In dieser Woche veröffentlichte die Bertelsmann-Stiftung eine Studie mit dem Titel: "Zuwanderung und Digitalisierung. Wie viel Migration aus Drittstaaten benötigt der deutsche Arbeitsmarkt künftig?" Das Ergebnis der Studie kurz zusammengefasst: um den Rückgang des Arbeitskräfteangebots auf ein für die Wirtschaft "verkraftbares Maß" zu begrenzen sei bis zum Jahr 2060 jährlich eine Netto-Zuwanderung von 260.000 Arbeitskräften nötig.
Die Studie fand ein breites und unkritisches Medienecho. Die Tagesschau berichtete ausführlich, den ebenfalls unkritischen und ausführlichen Bericht der dpa übernahm wie üblich ein Großteil der deutschen Printmedien.
Die Blogger Norbert Haering und Jens Berger von den Nachdenkseiten haben unabhängig voneinander die Studie einer näheren Betrachtung unterzogen und sind beide zu dem Schluss gekommen, dass es mit ihrer Wissenschaftlichkeit nicht weit her ist. Stattdessen geht es offenbar darum, die Botschaft der Notwendigkeit einer fortgesetzten Einwanderung in großem Stil unters Volk zu bringen.
Berger spricht von einem "sorgfältig konstruierten Wunschergebnis einer arbeitgebernahen Stiftung" und weist darauf hin, dass das Studiendesign fahrlässig oder manipulativ sei und die eigentlich zentrale Rolle des Bildungssystems bei der Bereitstellung von Fachkräften völlig außer acht gelassen werde.
Außerdem weist Berger auf den manipulativen Gebrauch des Begriffs "Fachkräftemangel" hin. Die Studie ignoriere den Zusammenhang zwischen dem Lohnniveau und dem Bedarf an Arbeitskräften.
Sich nicht zu bewegen und dies dann als "Mangel" zu bezeichnen, ist recht abenteuerlich. Wenn ich für 10.000 Euro einen Porsche haben will und kein Porsche-Besitzer auf das Angebot eingeht, kann ich auch nicht von einem "Porsche-Mangel" sprechen.
Steigende Löhne würden weniger Zuwanderung erforderlich machen. Verstärkte Zuwanderung dient im Umkehrschluss dazu, die Löhne niedrig zu halten.
Schließlich betont Berger, wie unsicher die der Studie zugrundeliegenden demographischen Vorhersagen sind. Frühere Vorhersagen für Zeiträume von über 40 Jahren hätten regelmäßig weit daneben gelegen. Genauso lassen sich die in der Studie vorhergesagten Niveaus von Arbeitslosigkeit und Lohnniveau in Europa hinterfragen. So kommt die Studie durch das bloße Extrapolieren aktueller Wachstumszahlen zu dem Schluss, dass im Jahr 2060 in Polen und Lettland deutlich höhere Löhne gezahlt werden als in Deutschland.
Auch Norbert Haering kommt zu dem Schluss, dass die nötige Zuwanderung künstlich hochgerechnet werde. In der Fragestellung sei davon die Rede, wie hoch die Zuwanderung sein muss, um ein für die Wirtschaft "verträgliches" Szenario zu schaffen. "Verträglich" hieße dann aber bei der Berechnung, dass "alle Arbeitsplätze besetzbar sind". Natürlich ohne Lohndruck.
Haering weist ebenfalls auf die hochspekulativen und zweifelhaften Annahmen über die künftige Wirtschaftsentwicklung hin. Sein Fazit ist vernichtend:
Ein solches Maximalszenario begründungslos hinzunehmen und die dauerhafte vollständige Deckung der gesamten Arbeitskräftenachfrage in diesem Szenario zu dem zu erklären, was die Wirtschaft gerade noch ertragen kann, hat mit seriöser Wissenschaft nicht mehr allzu viel zu tun.
Norbert Haering weist noch auf einen weiteren interessanten Aspekt der Studie hin. Diese vereinnahme fremdes Renommee. Die Autoren sind zwar Wirtschaftswissenschaftler, die beim Institut für Arbeitsmarkt und Berufsforschung (IAB) und der Hochschule Coburg arbeiten, sie haben diese Studie allerdings privat verfasst.
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Dies erfährt der Leser der Studie allerdings erst im Impressum auf Seite 114. In den Medien werden dann auch das IAB und die Hochschule Coburg als Urheber bezeichnet - unzutreffend, aber aus Sicht der Bertelsmann-Stiftung sicher nicht unbeabsichtigt.
Festzuhalten bleibt: Eine offensichtlich nicht nach wissenschaftlichen Kriterien erstellte Studie nutzt den Schein der Wissenschaftlichkeit, um die fortgesetzte Zuwanderung für notwendig zu erklären und Werbung für das Fachkräfteeinwanderungsgesetz der Regierung zu machen. Und der gesamte mediale Mainstream spielt mit.