Seit dem 2. März 2017 sind beim Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) 104 Anträge auf Erlaubnis zum Erwerb eines Betäubungsmittels zur Selbsttötung gestellt worden.
Bisher sei jedoch keine solche Erlaubnis erteilt oder versagt worden, heißt es in der Antwort der Bundesregierung vom 9. Mai 2018 auf eine Kleine Anfrage der FDP-Bundestags-Fraktion. Dabei hatte das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) am 2. März des vergangenen Jahres entschieden, dass der Staat in einem „extremen Einzelfall“ den Zugang zu einem Betäubungsmittel nicht verwehren darf, das dem Patienten eine würdige und schmerzlose Selbsttötung ermögliche. Schwer kranke Menschen hätten nach dem Grundgesetz das Recht zu entscheiden, wie und wann sie aus dem Leben scheiden wollen.
Das Bundesgesundheitsministerium wies aber im vergangenen Jahr das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) an, entsprechende Anträge von Bürgern abzulehnen. Denn es könne nicht Aufgabe des Staates sein, Selbsttötungshandlungen durch Erteilung von Erlaubnissen zum Erwerb von Suizidmitteln aktiv zu unterstützen.
In einem Vermerk aus dem Ministerium vom Juni 2018 zeigte sich das persönliche Wirken des Ministers Spahn persönlich."Gemäß der Vorgabe von Herrn Minister" sollten die beim BfArM anhängigen Anträge auf Erteilung einer Erwerbserlaubnis für Betäubungsmittel zum Zweck der Selbsttötung "im Ergebnis versagt werden," hieß es darin.
In einem Brief von Staatssekretär Lutz Stroppe an das BfArM wurde dieses Anliegen zwar als Bitte formuliert, doch ließen die Beamten intern keinen Zweifel an der Verbindlichkeit. Der Brief sei als "Erlass gegenüber dem BfArM zu werten" und dies sei auch "so gemeint und gewollt", berichtete der Tagesspiegel.
Die Behörde entschied bisher über 93 von 123 vorliegenden Anträgen und lehnte sie alle ab, so ein Sprecher am Dienstag auf Anfrage. 22 Antragsteller starben in der Wartezeit. Zuerst berichtete der Tagesspiegel (Mittwoch) darüber. Gesundheitsminister Spahn stützte sich dabei auf ein Gutachten, dessen Ergebnis schon vor Erstellung feststand.
Die FDP-Gesundheitspolitikerin Katrin Helling-Plahr sagte der Zeitung, mit seiner "rechtswidrigen Hinhaltetaktik" habe das Ministerium Schwerkranke nun kleingekriegt.
Die Betroffenen brauchen aber schnelle Rechtssicherheit, um selbstbestimmt sterben zu können."
Die FDP fordert daher in einem Antrag eine gesetzliche Klarstellung, dass "für schwer und unheilbar Erkrankte in einer extremen Notlage", wenn sie dies beabsichtigen, "der Erwerb eines Betäubungsmittels für eine Selbsttötung" ermöglicht werden solle. Vorgesehen werden solle dafür auch ein Verfahren, um Anträge von Betroffenen zu bescheiden. Befürworter verweisen auf die Abwägung vor allem angesichts des Leidens von Menschen mit einer unheilbaren Krankheit im Endstadium. Derzeit müssten einige Sterbehilfe im Ausland in Betracht ziehen.
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Ärztevertreter machen dagegen aber grundsätzliche Bedenken geltend, wie vor einer Anhörung im Bundestag am Mittwoch deutlich wurde. In ihrer Stellungnahme für die Anhörung im Gesundheitsausschuss betonte die Bundesärztekammer:
Ärzte leisten Hilfe beim Sterben, aber nicht zum Sterben."
Es dürfe daher keine Option sein, in schwierigen und hoffnungslosen Situationen eine aktive Tötung zu empfehlen oder daran mitzuwirken. Extreme menschliche Notlagen könnten auch nicht mit einem behördlichen Verwaltungsakt gelöst werden.
Die Bundesärztekammer verwies auf die Palliativ-Versorgung als Alternative. Die Deutsche Gesellschaft für Palliativmedizin lehnte ein Bereitstellen von Betäubungsmitteln für Suizide ebenfalls ab. Es bestehe die Gefahr, dass eine Begrenzung auf extreme Ausnahmesituationen nicht möglich sei und eine "staatliche Pflicht zur Assistenz bei Suizid" geschaffen werden könnte. Dabei zähle eine respektvolle Auseinandersetzung mit Todeswünschen von Patienten zu den ärztlichen Aufgaben. In erster Linie gelte es aber, Optionen zur Linderung von Leid zu erörtern und gemeinsame Wege dafür zu finden.
Die Deutsche Gesellschaft für Humanes Sterben hingegen betonte, Motive, einen selbstbestimmten Tod einem palliativ erleichterten "natürlichen" Tod vorzuziehen, lägen nicht primär in Symptomen wie Schmerzen oder Luftnot. Es gehe um eine Verletzung des Gefühls persönlicher Würde durch die Erkrankung - und auch den Wunsch prononciert selbstbestimmter und willensstarker Menschen nach Selbstbestimmung über Art und Zeitpunkt ihres Todes.
Die Deutsche Stiftung Patientenschutz kritisierte, das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts habe ein großes Dilemma geschaffen. Denn wie die Ausnahmefälle aussähen, in denen der Staat Zugang zu Tötungsmitteln ermöglichen solle, sei offen geblieben.
Schließlich lässt sich unerträgliches Leiden nicht in allgemeinverbindliche Kategorien pressen", sagte Vorstand Eugen Brysch der dpa.
Weder ein Verwaltungsbeamter noch eine ärztliche Kommission könnten es objektiv bewerten. Daher müsse das Bundesverfassungsgericht nun endlich eine Entscheidung treffen, ob das Verbot der geschäftsmäßigen Suizidbeihilfe mit dem Grundgesetz vereinbar ist.
Erst dann kann der Bundestag mit einem Gesetz für Klarheit und Rechtssicherheit sorgen."
(dpa/ rt deutsch)