von Andreas Richter
Nach dem Gewaltverbrechen in Chemnitz am frühen Morgen des 26. August, einem Sonntag, bei dem ein Deutscher getötet und zwei weitere schwer verletzt wurden, kam es in der Stadt zu Demonstrationen, bei denen vereinzelt Übergriffe gegen Migranten, Linke und Polizisten zu beobachten waren.
In den überregionalen Medien war daraufhin schnell von "Hetzjagden auf Ausländer" und Pogromen die Rede. Die Bundesregierung übernahm diese Wortwahl. Regierungssprecher Steffen Seibert sagte am Montag, dem 27. August: "Solche Zusammenrottungen und Hetzjagden nehmen wir nicht hin".
Auch die Bundeskanzlerin äußerte sich am 31. August ähnlich:
Wir haben Videoaufnahmen darüber, dass es Hetzjagden gab, dass es Zusammenrottungen gab, dass es Hass auf der Straße gab. Das hat mit unserem Rechtsstaat nichts zu tun.
Einzige Grundlage für die Behauptung, es habe in Chemnitz Hetzjagden gegeben, ist das auf der Facebook-Seite einer linken Gruppe veröffentlichte und mittlerweile hinlänglich bekannte "Hase-Du-bleibst-hier-Video". Darin ist zu sehen, wie ein Mann einen anderen bedroht und einige Meter verfolgt, zu hören sind Beleidigungen und die mahnende Stimme der offenbar filmenden Frau.
Die Chemnitzer Regionalzeitung Freie Presse war – im Gegensatz zu anderen – vor Ort und berichtete über die Demonstration und die Übergriffe. Die Zeitung beklagte den dort zutage getretenen Hass, wollte das Wort Hetzjagd aber ausdrücklich nicht verwenden.
Auch die sächsiche Polizei wusste in ihrem Statement zu den Vorgängen am Sonntag nichts von Hetzjagden zu berichten, sondern konstatierte nüchtern vier Anzeigen: zwei wegen Körperverletzung, eine wegen Bedrohung eine wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte.
Auch die zuständige Staatsanwaltschaft hat keine Hinweise auf Hetzjagden entdecken können. Gegenüber Sputnik News erklärte Wolfgang Klein, Sprecher der Generalstaatsanwaltschaft Dresden:
Wir prüfen aktuell sämtliche verfügbare Videos der Demonstrationen in Chemnitz auf mögliche Straftaten. Und es ist tatsächlich so, dass wir – bei der bisher gesichteten Menge an Video-Material – bisher keine Hinweise auf menschliche Hetzjagden finden konnten.
Allerdings dauere die Prüfung noch an, und es könne sein, dass sich noch Hinweise ergeben.
In einer Regierungserklärung an diesem Mittwoch hat der sächsische Ministerpräsident Michael Kretschmer diese Darstellung bestätigt:
Es gab keinen Mob, es gab keine Hetzjagd, es gab kein Pogrom in Chemnitz.
Die Bundesregierung rudert unterdessen vorsichtig zurück. Auf Anfrage des Internetmediums Publico erklärte das Bundespresseamt am 4. September, dass Regierungssprecher Seibert die Vorgänge in Chemnitz am 27. August "politisch eingeordnet" habe. Seibert selbst stellte klar, dass er "keine semantische Debatte über ein Wort" führen wolle, vermied aber nun den Begriff Hetzjagden.
Aus dem Statement des Amtes geht auch hervor, dass sich die Regierung bei ihrer Beurteilung der Ereignisse in Chemnitz ausschließlich auf Material stützte, das in den sozialen Medien kursierte.
Die ehemalige Grünen-Spitzenpolitikerin Antje Hermenau verurteilte die Reaktion der Regierung auf die Ereignisse in Chemnitz scharf. Im Gespräch mit RT Deutsch sagte sie:
Da hat also der Sprecher der deutschen Bundeskanzlerin etwas unterstellt, was nicht stattgefunden hat. Alle Medien haben sich draufgestürzt oder hatten es sogar schon Montag früh drin, obwohl von denen keiner in Chemnitz war. Die einzigen Journalisten vor Ort waren am Sonntag die der Freien Presse, die dort zu Hause ist. Unglaublich, Fake News.
Deutschland im Spätsommer 2018. Auf der einen Seite ein schreckliches Verbrechen, das als Einzelfall abgetan wird. Auf der anderen Seite einige folgenlose Übergriffe von Rechtsextremen auf einer längst nicht nur von Rechtsextremen besuchten Demonstration, die von Medien und Regierung skandalisiert und zu Hetzjagden und Pogromen aufgeblasen werden. Wenn noch jemand fragt, woher der Vertrauensverlust gegenüber "der Politik" in der Bevölkerung, woher die Debatte um "Fake News" kommt - bitte, hier gibt es eine Antwort.
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