von Florian Warweg
Am 14. April titelt der staatliche Auslandsrundfunk der Bundesrepublik Deutschland groß:
Die aktuelle Chefredakteurin der Deutschen Welle (DW) und einstige taz-Chefin, Ines Pohl, verkündete via Twitter:
Peter Limbourg, der DW-Intendant, forderte die venezolanischen Behörden umgehend und "mit Nachdruck dazu auf, das Sendesignal der DW wieder zu verbreiten."
Auch das Auswärtige Amt (AA) schaltete sich ein und erklärte:
Wir erwarten, dass diese bedauerliche Entscheidung rasch revidiert wird, denn die Presse- und Meinungsfreiheit ist für die Bundesregierung ein hohes Gut, und das gilt auch in diesem Fall.
Der spanischsprachige Twitterkanal der DW verbreitete das Video mit der Stellungsnahme des AA umgehend unter dem Hashtag #ZensurDW:
Folgt man den offiziellen Darstellungen von DW und AA, scheint die Faktenlage eindeutig: Die venezolanische Rundfunkbehörde Conatel hat – um bei den Worten der DW-Chefredakteurin zu bleiben – "das Sendesignal des spanischen TV-Kanals der Deutschen Welle aus dem Kabelnetz genommen". Doch keine 24 Stunden später, am 15. April, jubelt die DW und schreibt:
Wurde also auf Druck der Bundesregierung das Programm der DW endlich wieder ausgestrahlt? Auf wen hatte das Auswärtige Amt denn eigentlich Druck ausgeübt? Auf die Maduro-Regierung, die sie gar nicht mehr anerkennt? Oder auf die venezolanische Botschaft in Berlin, mit der das AA – nach eigenen Aussagen – keine politischen Gespräche mehr führt? Doch das ist vielleicht die kleinste und nicht die einzige Unklarheit. Weitere Details in der Berichterstattung der DW wecken erheblich ernstere Zweifel an deren Darstellung. Was liegt näher, als bei der venezolanischen Botschaft und der DW direkt nachzufragen?
Ein Anruf bei der venezolanischen Botschaft in Berlin verstärkt die Zweifel an der Version der Deutschen Welle: RT wird mitgeteilt, dass eine Nachfrage in Caracas ergeben hat, dass das Signal der DW dort nach wie vor ununterbrochen empfangen wird, verwiesen wird beispielhaft auf den Anbieter SuperCable. Die Rundfunkbehörde würde sich nicht äußern, weil es nichts zu berichten gäbe. Diese Behörde sei nicht für einen eventuellen Ausfall des DW-Sendesignals verantwortlich. Zudem weist die Sprecherin der venezolanischen Botschaft darauf hin, dass sich alle Kabel-Anbieter in Venezuela in Privatbesitz befinden und die Rundfunkbehörde Conatel gar nicht in der Lage sei, mit einem Knopfdruck das Signal der DW zu unterbrechen. Vielleicht stehe der Ausfall ja auch im Zusammenhang mit den massiven Stromausfällen in den letzten Tagen und Wochen, so die Sprecherin abschließend.
Eine kurze Recherche in den Sozialen Medien in Venezuela bestätigt die Darlegung der venezolanischen Botschaft. Der Ursprung der Meldung, dass die venezolanische Rundfunkbehörde das Signal von DW abgeschaltet habe, liegt in einem Tweet vom 13. April, der von der als sehr oppositionsnah geltenden Medien-Gewerkschaft SNTP stammt. Dieser Tweet wird daraufhin vom DW-Journalisten Benjamin Alvarez unhinterfragt aufgegriffen und auch von der Deutschen Welle in ihren entsprechenden Veröffentlichungen eingebunden.
Am 13. April haben auf Anweisung von Conatel Kabel-TV-Betreiber das Signal von @dw_espanol vom Netz genommen. Ein internationales Medium, welches Informationsräume zur Verfügung gestellt hat, die die Krise in Venezuela von all ihren Seiten beleuchten.
Auffällig ist hier zunächst, dass die DW den Tweet von SNTP nicht – wie üblich – einfach als sogenanntes "embedd" einbindet, wie sie dies auch im Artikel bei dem entsprechenden Tweet ihrer Chefredakteurin Ines Pohl gemacht hat. Stattdessen wird der Tweet nur als Screenshot gezeigt. So ist sichergestellt, dass man nicht einfach auf den Tweet klicken und all die Antworten darunter anschauen kann. Und dieses ungewöhnliche Vorgehen ist kein nebensächliches Detail, wie sich später zeigen wird.
Denn unter dem tatsächlichen Tweet gibt es zahlreiche Nutzer, die ihren Profilen nach klar dem Guaidó- oder zumindest dem Maduro-kritischen Lager – zuzuordnen sind, aber dennoch mit Screenshots bezeugen, dass sie das Programm der Deutschen Welle sehr wohl am 14. April empfangen haben.
So schreibt etwa der offen Guaidó unterstützende Orencio Mariñas, dass er am 14. April um 6.40 Uhr morgens, also zu einem Zeitpunkt, als es laut DW keinerlei Empfang mehr in Venezuela gab, problemlos den deutschen Staatssender empfangen konnte:
Noch fragwürdiger ist es allerdings, dass auch unter einem Tweet des DW-Korrespondenten in Caracas, Óscar Schlenker, zahlreiche Nutzer darauf aufmerksam machen, dass das angebliche Problem – wenn überhaupt – nur einen Anbieter mit dem Namen DirecTV betrifft. Und dass Zuschauer von anderen Anbietern nach wie vor DW empfangen.
Selva Sanchez: Das war Diretv@español, denn in supercable war das Signal niemals unterbrochen:
Ähnlich auch die Nutzerin Maria Concepción Torres Morreno, welche erklärt, dass auf ihrem Fernseher der Empfang von DW nie unterbrochen war:
Ein ähnliches Bild ergibt sich unter einem Tweet, in welchem DW die Zuschauer direkt fragt, ob sie mittlerweile wieder das Signal empfangen können. Mehrere Nutzer erklären, dass das Signal niemals unterbrochen war:
Diejenigen, die supercable haben, haben nie aufgehört, den Kanal [DW] zu empfangen, ist einer der Kanäle, den wir am meisten in meinem Haus schauen.
Nach derzeitigem Wissenstand war es also lediglich ein Anbieter, der Bezahlsender DirecTV, über den die Deutsche Welle für etwas mehr als 24 Stunden nicht zu empfangen war. Rouse Victoria, ihrem Profil nach ebenfalls eine vehemente Unterstützerin von Juan Guaidó, meldete sich via Twitter bei der Deutschen Welle sowie ihrem Korrespondenten Óscar Schlenker in Caracas und gab einen Hinweis auf den möglichen tatsächlichen Hintergrund des ausbleibenden DW-Signals in Venezuela:
Ich weiß nicht wieso, aber DirecTV hat wegen irgendeines Fehlers das Signal von @dw-espanol im Basisplan [die billigste Bezahl-Option, die DirecTV anbietet] für die Tage rausgeschmissen, in denen sie HBO angeboten hatten, um Games of Thrones zu zeigen, bis zum gestrigen Tag.
Und schaut man sich auf der Twitter-Seite des Bezahlanbieters DirecTV um, fällt tatsächlich auf, dass der Ausfall des Sendesignals von DW mit der Ausstrahlung von "Games of Thrones - Season 8" korreliert.
Ein Anruf bei der Presseabteilung der Deutschen Welle bringt noch weitere erhellende Momente über das journalistische Selbstverständnis beim deutschen Staatssender. Dafür ein kurzer Auszug aus dem Telefonat (als Gedächtnisprotokoll):
RT: Die Deutsche Welle schreibt, dass "auf Druck der Bundesregierung" das spanischsprachige TV-Programm wieder verbreitet wird. Woher wissen Sie, dass es der Druck der Bundesregierung war, der zu diesem Schritt führte? Nach meinen Informationen gab es weder Gespräche mit der venezolanischen Botschaft noch mit dem Außenministerium.
DW-Pressesprecherin: Na ja, die öffentlichen Äußerungen des Auswärtigen Amtes zu dem Thema und die unseres Intendanten Peter Limbourg haben schon Druck ausgeübt.
RT: Sie meinen also, dass die Äußerung der Außenamts-Sprecherin "Wir erwarten, dass diese bedauerliche Entscheidung rasch revidiert wird. Die Presse- und Meinungsfreiheit ist ein wichtiges Gut, für das die Bundesregierung konsequent eintritt" den Ausschlag gegeben hat?
DW-Pressesprecherin: Ach, so kausal ist das dann doch nicht zu verstehen.
Es bleibt festzuhalten: Die Deutsche Welle schreibt sehr explizit "Auf Druck der Bundesregierung wird das spanischsprachige TV-Programm wieder verbreitet." Auf Nachfrage wird dann aber erklärt: Nun ja, wir haben das so geschrieben, aber wirklich wissen können wir das nicht.
Weiter wollte RT wissen, auf welcher Faktengrundlage die DW behauptet, dass es "die venezolanische Rundfunkbehörde Conatel" war, die das Sendesignal des spanischen TV-Kanals der Deutschen Welle aus dem Kabelnetz genommen hat.
Zu diesen und anderen Fragen rund um die Thematik einer angeblichen Abschaltung des DW-Signals erklärt sich die Vize-Pressesprecherin als nicht auskunftsfähig. Aber sie verspricht immerhin, die Informationen von Kollegen einzuholen und "umgehend" zurückzurufen. Dieser angekündigte Anruf wird nicht erfolgen. Aber immerhin, nach einer erneuten E-Mail-Nachfrage erhält RT eine kurz angebundene E-Mail mit folgendem Inhalt:
Unseren Kontakten in Venezuela zufolge erfolgte die Unterbrechung auf Anweisung der Rundfunkbehörde.
Im Falle technischer Störungen weltweit werden wir umgehend von unseren jeweiligen Partnern vor Ort informiert. In diesem Fall ist dies nicht erfolgt."
Ein weiterer Anruf direkt beim Leiter Unternehmenskommunikation und Pressesprecher der DW, Christoph Jumpelt, in welchem RT ihn mit den bisherigen Rechercheergebnissen konfrontiert, erbringt ebenso keine neuen Erkenntnisse zu den angeblichen Hintergründen. Herr Jumpelt beharrt auf der Version der DW, ohne aber die vorgebrachten Argumente und Erkenntnisse entkräften zu können. Auch auf die Frage, über welche Beweise die Deutsche Welle denn verfügt, die belegen würden, dass die Rundfunkbehörde Conatel für die temporäre Abschaltung verantwortlich war, kann oder will er nichts erwidern. "Bringen Sie doch einfach beide Versionen in Ihrem Artikel", so die vielsagenden und abschließenden Worte des DW-Pressesprechers im Telefonat mit RT.
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Zusammenfassend bleibt festzuhalten: Die Deutsche Welle bauscht das 24-stündige Ausbleiben ihres Sendesignals über einen der privaten Vertriebskanäle vor Ort und in einer Zeit unvorhersehbarer Stromausfälle zu einer Staatsaffäre auf, beschuldigt in sehr expliziten Worten die Maduro-Regierung der Zensur, die ihr unterstellte Rundfunkbehörde des bewussten Ausschaltens des Kanals, ohne dafür mehr Hinweise zu haben, als den Tweet der oppositionsnahen Journalisten-Gewerkschaft SNTP. Hinweisen ihrer eigenen Zuschauer, dass das DW-Programm – außer beim Anbieter DirecTV – sehr wohl ohne Unterbrechung in Venezuela empfangen wurde, wird nicht nachgegangen, sie werden einfach ignoriert. Zu passend und zu verlockend war wohl die Möglichkeit, weiter am Narrativ des "diktatorischen Maduro-Regimes" zu basteln, welches die "freie Presse" knebelt. In der "Diktatur" Venezuelas sind übrigens noch immer 80 Prozent aller TV- und Printmedien in privater Hand und stehen zum überwiegenden Teil der Opposition nahe.
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