"Freier Wohnungsmarkt führt zu Wohnungsnot": Berliner Mieter-Aktivist im Gespräch

In Berlin wird die Wohnungssituation immer dramatischer. Was führte zu dieser Notlage? Welche Gegenmaßnahmen wären sinnvoll? Über diese Fragen sprachen wir mit dem Berliner Mieter-Aktivisten Joachim Oellerich von der Berliner MieterGemeinschaft.

Joachim Oellerich ist Redaktionsmitglied des MieterEchos, der Publikation der Berliner MieterGemeinschaft, die die zweitgrößte Berliner Mieterorganisation ist. Das Gespräch führte Hasan Posdnjakow.

Wie entwickelte sich die Wohnungsnot in Berlin, und wie akut ist sie wirklich?

Wohnungsnot ist ein dynamischer Begriff. Er verbindet sich mit dem Prozess der Verschlechterung der Wohnsituation. Bereits im Jahr 2002 - mit dem Regierungsantritt der ersten rot-roten Koalition unter dem damaligen Regierenden Bürgermeister von Berlin Klaus Wowereit - sank die Bauleistung in Berlin auf 5.182 Wohnungen und verharrte sich in den folgenden Jahren jeweils stets deutlich unter 4.000 Wohnungen. Gleichzeitig stieg in diesen Jahren die Nachfrage, die durch dieses niedrige Angebot überhaupt nicht mehr gedeckt werden konnte. Das Missverhältnis zwischen Angebot und Nachfrage hat sich seit 2010 noch verschärft. Seither wuchs die Berliner Bevölkerung jährlich um mehr als 40.000 Personen, für die jährlich mindestens 20.000 Wohnungen zusätzlich hätten gebaut werden müssen. Die tatsächlichen Bauleistungen blieben aber bisher weit hinter dieser Anforderung zurück. Das Ergebnis ist eine sich ständig vergrößernde Wohnungsknappheit, mit all den Folgen, die eine derartige Marktenge erzeugt.

Am krassesten sind in den letzten Jahren die Angebotsmieten gestiegen. Die Bestandsmieten steigen moderater. Sie werden durch den Mietspiegel und die Regelungen für Mieterhöhungen geschützt, allerdings besteht die Möglichkeit, die Mieten auch im Bestand durch Modernisierung deutlich zu erhöhen. Modernisierungen mit dem größten Effekt auf Mieterhöhung sind: Energetische Modernisierung, Fahrstuhleinbau und Balkonanbau. Durch die steigenden Mieten werden Mieter/innen zum Auszug gedrängt, und die freigeräumten Wohnungen können als Eigentumswohnungen verkauft werden. Alles in allem erzeugt die Marktenge eine für Immobilieneigentümer äußerst günstige Verwertungskette.

Welche Rolle spielen große Finanzkonzerne wie BlackRock und andere Investoren?

BlackRock sammelt Kapital, das verwertet werden muss. Das geht nur zu Lasten der Bestände und damit der Mieter/innen und erzeugt einen dementsprechenden Druck. Wie das konkrete Verhältnis zwischen BlackRock und den großen Wohnungsbaugesellschaften ist, würde ich auch gerne wissen.

Was halten Sie von dem bisherigen sozialen Wohnungsbau in Deutschland, bei dem der Staat den eigentlichen Wohnungsbau und das Eigentum an private Konzerne überträgt? Kann die aktuelle Wohnungsnot durch die angeblichen Selbstheilungskräfte des Marktes überwunden werden? Wäre nicht vielmehr eine massive Bautätigkeit des Staates selbst nötig?

Nein, die Selbstheilungskräfte des Marktes versagen bei der Wohnungsversorgung vollständig. Dabei handelt es sich um ein strukturelles Versagen, das daher das Eingreifen des Staates erfordert. Die Geschichte hat gezeigt, dass ein "freier" Wohnungsmarkt zur Wohnungsnot führt und die Qualität der Wohnungsversorgung für breite Schichten der Bevölkerung in direktem Verhältnis zu der Gewichtung der staatlichen Maßnahmen steht.

Die größte Nachhaltigkeit, das zeigt das Wiener Beispiel des Wiener Gemeindewohnungsbaus aus den 20er Jahren des vorigen Jahrhunderts, wird durch einen unmittelbar staatlichen Wohnungsbau erzeugt. In Deutschland hatte sich das Modell der Förderung der diversen Bauträger durchgesetzt, mit teilweise wenig überzeugenden sozialen, dafür aber sehr kostspieligen Folgen.

Wie bewerten Sie die Bilanz aktuell von Rot-Rot-Grün, was die Bewältigung der Wohnungsnot angeht?

Sämtliche Maßnahmen der rot-rot-grünen Regierung können den Mangel an bezahlbaren Wohnungen nicht beseitigen. Das Defizit nimmt zu und damit auch die Folgen der Wohnungsknappheit: Spekulation und Mietsteigerungen.

Notwendig wäre ein kommunales Wohnungsbauprogramm, ähnlich dem Programm der Austromarxisten in Wien oder der linken Labour-Regierung in Großbritannien in den Jahren nach dem Ersten sowie den Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg. Dazu müssten die sich "öffentlich" nennenden Wohnungsbauunternehmen in tatsächliche Eigenbetriebe umgewandelt und zu Trägern eines sozialen kommunalen Wohnungsbaus gemacht werden.