Nach den umstrittenen Äußerungen von Hans-Georg Maaßen zur Dimension der fremdenfeindlichen Übergriffe in Chemnitz erhofft sich die Bundesregierung zu Beginn der neuen Woche Aufklärung vom Verfassungsschutz-Präsidenten. Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) erwartet vom Chef des Inlandsgeheimdienstes in dieser Sache nach eigenen Worten bis zu diesem Montag einen Bericht – und zugleich eine Begründung, auf welche Indizien Maaßen seine am Freitag via Bild-Zeitung publik gemachten Thesen stütze.
Maaßen hatte dem Blatt unter anderem gesagt, es lägen seinem Amt keine belastbaren Informationen darüber vor, dass Hetzjagden auf Ausländer stattgefunden hätten. Es lägen auch keine Belege dafür vor, dass ein im Internet kursierendes Video zu einer angeblichen Hetzjagd authentisch sei. Maaßen sprach von möglicherweise gezielten Falschinformationen. Damit er widersprach er Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und deren Regierungssprecher Steffen Seibert, die zuvor beide von "Hetzjagden" in Chemnitz gesprochen hatten.
Forderungen nach einer Entlassung Maaßens häufen sich. Grünen-Chef Robert Habeck sagte der Rheinischen Post: "Maaßen ist nicht mehr haltbar und muss gehen, um weiteren Schaden von den Institutionen abzuwenden, die eigentlich unsere Verfassung schützen sollen." Grünen-Fraktionschef Anton Hofreiter fordert zugleich den Rücktritt Seehofers, der sich schnell vor Maaßen gestellt und ihm auch am Sonntagabend im ARD-Bericht aus Berlin nochmals sein "uneingeschränktes Vertrauen" ausgesprochen hatte. Ein Innenminister, der rechts zündele, sei ebenso wenig tragbar wie ein Geheimdienstler, der "durch das Streuen von Gerüchten unseren Rechtsstaat" destabilisiere, sagte Hofreiter der Passauer Neuen Presse.
Der Grünen-Bundestagsabgeordnete Konstantin von Notz beschuldigte Maaßen sogar, als Sprachrohr für "russische Anti-Merkel-Propaganda" zu agieren. In einem Interview mit der Süddeutschen Zeitung sagte von Notz weiter:
Nach den Ereignissen von Chemnitz lief eine breite Kampagne in russischen Medien, die rechtsextremen Ausschreitungen- und Hetzjagddiskussionen seien nur ein Ablenkungsmanöver von der durch Migranten begangenen Straftat. Es spottet doch einfach nur jeder Beschreibung, wenn nun ausgerechnet der Präsident des deutschen Bundesamtes für Verfassungsschutz mit derart vagen und bisher gänzlich unbelegten Behauptungen rausreitet und damit diese abstrusen Verschwörungstheorien füttert.
Nachdem auch die SPD Maaßen am Wochenende scharf kritisiert hatte, forderte FDP-Vize Wolfgang Kubicki die Partei auf, die Koalition notfalls zu verlassen. "Wer wie Frau Nahles dicke Backen macht, muss auch die Konsequenzen ziehen und sagen: Entweder Horst Seehofer verlässt das Kabinett oder die SPD verlässt es", sagte Kubicki der Saarbrücker Zeitung. FDP-Fraktionsgeschäftsführer Marco Buschmann sagte der dpa, die Kanzlerin müsse nun "von ihrer Richtlinienkompetenz Gebrauch machen und für Klarheit sorgen".
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SPD-Fraktionsgeschäftsführer Carsten Schneider forderte eine umfassende Erklärung von Maaßen. "Herr Maaßen muss jetzt schnell Klarheit schaffen. Wenn sich seine Äußerungen als falsch herausstellen, muss das Konsequenzen haben. Für ihn und den Bundesinnenminister", sagte Schneider der Passauer Neuen Presse. "Maaßens Äußerungen sind schon eine äußerst steile These. Er behauptet ja nichts anderes, als dass es ein manipuliertes Video gegeben habe, um von dem Mord abzulenken."
In Chemnitz war vor zwei Wochen ein Deutscher erstochen worden, tatverdächtig sind drei Asylbewerber, von denen einer noch gesucht wird. Nach der Tat kam es in der Stadt zu Trauermärschen und Protesten und vereinzelt auch zu fremdenfeindlichen Übergriffen.
Seehofer sagte am Sonntagabend, der Geheimdienstchef habe ihn selbst und das Ministerium über seine Zweifel an dem Video vorab informiert. "Und wenn solche Zweifel vorhanden sind, darf man diese Meinung als Minister nicht unterdrücken." Der Innenminister betonte aber auch, die Verantwortung für "Formulierungen und seine Thesen" trage Maaßen.
Der Chef der Geheimdienst-Kontrolleure im Bundestag, Armin Schuster (CDU), übte ebenfalls Kritik an Maaßen, wies Rücktrittsforderungen aber als absurd zurück. "Die ursprüngliche Absicht von Maaßen war genau richtig. Die nur auf das Thema Hetzjagd zugespitzte Art und Weise ging allerdings gründlich daneben", sagte Schuster der dpa. SPD-Rücktrittsforderungen und Grünen-Rufe nach einer Auflösung des Verfassungsschutzes seien aber "nur noch kleinkariertes politisches Drama und absurd angesichts der Ernsthaftigkeit des eigentlichen Themas".
Das Gewaltverbrechen von Chemnitz liegt nun über zwei Wochen zurück, und die politische Debatte dreht sich immer noch um die Einordnung der Demonstrationen und Übergriffe nach dem Verbrechen, nicht um die Themen Asyl und innere Sicherheit. Derweil scheinen sich die Ereignisse von Chemnitz in der sachsen-anhaltischen Stadt Köthen zu wiederholen.
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(rt deutsch/dpa)