Sie sitzt immer im Hintergrund, hinter den Zeugen. Wenn es mal wirklich brisant und spannend wird, schüttelt die Beamtin aus dem Bundesinnenministerium aber den Kopf und sagt: "Nein, Stop!" Das dürfe die Zeugin jetzt nicht beantworten. Eva Maria H. nimmt an den Sitzungen des Untersuchungsausschusses des Bundestags zum Terroranschlag auf dem Berliner Weihnachtsmarkt am Breitscheidplatz teil. Sie soll dafür sorgen, dass in öffentlichen Sitzungen keine Geheimnisse ausgeplaudert werden. Der Bundestag versucht zu klären, wieso die Behörden den Berliner Attentäter Anis Amri nicht frühzeitig aus dem Verkehr gezogen haben. Doch die Regierung hat den Abgeordneten dafür eine Beamtin zur Seite gestellt, die sich nun als ehemalige Mitarbeiterin des Verfassungsschutzes entpuppt. Und dazu selbst für Islamisten zuständig war.
Offenbar zuständig für Auswertung von Informationen über zwei Amri-Kontaktleute
Nach einem Bericht der Zeitung Die Weltsollen die Abgeordneten, die mögliche Behördenfehler vor dem Attentat aufklären sollen, nach eigenen Angaben erst an diesem Dienstag aus einem Schreiben erfahren haben, dass Eva Maria H. mindestens bis Sommer 2016 selbst beim Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) in der Islamismus-Abteilung gearbeitet hatte. Damit könnte sie theoretisch als Zeugin im Ausschuss befragt werden.
Noch brisanter ist, dass die Beamtin nach Angaben aus Ausschusskreisen im Bundesamt für die Auswertung von Informationen über zwei Kontaktleute des späteren Attentäters Anis Amri zuständig gewesen war. Einer von ihnen ist der Deutsch-Serbe Boban S., der jetzt in Celle vor Gericht steht. Er soll Kämpfer für die Terrormiliz Islamischer Staat (IS) in Syrien rekrutiert haben. Ihn behielt die Beamtin bis August 2016 im Blick. Amri hielt sich zeitweise in der Dortmunder Wohnung von Boban S. auf. Der zweite Kontaktmann, mit dem sich Eva Maria H. in ihrer Zeit beim Verfassungsschutz befasste, ist Kamel A. Er hatte Amri in Berlin eine Bleibe besorgt, verkehrte in Salafisten-Moscheen.
Gibt es einen Interessenkonflikt?
Die Grünen-Innenpolitikerin Irene Mihalic hält es für einen Skandal, dass eine potenzielle Zeugin des Ausschusses Zugang zu allen Sitzungen und Akten hatte. "Aus meiner Sicht hätte diese Beamtin niemals als Vertreterin des Bundesinnenministeriums in den Untersuchungsausschuss geschickt werden dürfen", sagt die Grünen-Obfrau.
Wenn es im BfV damals Versäumnisse gegeben haben sollte, für die sie die Verantwortung trägt, dann hat sie sich jetzt optimal auf ihre eigene Vernehmung vorbereiten können", sagte Mihalic.
Der abgelehnte Asylbewerber Amri war mit verschiedenen Identitäten in Deutschland unterwegs gewesen und hatte Kontakt zu radikalen Salafisten gehalten. Er erschoss einen Lastwagenfahrer und raste mit dessen Fahrzeug am 19. Dezember 2016 auf den Weihnachtsmarkt an der Berliner Gedächtniskirche und tötete so elf weitere Menschen.
Der Ausschussvorsitzende Armin Schuster sagte:
Einen Interessenkonflikt halte ich für möglich.
Der Ausschuss werde prüfen, in welchem Ausmaß die Beamtin damals mit den Maßnahmen des Verfassungsschutzes in Amris Umfeld in Berührung gekommen sei. Das Bundesinnenministerium müsse dem Ausschuss zudem erklären, "warum uns die mögliche Zeugeneigenschaft bisher nicht aufgezeigt wurde".
Beamtin schritt während der Vernehmung von Verfassungsschutz-Mitarbeitern mehrfach energisch ein
Aus dem Ministerium hieß es: "Die Aufklärungsrechte des Untersuchungsausschusses sind von der Auswahl der Beauftragten unabhängig und bleiben vollumfänglich gewahrt." Sollte der Ausschuss Zweifel hegen, könnten Streitfälle vor Gericht gebracht und die Vorlage bislang gesperrter Dokumente oder Aussagen zu bestimmten Sachverhalten angeordnet werden.
Während der Vernehmung von Verfassungsschutz-Mitarbeitern war die Beamtin mehrfach energisch eingeschritten, um Aussagen zu verhindern, die nach ihrer Einschätzung nicht in einer öffentlichen Sitzung gemacht werden sollten. Der Grünen-Innenpolitiker Konstantin von Notz attestierte ihr einen teilweise "aggressiven Ton" und sprach von einem "ungeheuerlichen Vorgang".
Der FDP-Vertreter im Ausschuss, Benjamin Strasser, sagt:
Entweder wurde das Parlament erneut zum Fall Amri belogen, oder der Verfassungsschutz hat gegenüber dem Innenministerium die Rolle seiner ehemaligen Mitarbeiterin im Fall Amri bewusst verschleiert. Beides wäre ein katastrophales Signal.
Bereits vor mehreren Tagen sorgte ein ZDF-Bericht für Diskussionen. Darin ging es ebenfalls um Fall Amri und die Frage, wie dicht der Verfassungsschutz an dem Attentäter vom Breitscheidplatz dran war. Laut dem Bericht der ZDF-Sendung Frontal21 kamen im Oktober 2014 zwei Islamisten aus Tunesien nach Deutschland: ein ehemaliger Angehöriger einer Spezialeinheit der tunesischen Nationalgarde und ein weiterer Tunesier, der nun als engster Vertrauter des späteren Attentäters vom Berliner Breitscheidplatz eingestuft wird.
V-Mann aus dem Umfeld von Anis Amri wurde erst im September 2018 erwähnt
Der Berliner Verfassungsschutz soll laut Bericht gleich einen V-Mann auf sie angesetzt haben. Der in der Sendung Emanuel P. genannte Spitzel soll bis September 2015 im Umfeld des Attentäters Amri tätig gewesen sein. Abgeschaltet wurde er, weil er dem Bericht zufolge im Sommer 2015 für einen 16-Jährigen eine Reise zur Terrormiliz IS nach Syrien organisiert haben soll. Der Jugendliche wurde aber an der türkischen Grenze zu Syrien gefasst. Emanuel P. wurde abgesetzt, gegen ihn wurde ein Ermittlungsverfahren wegen Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Straftat eingeleitet. Laut Frontal21 wurde es inzwischen eingestellt.
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Bis September 2018 waren aber den Untersuchungsausschüssen vom Bund und Ländern demnach sowohl diese Dschihadisten-Gruppe als auch der V-Mann verschwiegen worden.
(rt deutsch/dpa)