Robert Habeck und der Traum vom weltweiten Kohleausstieg

Ist es reine Wunschvorstellung oder schlichtweg Irreführung? In der jüngsten Polittalksendung von Anne Will äußerte sich der Bundesvorsitzende der Grünen zum Kohleausstieg, den er auf der ganzen Welt beobachten will. Nur spricht die Realität eine ganz andere Sprache.

Robert Habeck ist das Gesicht einer Partei (Bündnis 90/Die Grünen), die sich im Wandel befindet. Die Grünen streben nach einer Teilhabe an der Macht und haben sich schon längst von früheren zentralen Punkten wie beispielsweise einer resoluten Friedenspolitik verabschiedet. Man möchte salonfähig sein. Manche Themen treffen durchaus den Zeitgeist und sind damit auch für Wählerinnen und Wähler von anderen Parteien attraktiv. Habecks Aufgabe ist es, diesen Esprit über die Medien zu transportieren – wo er ein oft und gern gesehener Gast ist – und Politik im Allgemeinen, aber insbesondere die Politik der Grünen, attraktiver zu machen.

Fettnäpfchen wie sein Tweet im Februar, als er aus Thüringen "ein offenes, freies, liberales, demokratisches Land" machen wollte, werden ihm schnell verziehen. Seinen Beliebtheitswerten hat es auf jeden Fall keinen Abbruch getan. Laut dem aktuellen Politbarometer des ZDF ist Habeck der beliebteste Politiker Deutschlands.

Nun hat sich der Bundesvorsitzende der Grünen erneut einen schweren Patzer geleistet, als er am vergangenen Sonntag in der Politiksendung "Anne Will" über den angeblichen weltweiten Kohleausstieg sprach. Die Vorlage dafür bot Habeck sein Politikerkollege und FDP-Vize Wolfgang Kubicki, der über die Erfahrungen seines letzten Südafrikabesuchs sprach. Dort habe er auch die indische Botschafterin getroffen, die ihm erzählt habe, dass Indien "in den nächsten Jahren 100 neue Kohlekraftwerke bauen" werde, "weil sie ihren Energiebedarf nicht anders decken können".

Robert Habeck schüttelte dabei bloß mit dem Kopf und meinte:

Nee, die Tendenz der Kohlekraftwerke nimmt deutlich ab. (…) Der Kohleausstieg wird weltweit gerade realisiert.  

Wie der Grünenpolitiker zu dieser Auffassung gelangt ist, ist nicht bekannt. Die Zahlen sprechen auf jeden Fall eine ganz andere Sprache. In der jüngsten Analyse zur Entwicklung der Kohleindustrie spricht der Bericht "Global Coal Mining to 2022" von einem weltweiten Boom. China hat als der größte Kohleproduzent und -konsument der Welt im Jahr 2018 insgesamt 3,55 Milliarden Tonnen Kohle abgebaut, ein Plus von 5,2 Prozent gegenüber dem Vorjahr.  

Die deutsche Umweltorganisation "urgewald" hat eine umfassende Datenbank der globalen Kohleindustrie zusammengestellt und zeichnet ebenfalls ein ganz anderes Bild als jenes, das Robert Habeck gern haben möchte. Mit ihrer "Global Coal Exit List" (GCEL) wollen sie insbesondere auf Versicherungen, Rentenfonds und Anlagemanager Druck ausüben, damit diese ihre Investitionen in Kohleproduzenten zurücknehmen. "urgewald" hat auf der GCEL insgesamt 225 Unternehmen identifiziert, "die den Ausbau des Kohlebergbaus" vorantreiben, und 282 Unternehmen, "die neue Kohlekraftwerke planen".

Insgesamt befinden sich demnach 1.600 neue Kohlekraftwerke in der Planung. Würden sie alle realisiert werden, würde die globale Kapazität von Kohlekraftwerken um 42,7 Prozent steigen. "Die Zahl der geplanten Projekte ist zwar gesunken. Die Pipeline ist aber noch immer viel zu groß", sagte "urgewald"-Gründerin und -Geschäftsführerin Heffa Schücking gegenüber dem Handelsblatt. "So werden wir das Ziel, die Erderwärmung auf 1,5 Grad zu begrenzen, deutlich verfehlen."

Mehr zum Thema - Angela Merkel zum Kohleausstieg: "Wenn wir so weitermachen wie bisher, werden wir scheitern"