Der Kasseler Regierungspräsident Walter Lübcke war in der Nacht zum 2. Juni mit einer Schussverletzung am Kopf auf der Terrasse seines Wohnhauses im hessischen Wolfhagen-Istha entdeckt worden und wenig später gestorben. Am Wochenende wurde der mutmaßliche Rechtsextremist Stephan E. in Untersuchungshaft genommen. Die ermittelnde Bundesanwaltschaft stuft den Mord als politisches Attentat mit rechtsextremem Hintergrund ein.
Ein Zeuge soll in der Tatnacht zwei Autos bemerkt haben
Eine zentrale Frage im Mordfall Lübcke ist, ob der mutmaßliche Täter Teil eines rechtsterroristischen Netzwerks ist und, falls dies zutrifft, welche Konsequenzen daraus abgeleitet werden.
Der Verdacht, dass der Täter nicht alleine handelte, wird nach Informationen von Süddeutscher Zeitung, NDR und WDR durch einen Zeugen genährt. Dieser wolle in der Tatnacht zwei Autos bemerkt haben, die in "aggressiver Manier" durch den Wohnort Lübckes gefahren seien. Zwanzig Minuten zuvor habe der Zeuge einen Schuss gehört. Er habe, so der Zeuge, den Eindruck gehabt, als hätten sich die beiden Autofahrer verfahren. Eines der Fahrzeuge habe er als Volkswagen Caddy identifiziert, das andere nicht beschreiben können. Später hätten die Ermittlungen dann ergeben, dass Stephan E. einen VW Caddy fahre, der auf seine Frau zugelassen sei.
Die Bundesanwaltschaft hatte am Montag erklärt, es gebe bisher keine Hinweise darauf, dass eine terroristische Vereinigung hinter dem Mord stehe. Innenminister Horst Seehofer (CSU) betonte am Dienstag, es sei zu diesem Zeitpunkt noch unklar, ob der Tatverdächtige allein gehandelt habe oder als Teil eines Netzwerks.
Bereits im Haftbefehl gegen Stephan E. soll es laut Süddeutscher Zeitung, NDR und WDR geheißen haben, es gebe "Hinweise auf Mittäter oder Mitwisser". Bei der Durchsuchung seiner Wohnung hätten die Ermittler einen weiteren Autoschlüssel entdeckt, versteckt im CD-Fach eines Radios im Gäste-WC. Dieser gehöre zu einem Fahrzeug der Marke Škoda, das Stephan E. kurz vor der Tatnacht von einem Familienmitglied übernommen haben soll. Bis jetzt sei dieses Auto nicht gefunden worden.
Experte: Nordhessische Neonaziszene ist extrem gewalttätig
Der Linken-Innenexperte im hessischen Landtag Hermann Schaus warnt vor einer vorschnellen Einstufung des Verdächtigen als Einzeltäter.
Die nordhessische Neonaziszene ist extrem gewalttätig und ist gut vernetzt, etwa mit Dortmund, aber auch Rechtsextremen in Niedersachsen und Thüringen", sagte der parlamentarische Geschäftsführer der hessischen Linken-Fraktion.
Schon beim Münchner NSU-Prozess sei zu wenig Wert darauf gelegt worden, die rechtsextreme Szene auszuleuchten. Mit den Ermittlungen gegen Stephan E. eröffne sich jetzt die Chance, konkreter auf Neonazi-Netzwerke zu schauen.
Schaus schloss nicht aus, dass es zum Fall Lübcke einen Untersuchungsausschuss im hessischen Landtag geben könnte. "Zunächst stehen aber die Ermittlungen im Vordergrund, die wir auf keinen Fall gefährden wollen", betonte er. Erst nach Abschluss der Ermittlungen sollten die Ergebnisse bewertet und die Frage nach einem Untersuchungsausschuss beantwortet werden. In der Plenardebatte des hessischen Landtags über die Bluttat will sich am Mittwoch auch Ministerpräsident Volker Bouffier (CDU) zu Wort melden.
Selbst wenn Lübckes mutmaßlicher Mörder alleine gehandelt haben sollte, beobachtet der Politikwissenschaftler Hajo Funke mit Sorge ein bundesweites Netzwerk von Rechtsextremisten.
Es geht nicht primär um die Frage, ob hier eine Gruppe gehandelt hat oder ein Einzeltäter, denn es gibt ein loses Netzwerk, das sehr tief und breiter ist, als wir – die Öffentlichkeit – erfahren", sagte der Extremismus-Experte der Deutschen Presse-Agentur.
Soziale Netzwerke spielten eine wichtige Rolle für gewaltbereite Extremisten im Untergrund. Diese handlungsbereiten Rechtsextremisten seien regional eng vernetzt – etwa in Dortmund, Halle, Chemnitz, Kassel, in der Umgebung von Rostock und auch in der Region Heilbronn.
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(dpa/rt deutsch)