Die SPD-Vorsitzende Andrea Nahles will das Hartz-IV-System grundlegend umbauen und älteren Arbeitslosen mehr Geld zahlen. In einem Interview mit dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND) der Madsack-Mediengruppe, an der die SPD indirekt beteiligt ist, sagte Nahles:
Wer 58 Jahre alt ist, kann heute 24 Monate lang Arbeitslosengeld I beziehen. Wir wollen den Bezugszeitraum auf bis zu 33 Monate verlängern.
In Einzelfällen könne die Bezugsdauer sogar auf drei Jahre steigen. Das umgangssprachlich oft Hartz IV genannte Arbeitslosengeld II (ALG II) wurde 2005 unter SPD-Kanzler Gerhard Schröder eingeführt. Dabei wurde das Arbeitslosengeld I, das sich am letzten Lohn orientierte und damit deutlich höher ausfiel als das ALG II, mit der Sozialhilfe zusammengelegt.
Diese Arbeitsmarktreformen der damaligen rot-grünen Regierung gelten als ein Hauptgrund für den gravierenden Vertrauens- und Stimmenverlust der SPD. Nahles hatte bereits im November 2018 eine "Sozialstaatsreform 2025" gefordert und angekündigt: "Wir werden Hartz IV hinter uns lassen." Später erklärte sie, die neue Grundsicherung müsse ein Bürgergeld sein. Die Leistungen müssten klar und auskömmlich sein, Sanktionen müssten weitgehend entfallen.
Am Sonntag und Montag befasst sich die SPD-Spitze mit dem Thema – bei einer Klausurtagung sucht sie Wege aus der Krise der Partei. "In einer neuen Zeit brauchen wir nicht weniger als einen neuen Ansatz für unseren Sozialstaat, der zudem als leistungsgerecht und transparent empfunden wird", sagte Nahles.
In dem RND-Interview bekräftigte sie ihre Forderungen und nannte Eckpunkte. Demnach will die SPD bei ihrer geplanten Reform die bisherigen Regelsätze unverändert lassen:
Die Höhe der Regelsätze bleibt. Wir haben auch eine Verantwortung gegenüber den Menschen, die für wenig Geld jeden Tag zur Arbeit gehen. Wenn wir denen das Gefühl geben, dass sich ihr Einsatz finanziell nicht mehr lohnt, zerstören wir jede Motivation.
Zusätzliches Geld sollten Leistungsempfänger aber zum Beispiel über "ein Bonussystem für Weiterbildung und auch bei speziellem Bedarf" bekommen. Nahles sprach sich dafür aus, "unsinnige Sanktionen" abzuschaffen. "Das gilt für die verschärften Sanktionen für unter 25-Jährige, die nur dazu führen, dass der Staat den Kontakt zu diesen Menschen komplett verliert." Sanktionen, die Obdachlosigkeit zur Folge hätten, würden abgeschafft. Mitwirkungspflichten werde es aber geben. Die Mehrkosten können nach Darstellung der SPD-Chefin aus der Arbeitslosenversicherung gedeckt werden:
Deren Kassen sind voll, das Geld ist da.
Nahles' Bekanntgabe ihrer Pläne zum Umbau des Hartz-IV-Systems folgt wenige Tage nach dem Vorstoß von Arbeitsminister Hubertus Heil für die Einführung einer sogenannten "Respekt-Rente". Beide Vorhaben sind als Versuch der Partei zu verstehen, mit sozialpolitischen Maßnahmen verloren gegangenes Vertrauen zurückzugewinnen.
Hintergrund ist die dramatische Lage der SPD, die in Umfragen nicht über 15 Prozent hinauskommt und der bei den in den nächsten Monaten anstehenden Europa-, Landtags- und Kommunalwahlen herbe Niederlagen drohen. Bereits jetzt wird die Parteiführung mit Nahles an der Spitze regelmäßig in Frage gestellt. Bislang deutet nichts darauf hin, dass die Pläne der Partei aufgehen könnten; ihr Glaubwürdigkeitsverlust scheint irreversibel.
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(rt deutsch/dpa)