Nach ihrer Elternzeit erschien die junge Muslimin plötzlich mit Kopftuch zum Dienstantritt bei ihrem langjährigen Arbeitgeber, der Drogeriekette Müller. Die Leiterin der Filiale in der Region Nürnberg reagierte prompt: Mit Kopftuch könne sie nicht mehr als Kundenberaterin oder an der Kasse arbeiten. Der Fall der Mitte 30-Jährigen ging durch die Instanzen. Am Mittwoch beschäftigt er die obersten, bundesdeutschen Arbeitsrichter in Erfurt.
Erstmals seit Jahren soll das Bundesarbeitsgericht darüber entscheiden, ob private Arbeitgeber anweisen dürfen, dass ihre Angestellten am Arbeitsplatz keine auffälligen religiösen, politischen oder weltanschaulichen Symbole zeigen. Im konkreten Fall geht es um die Frage: Dürfen sie - mit Verweis auf eine Unternehmensphilosophie der Neutralität - ein Kopftuch-Verbot aussprechen, wie es die Drogeriemarktkette Müller praktiziert?
Worum geht es rechtlich?
Die Bundesarbeitsrichter müssen in dem Kopftuch-Fall zwischen zwei Grundrechten abwägen: der Religionsfreiheit und der unternehmerischen Freiheit. Ihre Entscheidung kann Tausende von Angestellten betreffen - auch viele Musliminnen stehen im Berufsleben.
Es ist das Spannungsverhältnis zwischen Arbeits-, Verfassungs- und Europarecht, das diesen Fall so spannend macht", sagt der Bonner Professor für Arbeitsrecht Gregor Thüsing.
Während nach der bisherigen deutschen Rechtsprechung ein pauschales Kopftuch-Verbot unzulässig ist, hat der Europäische Gerichtshof (EuGH) 2017 entschieden, dass ein allgemeines internes Verbot von politischen oder religiösen Symbolen am Arbeitsplatz keine unmittelbare Diskriminierung darstellt. Der Wunsch von Arbeitgebern, ihren Kunden ein Bild der Neutralität zu vermitteln, gehöre zur unternehmerischen Freiheit, so die Richter in Luxemburg.
Frau sieht sich diskriminiert - Arbeitgeber verweist auf Kleiderordnung
Die Frau, die seit 2002 bei der Drogeriekette arbeitet, sieht im Kopftuch-Verbot eine Diskriminierung, einen Verstoß gegen das Gleichbehandlungsgesetz sowie gegen das in der Verfassung verbriefte Grundrecht auf Religionsfreiheit. Ihr Anwalt verweist auf die bisherige Rechtsprechung in Deutschland, wonach ein Kopftuch-Verbot am Arbeitsplatz nur gerechtfertigt sein kann, wenn andernfalls eine konkrete Gefahr für den Betriebsfrieden besteht oder wirtschaftliche Einbußen durch Verlust von Kunden drohen. Solche Störungen habe die Drogeriemarktkette aber nicht nachgewiesen.
Der Arbeitgeber pocht dennoch auf seine Kleiderordnung, an die sich die Mitarbeiter halten müssen. Dazu gehöre, "dass Kopfbedeckungen aller Art" bei Kundenkontakt nicht getragen werden. Zudem verweisen die Juristen der Drogerie-Kette Müller auf die Entscheidungen der Richter in Luxemburg. Das Unternehmen habe sein Direktionsrecht wahrgenommen und die Weisung erteilt, dass Mitarbeiter ohne auffällige religiöse, politische und sonstige weltanschauliche Zeichen am Arbeitsplatz zu erscheinen haben. Nach Unternehmensangaben beschäftigt die Müller-Gruppe in Deutschland fast 15.000 Mitarbeiter aus 88 Nationen.
Das Arbeitsgericht sowie das nächsthöhere Landesarbeitsgericht in Nürnberg entschieden für die Frau. Die erste Instanz gab zunächst ihrer Klage statt. Die Berufung der Drogeriekette wurde vom Landesarbeitsgericht im März 2018 abgewiesen. In dessen Entscheidung heißt es:
Wie das Erstgericht zu Recht entschieden hat, ist die Weisung der Beklagten, die Klägerin dürfe die Arbeit nur ohne das Kopftuch aufnehmen, unwirksam."
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Ob das Urteil des Bundesarbeitsgerichts sehr bald erfolgen wird, ist offen. Arbeitsrechtler können sich vorstellen, dass die Bundesrichter den Fall vor einer Urteilsfindung noch dem EuGH vorlegen. Dabei geht es dann in der Regel um die Frage, ob die deutsche Rechtspraxis mit europäischem Recht vereinbar ist. In den vergangenen Jahren hat das Bundesarbeitsgericht den Richtern in Luxemburg immer wieder solche Fälle vorgelegt - zuletzt zum Sonderstatus der Kirchen als Arbeitgeber.
(dpa/rt deutsch)