Ex-Verfassungsschutzchef Hans-Georg Maaßen: Die Schleuse ist noch offen

Hans-Georg Maaßen, früherer Chef des Verfassungsschutzes, rechnet mit der Migrationspolitik von Kanzlerin Merkel ab. Zwar kämen heute weniger Asylsuchende als im Jahr 2015, doch die Schleuse sei noch offen. Er habe die Integrationsprobleme früh kommen sehen.

Der frühere Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz Hans-Georg Maaßen sieht erhebliche Versäumnisse in der Migrationspolitik von Bundeskanzlerin Angela Merkel und der Europäischen Union. In einem Interview des ungarischen staatlichen Fernsehsenders M1 sagte Maaßen, die Zahl der nach Deutschland kommenden Asylsuchenden oder illegal Einreisenden sei zwar wesentlich kleiner als im Jahr 2015,  "aber die Schleuse ist immer noch offen, auch wenn weniger reinkommen".

Das etwa 25 Minuten lange Interview wurde nach Informationen der dpa bereits am Montag ausgestrahlt. Es kann in weiten Teilen auch als Abrechnung mit Merkels Migrationskurs gewertet werden.

Im September 2018 war Maaßen in die Kritik geraten, nachdem er Äußerungen der Bundesregierung angezweifelt hatte, nach denen es in Chemnitz nach einem Tötungsdelikt Hetzjagden auf Ausländer gegeben habe. Die Äußerung sorgte für eine Koalitionskrise. Im November wurde Maaßen von Innenminister Horst Seehofer (CSU) in den einstweiligen Ruhestand versetzt. 

In den sechs Jahren seiner Amtszeit hatte Maaßen zuvor etliche Gründe für eine Entlassung geliefert. Seine Rolle in der NSA-Affäre, im sogenannten NSU-Komplex, beim Anschlag auf den Breitscheidplatz, vorher im Fall Kurnaz, beim ZDF-Film über einen angeblichen FSB-Überläufer: Maaßen und sein Amt agierten in diesen Fällen undurchsichtig und zweifelhaft. Entlassen wurde er erst, als er der Regierung - zurecht - widersprach.

Interessant an seinem aktuellen Interview ist, dass Maaßen es einem zu einer staatlichen ungarischen Medien-Holding gehörenden Fernsehsender gab, der als Propagandasender für den nationalkonservativen Regierungschef Viktor Orban gilt. Orban ist einer der schärfsten Kritiker der Migrationspolitik Merkels in Europa.

Es bestehe nach wie vor ein großer Einwanderungsdruck nach Europa und Deutschland vom Mittleren Osten und von Afrika aus, sagte Maaßen. Die notwendigen Vorkehrungen, "dass dieser Einwanderungsdruck minimiert wird, dass diese Menschen nicht zu uns kommen", seien nicht getroffen worden. Ihm sei schon 2015 klar gewesen, dass eine derart große Zahl von Menschen nicht ohne Weiteres in Deutschland werde integriert werden können, sagte Maaßen.

Damals sei er für die Abwehr von Terrorismus und Extremismus verantwortlich gewesen. Er habe daran gedacht, dass diese Aufgabe nun noch schwerer werden könne - und er habe an die kommenden Integrationsprobleme gedacht, hob er hervor.

Er sehe mit großer Sorge, dass vielleicht in diesem Sommer, im Herbst oder im nächsten Jahr noch wesentlich mehr Menschen nach Europa und Deutschland kommen könnten. "Und ich sehe nicht, dass Vorsorge getroffen worden ist", kritisierte Maaßen angesichts des Abkommens zwischen der EU und der Türkei sowie diverser bilateraler Abkommen Deutschlands in der Migrationspolitik.

Grundsätzlich müssten die EU-Maßnahmen den Außengrenzschutz gewährleisten, so dass nur jene Menschen nach Europa und Deutschland kommen könnten, die ein Recht auf Asyl hätten, und nicht Armutsflüchtlinge, sagte Maaßen. "Wir können nicht alle Menschen auf der Welt aufnehmen." Er erkenne jedoch nicht, dass der Schutz der EU-Außengrenzen funktioniere oder die Grenzschutz-Agentur Frontex sowie die nationalen Grenzbehörden Maßnahmen ergriffen hätten, um Europa und damit mittelbar auch Deutschland zu schützen.

Er sei 2015 davon ausgegangen, dass unter den Migranten auch Menschen gewesen seien, die für den IS oder andere dschihadistische Terrorgruppen gekämpft hätten, sagte Maaßen. Dies sei Anlass zu großer Sorge gewesen. Vor diesem Hintergrund habe er jede Gelegenheit genutzt, dies anzusprechen. Maaßen war seine kritische Haltung gegenüber der Migrationspolitik der Kanzlerin von Teilen der Regierung zum Vorwurf gemacht worden.

Scharf kritisierte Maaßen die Maßnahmen zur Abschiebung abgelehnter Asylbewerber. Insgesamt sei die Abschiebepolitik in Deutschland und anderen westeuropäischen Staaten ein Desaster. Es gebe viele, die an der Verhinderung von Abschiebungen und an Asylsuchenden verdienten - dies müsse offen ausgesprochen werden. Zugleich warnte er vor dem Entstehen von Parallelgesellschaften. Es gebe in Deutschland eine Integration nicht in die deutsche, sondern in die arabische, türkische oder salafistische Gesellschaft.

Maaßen betonte in dem Interview erneut die Verbindung zwischen Migration und islamistischem Terrorismus. Dieses Phänomen sei ohne Zuwanderung in Deutschland nicht vorstellbar. In den nächsten Jahren rechnet der ehemalige Geheimdienstchef mit weiteren Anschlägen.

Das gesellschaftliche Klima in Deutschland habe sich in den vergangenen Jahren zum Schlechteren verändert, beklagte Maaßen. Viele Menschen, die früher zur bürgerlichen Mitte gezählt worden seien, hätten sich der rechten AfD zugewandt. Dies führe zu einer Erosion des Vertrauens in das Parteiensystem und zu einer Abkehr von der Demokratie. Es erfülle ihn mit Sorge, dass diese Entwicklung nicht gestoppt worden sei, sondern weitergehe.

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(rt deutsch/dpa)