des Bundestages öffentlich einsehbar ist, heißt es wörtlich:
Nach gegenwärtigem Kenntnisstand ist daher davon auszugehen, dass die Festsetzung des iranischen Öltankers 'Grace 1' am 4. Juli 2019 durch britische Marinekommandos in der Straße von Gibraltar keine Rechtsgrundlage im Seevölkerrecht findet.
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Die völkerrechtliche Untersuchung im Auftrag der Linksfraktion kommt zudem zum Schluss, dass die von der Bundesregierung mitgetragene Begründung der britischen Regierung für die Festsetzung nicht rechtens war. So heißt es unter anderem im Gutachten:
Maßnahmen auf der Grundlage des EU-Sanktionsregimes sind insofern nur statthaft, als sie auch mit den einschlägigen völkerrechtlichen Rahmenvorgaben vereinbar sind.
Weiter argumentieren die Völkerrechtler des Bundestages:
Beide Akteure [USA und EU] können sich nicht auf eine Autorisierung ihrer Sanktionen durch eine externe, übergeordnete Ebene [Vereinte Nationen] berufen. Der Vorwurf, letztlich eigene (nationale oder regionale) Interessen zu verfolgen, steht im Raum und unterminiert die Glaubwürdigkeit des Sanktionsregimes.
Sevim Dağdelen, Vize-Fraktionsvorsitzende der Linken, die das Gutachten in Auftrag gegeben hatte, erklärte zu den Ausführungen des Wissenschaftlichen Dienstes des Bundestages: "Das Gutachten zeigt, dass es seitens der Bundesregierung grob fahrlässig war, der britischen Rechtsauffassung hinsichtlich einer angeblich legalen Festsetzung des iranischen Tankers zu folgen." Ihr Fraktionskollege und Europapolitischer Sprecher der Fraktion Andrej Hunko forderte die Bundesregierung auf in diesem Zusammenhang, angesichts der drohenden Eskalation in der Straße von Hormus "auf den Boden des Völkerrechtes" zurückzukehren.
RT Deutsch hatte bereits vor einem Monat bei der Bundespressekonferenz (BPK) die Bundesregierung nach der völkerrechtlichen Einordnung der Kaperung des iranischen Tankers durch Großbritannien befragt und auf die fragwürdige völkerrechtliche Grundlage verwiesen. Damals hatte das Auswärtige Amt betont, dass alles im "völkerrechtlichen Rahmen" geschehen sei:
Das aktuelle Gutachten ist das dritte seiner Art innerhalb von weniger als einem Jahr, das zu der Schlussfolgerung kommt, dass die Bundesregierung völkerrechtswidrig gehandelt hat. Als im September 2018 ein möglicher Angriff auf Syrien diskutiert wurde, sprachen sich führende Vertreter von Regierungs- und Oppositionsparteien teilweise sehr explizit für eine deutsche Beteiligung aus, auch Kanzlerin Merkel schloss damals eine Teilnahme der Bundeswehr nicht aus.
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Auch in diesem Fall kam ein ebenfalls von der Linksfraktion in Auftrag gegebenes Völkerrechtsgutachten des Wissenschaftlichen Dienstes des Bundestages zu einem eindeutigen Urteil. In dem Gutachten mit dem Titel "Rechtsfragen einer etwaigen Beteiligung der Bundeswehr an möglichen Militärschlägen der Alliierten gegen das Assad-Regime in Syrien" erklären die Völkerrechtler, dass eine deutsche Beteiligung sowohl gegen geltendes Völkerrecht als auch gegen das Grundgesetz und das deutsche Strafgesetz verstoßen würde. Auch hierzu hatte RT Deutsch die Bundesregierung auf der BPK befragt, die damalige Reaktion der Regierungssprecher stehen noch heute für sich: Fragen zum Völkerrecht wurden belächelt und das entsprechende Bundestagsgutachten als "Blitzgutachten" ohne weitere Relevanz abqualifiziert:
Das gleiche Schema wiederholte sich Anfang 2019, als sich Juan Guaidó am 23. Januar selbst zum Interimspräsidenten Venezuelas ernannte. Die umgehende Anerkennung des späteren Putschisten Guaidós durch die Bundesregierung wurde in einem Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes des Bundestages vom 15. Februar wie folgt kommentiert:
Mit dem Verweis auf Art. 233 der venezolanischen Verfassung positioniert sich Deutschland gleichzeitig in einer strittigen Frage des venezolanischen Verfassungsrechts. Dies erscheint unter dem Gesichtspunkt des Grundsatzes der 'Nichteinmischung in die inneren Angelegenheiten eines anderen Staates' völkerrechtlich ebenso fragwürdig wie die (vorzeitige) Anerkennung eines Oppositionspolitikers als Interimspräsidenten, der sich im Machtgefüge eines Staates noch nicht effektiv durchgesetzt hat.
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Auch mit diesem Gutachten hatte RT die Bundesregierung auf der Bundespressekonferenz konfrontiert. Der Grad an Relativierung von Völkerrechtsnormen durch die Bundesregierung steht in allen drei Fällen für sich: