Fracking? Wohl kaum etwas treibt dem ökologisch bewussten Wähler so sehr die Schweißperlen auf die Stirn, wie die umweltschädliche Technologie zur Gewinnung von tief im Boden schlummerndem, aber zum Beispiel in Schiefergestein schlecht erreichbarem Erdgas. Das wissen auch Die Grünen. Deshalb wetterten auch sie ein ums andere Mal öffentlichkeitswirksam gegen den Einsatz von Fracking-Technologien. So etwa im Oktober 2018: In einem Antrag forderte die Fraktion von Bündnis 90/Die Grünen im Bundestag ein Fracking-Verbot ohne Schlupflöcher. In dem Antrag verweisen die Abgeordneten auf erhebliche Risiken für Umwelt und Gesundheit durch die entsprechenden Techniken:
Dazu gehören unter anderem Verunreinigungen des Bodens und des Grundwassers, seismische Erschütterungen, hoher Flächen- und Wasserverbrauch sowie die ungeklärte Frage der Entsorgung giftigen Rückflusses von Förderflüssigkeiten und Lagerstättenwasser", heißt es – aus wissenschaftlicher Sicht wie nach Meinung vieler Wähler – völlig zutreffend im Antrag.
Die Bundesregierung müsse daher per Gesetz den Einsatz von Fracking ohne Ausnahmen untersagen. Kritisiert wird auch, dass der "Import von gefracktem Erdgas in Form von LNG [Verflüssigtes Erdgas, Anm. d. Red.] aus Nordamerika (…) nach dem Willen der Bundesregierung verstärkt werden" soll.
Eine derart klare Haltung kommt gut an, auch bei den "Fridays for Future"-Schülern. Deshalb überreichten diese auch dem Präsidenten des Bundesrates Anfang Juni über 100.000 Unterschriften gegen den geplanten Aufbau einer LNG-Infrastruktur in Deutschland.
Noch am 28. Mai 2019, also einen Tag vor dem Ende der sogenannten "Europa"-Wahl in der EU, war es Julia Verlinden, die Grünen-Sprecherin für Energiepolitik, die sich mit folgenden Worten an den Bundestag wandte:
Verflüssigtes Erdgas hat nicht nur eine schlechte Klimabilanz, es verlängert das fossile Zeitalter. Besonders problematisch wird es, wenn zur Förderung des Erdgases das Fracking-Verfahren eingesetzt wird. LNG aus Fracking-Gas torpediert den Kampf gegen Klimakrise und Umweltgefahren in doppelter Weise. Wir lehnen Fracking daher strikt ab. Statt weiter Investitionen in Infrastruktur für Erdgas anzureizen, sollte die Bundesregierung endlich eine klare Perspektive für den Ausstieg aus dem fossilen Energieträger Erdgas schaffen.
Solche umweltpolitischen Sonntagsreden mögen den einen oder anderen dabei bestärkt haben, sein Kreuzchen doch lieber bei Den Grünen zu machen. Schließlich machte die "Umweltpartei" das Klima bereits im Vorfeld der Wahlen zum alles bestimmten Thema. Doch "vor der Wahl" ist bekanntlich eben nicht "nach der Wahl". Es ist die vom Wähler einfach nicht verstandene Bürde der "Realpolitik", die dann ganz immense Verantwortung gegenüber Wahlvolk und besonders gegenüber der Wirtschaft sowie letztlich die beschwerliche Suche nach immer neuen Kompromissen zwischen Anspruch und Wirklichkeit, die nach einer Wahl zur Abkehr von den eigenen, hehren Prinzipien führen kann. Zudem sind doch Bundestag und Bundesrat in der bundesdeutschen Demokratie bekanntlich zwei völlig verschiedene Paare Schuhe.
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Aber Argumentationsnachhilfe haben Die Grünen im Fach "flexible Prinzipien" nicht nötig. So ist es zu erklären, dass die knapp zwei Wochen nach der EU-Wahl von Bundeskanzlerin Merkel vorgelegte "Verordnung zur Verbesserung der Rahmenbedingungen für den Aufbau der LNG-Infrastruktur in Deutschland" am 7. Juni mehrheitlich vom Bundesrat angenommen wurde – und das mit den Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen. Die Verordnung kann somit getrost in Kraft treten.
Das "Freiheitsgas" kann nun also – und "Freiheit" hat ihren Preis – endlich seinen Weg nach Europa antreten. Es war der US-Energieminister Rick Perry, der am 2. Juni, also ganze fünf Tage vor der Annahme der LNG-Verordnung, in Brüssel davon sprach, dass 75 Jahre nach der Befreiung Europas die Vereinigten Staaten nun "erneut eine Form von Freiheit auf den europäischen Kontinent" zu liefern gedenken. Diesmal aber nicht "in Form junger amerikanischer Soldaten", sondern "in Form von verflüssigtem Erdgas" - dem "Freedom-Gas" wie es Perry – ganz ohne falsche Bescheidenheit – zuvor getauft hatte:
Die Vereinigten Staaten exportieren nicht einfach nur Energie, wir exportieren Freiheit", behauptete Perry erstmals bereits im Januar 2018.
Befreit werden müsse "Europa" diesmal nicht von den nationalsozialistischen Horden, mit denen US-Konzerne ja ebenfalls schon beste Geschäfte machten, sondern vom Einfluss Moskaus. Auch wenn Russland damals – woran man freilich die heute noch Lebenden nicht mehr gerne erinnert – den mit Abstand größten Blutzoll hatte bezahlen müssen.
Wie es der vermeintliche Zufall will, gab der US-Konzern Exxon Mobil ebenfalls wenige Tage vor der LNG-Verordnung bekannt, gemeinsam mit dem Unternehmen Qatar Petroleum (der staatlichen Ölgesellschaft des kleinen Wüstenlandes) ein 10 Milliarden US-Dollar schweres "Export-Projekt" für LNG an der texanischen Golfküste zu entwickeln. Energieminister Perry ließ sich die Ehre nicht nehmen, der feierlichen Unterzeichnung dieses Geschäfts – vermutlich im Namen der "Freiheit" Europas – beizuwohnen.
Das Projekt würde das bestehende Golden Pass LNG-Terminal, was 2010 eröffnet wurde, erheblich erweitern. Das erweiterte Terminal hätte die Kapazität, etwa 16 Millionen Tonnen LNG pro Jahr zu produzieren und Gas auf -260 Grad Celsius zu kühlen, um seine Dichte durch Verflüssigen zu erhöhen und es auf Tankschiffe für den Transport rund um den Globus verladen zu können.
Golden Pass wird eine erhöhte, zuverlässige und langfristige Versorgung der globalen Gasmärkte mit verflüssigtem Erdgas ermöglichen, das lokale Wachstum stimulieren und Tausende von Arbeitsplätzen schaffen", zeigte sich Darren Woods, CEO von Exxon, in einer Erklärung überzeugt.
Das effizienter geförderte und transportierte, daher günstigere und im Vergleich auch noch umweltschonendere russische Gas aus Erdgas-Pipelines, also vor allem auch durch Nord Stream 2, lehnen die schon längst transatlantisch indoktrinierten Grünen ganz strikt ab. Schließlich mache sich Deutschland mit diesem Projekt noch abhängiger von Russland als schon ohnehin und hintergehe gleichzeitig die EU-Verbündeten, allen voran die osteuropäischen EU-Staaten, so in etwa die gängige Argumentation.
In einem Interview mit der Welt übte die Vorsitzende der Grünen Bundestagsfraktion Katrin Göring-Eckardt im Februar 2019 scharfe Kritik an der gerade im Bau befindlichen Erweiterung der seit Jahren bewährten Erdgaspipeline Nord Stream. Die Grünen seien schon immer gegen das Projekt Nord Stream 2 gewesen, weil es eben von Anfang an falsch gewesen sei:
Es bindet uns mit zusätzlichen Abnahmeverpflichtungen auf Jahrzehnte an noch mehr russisches Gas und ist eine Provokation für unsere europäischen Partner.
Wenn es darum geht, das ach so arglistige und aggressive Russland auszubooten, spielt der öffentlich beschworene "Umweltschutz" eben bestenfalls die zweite Geige.