Zwischen den Koalitionspartnern Union und SPD ist ein offener Streit über ein mögliches Eingreifen der Bundeswehr in den Syrien-Krieg ausgebrochen. Kanzlerin Angela Merkel (CDU) kritisierte am Mittwoch das klare Nein von SPD-Chefin Andrea Nahles zu einer deutschen Beteiligung an einem "Vergeltungsschlag" im Falle des Einsatzes von Giftgas. Merkel sagte in der Haushaltsdebatte im Bundestag:
Einfach zu behaupten, wir könnten wegsehen, wenn irgendwo Chemiewaffen eingesetzt werden und eine internationale Konvention nicht eingehalten wird, das kann auch nicht die Antwort sein.
Alle Antworten der Bundesregierung würden auf Basis des Grundgesetzes und im Rahmen der parlamentarischen Verpflichtungen gegeben. "Aber von vornherein einfach Nein zu sagen, egal was auf der Welt passiert, das kann nicht die deutsche Haltung sein", so Merkel, die an dieser Stelle zum einzigen Mal während ihrer Rede emotional wurde. Während CDU und CSU die Kanzlerin stark beklatschten, herrschte bei der SPD Schweigen. SPD-Partei- und Fraktionschefin Andrea Nahles schaute demonstrativ auf ihr Handy.
Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) äußerte sich erwartungsgemäß noch deutlicher als Merkel und forderte eine "glaubhafte Abschreckung" gegen einen erneuten Einsatz von Chemiewaffen. "Es geht um nichts Geringeres als den Fortbestand einer Ächtung, die die Weltgemeinschaft als Lehre aus den unvorstellbaren Grauen des Ersten Weltkrieges aufgestellt hat", betonte von der Leyen. "Ein weltweites Tabu, das im Großen und Ganzen über Jahrzehnte auf den Schlachtfeldern teils härtester Kriege eingehalten worden ist."
Die UN-Konvention zum Verbot von Chemiewaffen trat 1997 in Kraft, Syrien trat ihr 2013 bei. Trotzdem kam es seit Beginn des Krieges in dem arabischen Land immer wieder zu Giftgaseinsätzen, über deren Urheberschaft kontrovers diskutiert wurde und wird. Der Westen machte fast immer Damaskus verantwortlich, während die syrische Regierung und Russland in den Angriffen False-Flag-Operationen der Terroristen sahen, mit denen dem Westen ein Vorwand zum Intervenieren gegeben werden sollte.
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Ein Bericht der Bild, nach dem das Verteidigungsministerium eine deutsche Beteiligung an einem Militärschlag prüft, hatte am Montag eine heftige innenpolitische Debatte ausgelöst. SPD-Chefin Nahles hatte den Einsatz der Bundeswehr sofort kategorisch ausgeschlossen. Westliche Staaten behaupten, dass bei einer Großoffensive gegen die letzte verbliebene Rebellenhochburg in Syrien auch Giftgas eingesetzt werden könnte.
Nach Ansicht von Außenminister Heiko Maas sollte sich Deutschland nicht unter Zugzwang setzen lassen. "Wir treffen eine autonome Entscheidung, die wir entlang unserer verfassungsrechtlichen Grundlagen treffen müssen, die in Deutschland gelten - und natürlich auch entlang des Völkerrechts", sagte er der dpa. Nach seinen Angaben gibt es noch keine konkrete Anfrage der USA zu einer deutschen Beteiligung an einem "Vergeltungsschlag".
"Eine konkrete Anfrage kann es ja erst geben, wenn Giftgas eingesetzt wurde und wenn es die Entscheidung anderer Staaten gibt, darauf militärisch zu reagieren", sagte er. "Bis dahin geht es in der aktuellen Lage darum, in politischen Gesprächen ein humanitäres Desaster zu verhindern. Daran arbeiten wir."
Gutachten: Bundeswehrbeteiligung ist völkerrechts- und grundgesetzwidrig
Nach einem Gutachten des wissenschaftlichen Dienstes des Bundestags würde eine Beteiligung der Bundeswehr an einer westlichen Intervention in Syrien gegen das Grundgesetz und gegen das Völkerrecht verstoßen. Im April hatte es nach einem mutmaßlichen Giftgaseinsatz bereits einen ersten "Vergeltungsschlag" der USA, Großbritanniens und Frankreichs gegen Stellungen der syrischen Streitkräfte gegeben. Die Bundesregierung hatte die Luftangriffe zwar politisch unterstützt, sich aber militärisch nicht beteiligt und auch eine rechtliche Einschätzung vermieden.
Von den Oppositionsparteien stützen die AfD und Die Linke die Position von SPD-Chefin Nahles. Die Co-Vorsitzende der Fraktion Die Linke, Sahra Wagenknecht, sagte gegenüber dem Sender n-tv: "Ich finde das eine völlig unverantwortliche Debatte". Bisher sei der Krieg mit dem Kampf gegen den IS gerechtfertigt worden. Dieser sei nun zurückgedrängt worden. Sie finde es absurd, jetzt einen Einsatz zu erwägen und auch noch die Bundeswehr daran zu beteiligen.
Ich finde es schon bezeichnend, wie ein Giftgasangriff geradezu herbeigeredet wird. Das ist eine Einladung an die Islamisten, so einen Einsatz möglicherweise vorzutäuschen, um einen Militärschlag damit auch zu bewirken… Es wäre das Letzte, sich hier Donald Trump unterzuordnen, der bisher nur dazu beigetragen hat, den Nahen Osten noch mehr zu destabilisieren.
Die FDP zeigt sich einer Intervention nicht abgeneigt. Die Grünen sind unentschieden. Parteichef Robert Habeck sprach sich am Mittwoch aber strikt gegen einen Bundeswehr-Einsatz aus. "Bisher hat kein Militäreinsatz die Lage in dem Land befriedet", sagte er den Zeitungen der Neuen Berliner Redaktionsgesellschaft. Die Abgeordnete Franziska Brantner hatte der Bild dagegen noch vor wenigen Tagen gesagt:
Die letzten sieben Horror-Jahre sind auch dem Versagen des demokratischen Westens geschuldet, keine Antwort auf die Allianz von Putin, Iran und Assad gefunden zu haben. Das Ziel muss sein, die Menschen in Idlib zu schützen. Daraufhin müssen alle Optionen überprüft werden.
Rechtsgrundsätze werden aus öffentlicher Debatte weitgehend ausgeblendet
Die Rechtslage zu dem im Bundestag ernsthaft diskutierten Bundeswehreinsatz in Syrien ist eigentlich vollkommen klar. Schon die bisherigen westlichen Angriffe auf Syrien stellten einen Bruch des Gewaltverbots in der UN-Charta dar. Auch die Beteiligung der Bundeswehr am Anti-IS-Einsatz ist völkerrechtlich illegal, weil dieser Einsatz gegen den Willen der syrischen Regierung durchgeführt wird. Das ergab ein anderes Gutachten des wissenschaftlichen Dienstes des Bundestags.
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Ein erneuter westlicher Militäreinsatz in Syrien wäre genauso völkerrechtswidrig wie die vorherigen Einsätze. Eine deutsche Beteiligung an einem solchen Einsatz wäre, das stellt das Bundestagsgutachten klar, darüber hinaus auch nicht verfassungskonform. Im deutschen Soldatengesetz ist klar geregelt, dass Befehle nicht befolgt werden dürfen, wenn dadurch eine Straftat begangen würde. Nur: All das galt auch schon 1999, als sich die Bundeswehr an der ebenfalls völkerrechtswidrigen Bombardierung Jugoslawiens beteiligte.
In der aktuellen Debatte spielen Völkerrecht und Grundgesetz nur noch eine untergeordnete Rolle. Daran wird deutlich, inwieweit das politische und mediale Establishment das westliche Narrativ einer angeblich "humanitären Intervention" schon verinnerlicht hat und wie gleichgültig ihm die nationale und internationale Rechtslage ist. Auch dass die Interventionsanlässe zunehmend lieblos zusammengebastelt scheinen, wie in diesem Fall ein angeblich bevorstehender, aber militärisch ja vollkommen sinnloser Giftgaseinsatz seitens die syrischen Streitkräfte, scheint im Mainstream kaum noch jemanden zu stören.
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(rt deutsch/dpa)