Peer Steinbrück, früherer Bundesfinanzminister und Kanzlerkandidat der SPD im Jahr 2013, hat sich überraschend Forderungen der Parteilinken nach einer Neuausrichtung und einem Wechsel in der Parteispitze angeschlossen. In einem Interview mit der Süddeutschen Zeitung erklärte Steinbrück, die SPD müsse "auf die Kernfrage der gesellschaftlichen Konflikte zurückkommen", mutig sein, provozieren und zuspitzen. Die Partei müsse sich für eine gerechtere Gesellschaft und eine höhere Erbschaftssteuer einsetzen. Für eine solche Neuausrichtung sei ein Wechsel in der Führung notwendig.
Das läuft darauf hinaus, dass die SPD eher eine Person wie Bernie Sanders braucht, nur 30 Jahre jünger.
Steinbrück sieht eine Ursache für die Krise der ehemaligen Volksparteien in der Finanzkrise 2008. Diese habe dazu beigetragen, dass Vertrauen in die politische Handlungsfähigkeit und einen regelgebundenen Kapitalismus verloren gegangen sei. Die großen Parteien hätten darunter besonders gelitten. Bis heute hätten weite Teile der Bevölkerung das Gefühl, mit ihrem Steuergeld Banken geholfen zu haben, die sich verzockt hatten. Es habe sich gezeigt, dass Regierungen erpressbar seien.
Der ehemalige Kanzlerkandidat gab sich in Bezug auf die Finanzkrise auch selbstkritisch. Die SPD habe an der Deregulierung der Banken mitgewirkt, auch wenn Steinbrück die Hauptverantwortung bei Union und FDP sieht. Laut Steinbrück ist die Bankenkrise noch nicht vorbei. Zwar sei die Regulierung verbessert worden, das Ausmaß der faulen Kredite und der Schulden sei aber weiterhin hoch, ebenso der spekulative Anteil bei Derivaten und die Risiken bei den Schattenbanken.
Die "Große Koalition" habe es laut Steinbrück kaum noch selbst in der Hand, über ihre Amtszeit zu entscheiden, das gelte auch für den Verbleib der SPD in der Regierung. Es seien inzwischen Kräfte am Werk, die nicht mehr der Steuerung durch die jeweilige Parteispitze unterliegen. Die Landtagswahlen der vergangenen Wochen könnten eine Zündschnur entfacht haben, die zum Ende der Koalition führen könnte.
Eine Ursache für den Abstieg der SPD sieht Steinbrück auch in gesellschaftlichen Veränderungen. Man habe es mit einem kulturellen Konflikt zu tun, der zwischen den Anhängern der offenen Gesellschaft und denen, die sich zurückziehen wollen, verlaufe. Die SPD sei zum Opfer des eigenen Erfolges beim Aufbau des Wohlfahrtstaates und beim Aufstieg durch Bildung geworden. Der Impetus des gesellschaftlichen Fortschritts sei verloren gegangen.
Peer Steinbrück war von 2005 bis 2009 Finanzminister in der damaligen "Großen Koalition". Mit ihm als Kanzlerkandidat erreichte die SPD bei den Bundestagswahlen 2013 25,7 Prozent, was damals als schwaches Ergebnis galt. Steinbrücks aktuelle Forderungen und Äußerungen unterscheiden sich so deutlich von seinem damaligen Programm, dass die Frage nahe liegt, warum er sie sich nicht schon damals zu eigen gemacht hatte.
Dass mit Peer Steinbrück ein ehemaliger Parteigrande auf Distanz zur aktuellen SPD-Führung geht, kann als weitere Belastung für die Parteivorsitzende Andrea Nahles verstanden werden.