Eine Gruppe von 112 deutschen Lungenfachärzten hat in einem offenen Brief den gesundheitlichen Nutzen der aktuellen Grenzwerte für Feinstaub und Stickoxide angezweifelt. Sie sähen keine wissenschaftliche Begründung, die die geltenden Werte rechtfertigen könnten, heißt es in dem Brief, der am Mittwoch veröffentlicht wurde.
Wissenschaftliche Daten, die eine hohe Zahl von Todesfällen durch Feinstaub und
NOx belegen sollen, enthielten "sehr wahrscheinlich" einen systematischen Fehler. Eine Analyse der Daten zeige, dass diese immer extrem einseitig interpretiert worden seien, stets unter der "Zielvorstellung, dass Feinstaub und NOx schädlich sein müssen". Konkret nennen die Ärzte eine Studie des Umweltbundesamtes sowie Daten der Weltgesundheitsorganisation WHO und der EU.
Die Daten dieser Organisationen gehen von jährlich 6.000-13.000 zusätzlichen Sterbefällen durch Stickoxide und 60.000-80.000 durch Feinstaub aus. Dagegen betonen die Ärzte, dass in den Praxen und Kliniken täglich Todesfälle durch Lungenkrankheiten zu beobachten seien, die durch das Rauchen von Zigaretten verursacht werden, jedoch nie, auch nicht bei sorgfältiger Anamneseverursacht, solche durch Feinstaub und NOx.
Konkret bemängeln die Ärzte, dass aus Korrelationen eine Kausalität konstruiert werde. Bei einem Vergleich von Regionen mit unterschiedlicher Belastung werde die zu beobachtende geringe Risikoerhöhung in staubbelasteten Regionen auf die höhere Staub- bzw. NOx-Belastung zurückgeführt, auch wenn es offensichtlichere Erklärungen gebe. Hundertfach stärker wirkende Faktoren wie Rauchen und Alkoholkonsum würden ausgeblendet.
Die Lungenärzte bezweifeln eine generelle Gefährdung durch Feinstaub und NOx und fordern eine wissenschaftliche Neubewertung der Studien durch unabhängige Forscher. Die "große Informationsflut" in Medien und staatlichen Verlautbarungen stütze sich letztlich aus Informationen aus nur einer Quelle.
Dieter Köhler, einer der Verfasser des Papiers, nannte die per EU-Verordnung erlassenen Grenzwerte "völlig unsinnig". Der Passauer Neuen Presse sagte er:
Es gibt keine wissenschaftliche Grundlage für die aktuellen Grenzwerte für Stickoxid und Feinstaub. Da herrscht ein hohes Maß an Hysterie.
Der Brief stieß in Medien und Politik auf ein geteiltes Echo. Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer nannte den Vorstoß der Ärzte einen wichtigen Beitrag zur Versachlichung der Diesel-Debatte. Dagegen verteidigte Umweltministerin Svenja Schulze die geltenden Grenzwerte. Ein Sprecher ihres Ministeriums erklärte, dass die Gefährlichkeit der Luftschadstoffe wissenschaftlich unumstritten sei. Sie verkürzten die Lebenszeit und beförderten Krankheiten.
Der SPD-Bundestagsabgeordnete Karl Lauterbach erklärte eine mögliche Aussetzung des Feinstaubgrenzwertes für verantwortungslos. Es gebe derzeit keine Studien, die die Gefährdung in Frage stellten. Im Gegenteil zeigten neuere Studien zeigen, dass die Grenzwerte eher zu hoch als zu niedrig seien, erklärte Lauterbach MDR Aktuell. Er bitte "hier gerade den Schutz von älteren Menschen und von Kindern zu beachten".
Auch EU-Umweltkommissar Karmenu Vella kritisierte den Brief der Ärzte. Die Grenzwerte für Feinstaub basierten "auf soliden wissenschaftlichen Erkenntnissen der WHO, der weltweit führenden Autorität in Fragen der Gesundheit." Zahllose wissenschaftliche Aufsätze hätten dies bestätigt. "Es ist eine Tatsache, dass wir die Folgen leider im Lebensalltag Hunderttausender Menschen beobachten können."
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