Die Debatte um bezahlbaren Wohnraum im Mieterland Deutschland hat sich kurz vor dem 70. Geburtstag des Grundgesetzes zur Frage nach Eigentum und Gewinn auf Kosten der Allgemeinheit entwickelt. Trotz des Drucks, der auch durch Proteste von rund 40.000 Menschen allein in Berlin am vergangenen Samstag aufgebaut wurde, zeigt sich der Vorstandsvorsitzende der Deutschen Wohnen, Michael Zahn, bei der ersten gemeinsamen Diskussion mit der Initiative "Deutsche Wohnen & Co enteignen" siegessicher:
Wir lassen uns nicht enteignen, und wir werden auch nicht enteignet.
Im Podiumsgespräch polemisierte Zahn:
Wir sind hier nicht in einer Bananenrepublik", sagte er zum Sprecher der Initiative Rouzbeh Taheri.
Gleichzeitig griff er die Kampagne, hinter die sich bisher bereits mehr als 20.000 Berliner Bürger gestellt haben, als "sehr populistisch, polemisch, stark vereinfachend, fehlerhaft" an. Für das Anliegen der Mieter und Aktivisten hat Zahn keinerlei Verständnis und verweist darauf, bestehende Regeln für Marktteilnehmer zu befolgen.
Wir haben keinen Dieselskandal, und wir haben auch nicht betrogen.
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Das, was sie hier zeigen, das ist das hässliche Berlin, das ist das laute Berlin. Und das ist das unseriöse Berlin. Und das ist das Berlin, das meines Erachtens keine Zukunft hat.
Zahn selbst lebt nicht in einer Bananenrepublik, sondern konnte allein im vergangenen Jahr durch seine Tätigkeit für den Konzern mehr als vier Millionen Euro anhäufen. Und hinter Zahn steht die Politik, zumindest die, die am längeren Hebel sitzt. Während der Regierende Bürgermeister von Berlin, Michael Müller (SPD), nach einem Treffen mit dem Wohnungskonzern meinte, dass die Situation in der Stadt nicht nur Aufgabe der Politik, sondern aller Beteiligten sei, auch der Wohnungsgesellschaften, und dass mit dem Volksbegehren der Initiative "Deutsche Wohnen und Co. enteignen" eine berechtigte und nachvollziehbare Sorge der Menschen ausgedrückt werde, positionierte sich Kanzlerin Angela Merkel (CDU) am Mittwoch im Bundestag entschieden dagegen. Eine Enteignung von großen Wohnungskonzernen sei der "glatt falsche Weg".
Stattdessen müssten konkrete Maßnahmen im Wohnungsbau ergriffen werden. Zudem müsse darüber nachgedacht werden, wie man mit nicht genutztem Bauland oder Mietwucher umgehe.
Der FDP-Vorsitzende Christian Lindner warb stattdessen dafür, den Mietenanstieg durch die Förderung von Wohnungsneubau zu dämpfen. "Eine Enteignung schafft nicht eine einzige zusätzliche Wohnung", betonte Lindner in einer Aktuellen Stunde. Der Berliner CDU-Parlamentarier Kai Wegner sprach von einer "populistischen Scheinlösung", und der AfD-Abgeordnete Martin Sichert warnte davor, Investoren zu verschrecken und die Wohnungsnot damit zu verschärfen.
Linken-Fraktionschef Dietmar Bartsch erwiderte, Großunternehmen wie Deutsche Wohnen und Vonovia hätten in den vergangenen Jahren nicht eine neue Wohnung gebaut. Die Grünen-Fraktionsvorsitzende Katrin Göring-Eckardt betonte, Enteignungen müssten als "allerletztes Mittel" möglich sein. Bei Tagebauen und neuen Straßen hätten die Kritiker in der Vergangenheit kein Problem mit Enteignungen gehabt. Parteichef Robert Habeck hatte vor wenigen Tagen betont, dass man in der jetzigen Notlage kein Mittel ausschließen dürfe. Im Gegensatz dazu hält Baden-Württembergs grüner Ministerpräsident Winfried Kretschmann Debatten um Enteignung von Wohnungsbaugesellschaften für "unsinnig".
Der baupolitische Sprecher der SPD-Fraktion, Bernhard Daldrup, räumte ein, durch Enteignungen würden keine Wohnungen geschaffen – durch permanente Mieterhöhungen aber auch nicht. Er betonte allerdings auch, dieser Weg werfe "mehr Fragen auf, als er Probleme löst". Die Sozialdemokraten machen sich stattdessen dafür stark, die umstrittene Mietpreisbremse zu verlängern und weiter zu verschärfen.
Der wiederholten Argumentationslinie, dass eine Enteignung der Wohnungsunternehmen keinen neuen Wohnraum schaffe, folgte beim ersten Enteignungsgipfel auch Michael Zahn. Dem entgegnete Taheri, eine halbe Million Menschen könne dann aber "nachts besser schlafen, weil sie keine Mieterhöhungen mehr befürchten" müssten.
In der Tat unterscheidet sich die Deutsche Wohnen von den sechs städtischen Wohnungsbaugesellschaften vor allem durch hohe Mieten von 6,71 Euro pro Quadratmeter in Berlin (im Vergleich zu 6,05 Euro) und Mietsteigerungen bei Neuvermietung auf im Schnitt sogar satte 9,08 Euro je Quadratmeter. Profit bringt dieses Vorgehen eindeutig, stiegen doch die Gewinne von Deutsche Wohnen im vergangenen Jahr um elf Prozent auf rund 480 Millionen Euro.
Der Vorstandsvorsitzende Michael Zahn erhielt im Jahr 2018 für seine Vorstandstätigkeit rund 2,3 Millionen Euro. Rechnet man Vergütungen für konzerninterne Aufsichtsratsmandate hinzu, erhielt Zahn im vergangenen Jahr mit 4,4 Millionen Euro – gut zehnmal mehr als der Chef der größten landeseigenen Gesellschaft Degewo.
Die Mieter zahlen die steigende Dividende der Aktionäre aus ihren Taschen, das ist die tatsächliche Enteignung, die täglich in Berlin stattfindet", kommentierte Taheri die Zahlen.
Derweil hat die Gehag, eine Tochterfirma der Deutschen Wohnen, vor Gericht einen Sieg gegen einen Mieter errungen, der sich gegen eine Mieterhöhung oberhalb der Grenze des Berliner Mietspiegels geweigert hatte. Das Landgericht korrigierte das Urteil der ersten Instanz und stimmte einer Mieterhöhung oberhalb der Mietspiegelobergrenze zu, weil mit einem Gutachten eines Sachverständigen eine Bewertung anhand von Vergleichswohnungen anstelle des Mietspiegels herangezogen wurde.
Dem Beispiel könnten andere Wohnungskonzerne folgen, da der Einsatz von Sachverständigen zur Mieterhöhung den Unternehmen gute Renditechancen versprechen könnte. Unterstützung erhielt damit vor allem die Deutsche Wohnen, die mehrfach betont hatte, "der Berliner Mietspiegel ist angreifbar und nicht rechtssicher".
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