RT Deutsch nutzte die Bundespressekonferenz, um zu fragen, ob die Bundesregierung über einen genauen Überblick verfügt, wer beim Bundesnachrichtendienst (BND) und der Bundeswehr nach der völkerrechtswidrigen BND-Geheimdienstoperation in den 1990er-Jahren Zugang zur Nowitschok-Formel hatte, und um in Erfahrung zu bringen, ob die Bundesregierung weiß, in wessen Händen sich die damals illegal beschaffte Nervengift-Probe derzeit befindet.
Die Bundesregierung zeigte sich nicht in der Lage, die Fragen zu beantworten, und verwies lediglich auf drei vorherige Pressekonferenzen vom 16. März, vom 18. Mai und vom 6. Juni, auf denen diese Frage angeblich "vollumfänglich mehrfach beantwortet wurde".
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Die Erwiderung von RT-Redakteur Florian Warweg, dass er diese Frage in dieser Form noch nie gestellt habe, beantwortete der Sprecher der Bundeswehr Oberst i.G. Holger Neumann mit den Worten: "Dann schauen Sie mal bitte in das Protokoll."
Macht man sich jedoch die Mühe, in die entsprechenden Protokolle zu schauen, wird deutlich, dass die Aussage der Regierungssprecher keine Basis hat. Zum einen war der RT-Redakteur bei diesen drei Regierungspressekonferenzen gar nicht anwesend, und zum anderen wurde diese Frage in den Protokollen weder gestellt, noch wurden entsprechende Aussagen zur Nowitschok-Formel und dem Verbleib der Probe getätigt.
Vollständiger Auszug aus dem Protokoll vom 6. Juni zum Thema Nowitschok:
FRAGE BUCHHOLZ: Eine Frage an Herrn Seibert: Mein Kollege hat an dieser Stelle nachgefragt, ob Frau Merkel wusste, dass der BND Proben von Nowitschok besaß. Sie wollten ihm dazu eine Auskunft geben oder nachreichen.
STS SEIBERT: Ich hatte gesagt, ich werde, wenn etwas nachzureichen ist, nachreichen. Das haben wir offensichtlich nicht getan. Insofern müsste ich Sie möglicherweise noch einmal vertrösten. Ich schaue einmal, ob sich die Kollegen in den nächsten fünf Minuten noch bei mir melden.
Ich kann nicht sagen, dass wir etwas nachreichen werden, aber wenn ja, dann würden wir das noch tun.
Vollständiger Auszug aus dem Protokoll vom 18. Mai zum Thema Nowitschok:
FRAGE JESSEN: Zu Skripal/Nowitschok: In einer früheren Positionierung war die Bundesregierung im Anschluss an die britische Regierung der Auffassung, die Spuren könnten nur nach Russland führen, weil eben nur Russland im Besitz dieses Stoffes sei. Nun wissen wir inzwischen, dass auch deutsche Dienste frühzeitig über eine Probe verfügt und diese geteilt haben. Muss das nicht dazu führen, dass diese Unbedingtheit, dass nur Russland für den Anschlag an die Skripals verantwortlich sein könnte, nicht mehr so ausschließlich gilt? Müssen Sie jetzt nicht das, was Sie damals gesagt haben - Ihr Erkenntnisstand hatte Sie dazu bewogen zu sagen „Nein, es kann nur Russland sein“ -, revidieren? Wir hatten ja explizit gefragt: Haben auch andere Länder, westliche, diesen Stoff? Müssen Sie nicht diese Position revidieren?
BURGER: Ich glaube, Sie geben unsere Position aus der Vergangenheit nicht ganz korrekt wieder. Denn es war nie so, dass wir gesagt haben, der spezielle Wirkstoff, der da eingesetzt oder analysiert wurde, sei der eine und einzige Hinweis, der nach Russland führe, sondern das ist ein Element von mehreren. Es gibt eben auch eine ganze Reihe von anderen Hinweisen, die in der Gesamtschau aus unserer Sicht und auch aus Sicht der britischen Kollegen nach Russland weisen.
ZUSATZFRAGE JESSEN: Ja, aber ich erinnere mich an diese Diskussion auch noch relativ gut. Ich weiß, dass mehrere Kollegen - auch ich - explizit danach gefragt haben, ob Sie ausschließen können, dass außer den Russen andere Staaten, auch westliche, über die Substanz verfügen. Dann wurde mir - mit Verlaub - unterstellt, dass das eigentlich eine Frage von „Russia Today“ sei.
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Nun ist erwiesen, dass andere Staaten auch darüber verfügten. Das greift doch eine zentrale Säule der bisherigen Argumentation an. Können Sie denn - ich stelle die Frage jetzt neu - vor dem Hintergrund des Faktums, dass auch westliche Staaten über Nowitschok verfügen und verfügten, ausschließen, dass nicht auch andere als russische Akteure für den Anschlag verantwortlich sein könnten?
BURGER: Ich spekuliere nicht. Aber ich bleibe dabei: Aus unserer Sicht führen alle Spuren - dazu gehören auch die Hinweise, die wir von der britischen Seite bekommen haben - nach Russland.
ZUSATZFRAGE JESSEN: Die Tatsache, dass auch westliche Dienste, Staaten, über den Wirkstoff verfügten, ändert nichts an dieser Position? Eröffnet das nicht die Möglichkeit, dass es vielleicht jemand anders als Russland gewesen ist?
BURGER: Wie gesagt: Der Wirkstoff - das haben wir von Anfang an so kommuniziert - ist ein Element. Aber es ist nie so gewesen, dass wir gesagt haben: Das ist der Grund und der einzige Grund, der auf Russland verweist.
FRAGE JUNG: Frau Fietz, wann hat die Bundesregierung beziehungsweise Frau Merkel davon erfahren, dass der BND selbst Nowitschok-Proben hat und gehabt hat? Der Fall ist ja schon seit den Neunzigern dem BMD bekannt.
SRS’IN FIETZ: Ich kann Ihnen hier nicht beantworten, wann die Bundeskanzlerin selber von diesem Vorgang erfahren hat. Ich kann Ihnen nur sagen, dass sich natürlich die Bundeswehr und der Bundesnachrichtendienst im Rahmen ihres gesetzlichen Auftrages und in Übereinstimmung mit internationalen Verträgen - wie unter anderem dem Chemiewaffenübereinkommen - mit der Abwehr und dem Schutz vor chemischen, biologischen, radiologischen und nuklearen Kampfstoffen beschäftigen. Um die Sicherheit der Bürgerinnen und Bürger und im Speziellen auch der Angehörigen der Bundeswehr sicherzustellen, nimmt die Bundesregierung grundsätzlich keine Stellungnahmen zu Einzelheiten ihrer Arbeit. Deshalb kann ich Ihnen auf Ihre konkrete Frage keine genauere Antwort geben.
ZUSATZFRAGE JESSEN: Ich würde ja gern verstehen, ob die Kanzlerin beziehungsweise die Bundesregierung als solche vor ihrer Parteinahme im Fall Skripal und der Partnerschaft mit der britischen Regierung gewusst haben, dass die eigenen Geheimdienste ebenfalls Nowitschok zur Verfügung haben?
SRS’IN FIETZ: Ich kann mich nur der Bewertung des Auswärtigen Amtes anschließen, dass eine Gesamtschau der zur Verfügung stehenden Informationen zu der damaligen Einschätzung geführt hat. Weiter kann ich Ihnen dazu nichts sagen.
Vollständiger Auszug aus dem Protokoll vom 16. März zum Thema Nowitschok:
FRAGE STEINER: Ich weiß gar nicht, wer mir das richtig beantworten kann, vielleicht Herr Breul, vielleicht Herr Seibert, vielleicht Herr Flosdorff; Sie alle drei könnten davon etwas wissen. Von Nowitschok hatte man erstmals durch Meldungen in russischen Zeitungen am Ende der Sowjetunion gehört. Damals hatten sich teilnehmende russische Wissenschaftler darüber geäußert, weil sie Angst hatten, dass dieser Stoff in Umlauf kommen könnte, weil diese Bestände aus ihrer Sicht nicht ausreichend geschützt waren. Ich würde gerne von Ihnen wissen, ob Ihnen Fälle bekannt sind, in denen chemische Kampfstoffe aus der ehemaligen Sowjetunion vielleicht den Weg woandershin gefunden haben.
STS SEIBERT: Aber für genau solche Fragen haben wir ja die Den Haager Organisation für das Verbot chemischer Waffen, und genau für solche
ZURUF STEINER: Ich möchte wissen, ob die Bundesregierung davon Kenntnis hat!
STS SEIBERT: Ich spreche trotzdem zu Ende: Genau für die Beantwortung solcher Fragen, um einen Überblick darüber zu haben, ob so etwas passiert oder nicht, haben wir diese Organisation. Alle Staaten sind aufgefordert, dieser Organisation gegenüber maximale Transparenz walten zu lassen.
ZUSATZ STEINER: Die Frage bleibt trotzdem im Raum stehen. Ich weiß nicht, ob Herr Flosdorff etwas dazu sagen kann, ob Herr Breul etwas dazu sagen kann.
FLOSDORFF: Ich kann dem nichts hinzufügen.
BREUL: Vielleicht kann ich nur hinzufügen, dass grundsätzlich gilt: Es ist laut CWÜ nicht nur der Einsatz dieser Chemiewaffen verboten, sondern alle Staaten sind dazu verpflichtet, die Chemiewaffenbestände offenzulegen und sie zu vernichten. Das gilt natürlich auch für Russland. Also unabhängig von der Frage des CWÜ ist der Einsatz sozusagen das eine. Der Besitz oder möglicherweise die Kontrolle darüber zu verlieren, ist genauso eine Verletzung.
FRAGE: Herr Breul, noch einmal zu dem Völkerrecht: Wie bewerten Sie denn dieses Ultimatum, das London Moskau gestellt hat, innerhalb von 24 Stunden eine Antwort zu geben? Wenn ich mich nicht täusche, dann sieht das Völkerrecht ja vor, dass es eine Frist von zehn Tagen geben soll, innerhalb der sich dann eine angeschuldigte Seite dazu äußern müsste. Liege ich damit falsch?
BREUL: Grundsätzlich gilt das, was Herr Seibert und ich schon gesagt haben: Es ist für uns enttäuschend, dass Russland nicht bereit ist, Transparenz zu schaffen und Stellung zu beziehen. Auch Russland müsste ein Interesse daran haben, das so schnell wie möglich zu tun, unabhängig von irgendwelchen Fristen.
Ich weiß jetzt nicht genau, worauf sich diese zehn Tage beziehen. Ich bin jetzt, ehrlich gesagt, überfragt, ob das sozusagen eine Verfahrensfrage innerhalb des Chemiewaffenübereinkommens ist; das kann sein. Aber wie ich schon sagte, ist das sozusagen ein Teil des Prozederes. Natürlich hat sich Großbritannien jetzt an die internationale Organisation gewandt, und das halten wir für gut und richtig. Nichtsdestotrotz nehmen bestimmte Verfahrensfragen sozusagen nichts von der politischen Frage weg, nämlich der, dass sich eine Seite bisher beharrlich weigert, dazu überhaupt Stellung zu nehmen.
FRAGE JESSEN: Die Zehn-Tage-Frist, wenn ich das richtig weiß, ergibt sich in der Tat aus dem Chemiewaffenübereinkommen. Artikel 9 Absatz 2 besagt wohl, dass, wenn solche Anschuldigungen erhoben werden, das angeschuldigte Land zehn Tage Zeit für eine Reaktion hat. Wenn ich das recht weiß, dann hat Moskau aber doch Proben eingefordert, die genommen wurden, um eigene Analysen anzustellen, und die sind offenbar noch nicht eingetroffen. Stattdessen, wie Sie es auch zitiert haben, kündigt Johnson jetzt eine unabhängige Überprüfung der Proben an.
Sind die Schritte, die jetzt ergriffen wurden, angesichts dieser Zehn-Tage-Frist, die noch nicht vorbei ist, und angesichts dessen, dass die Beschuldigten die Proben offenbar noch nicht selbst haben, dann nicht doch vorschnell? Es sind Diplomaten ausgewiesen worden, und im Grunde gibt es fast einen Wiedereintritt in Szenarien des Kalten Kriegs, ohne dass die Fristen und Verfahren zur Regelung und Aufklärung eingehalten worden sind. Warum macht man das?
BREUL: Ich würde dazu sagen ich habe es gerade schon versucht, aber offensichtlich hat es noch nicht so gut funktioniert , dass es das Verfahren gibt, dass der Verstoß gegen das Chemiewaffenübereinkommen geahndet werden muss. Dazu gibt es das Verfahren. Unsere politische Reaktion auf diesen Sachverhalt wurde gestern von der Bundeskanzlerin gemeinsam mit unseren engsten Partnern vorgetragen.
ZUSATZ JESSEN: Noch einmal, mit Verlaub: Man sagt, die einzig plausible Erklärung sei Russland, und es gebe keine plausible Alternative dazu. Russland sagt: Das stimmt nicht; legt uns doch bitte einmal die Dinge vor, damit wir sie selbst untersuchen können. – Sie haben sie nicht gehabt!
BREUL: Auch dazu haben wir, glaube ich, schon Stellung genommen. Was wir von der russischen Seite erwarten, ist, auf die konkreten Fragen Antworten zu geben und Transparenz zu schaffen. Dem hat sich die russische Seite verweigert. Das ist doch der Punkt.
ZUSATZFRAGE JESSEN: Aber ist es eine Verweigerung, wenn eine angeschuldigte Seite sagt „Bitte legt uns doch einmal das Material, auf das sich euer Vorwurf stützt, vor, damit wir dann dazu Stellung nehmen können“? Kann man eine solche Verhaltensweise als Verweigerung bezeichnen?
STS SEIBERT: Russland war aufgefordert, gegenüber der Organisation für das Verbot chemischer Waffen in Den Haag umfänglich und transparent über sein sogenanntes Nowitschok-Programm zu berichten und es offenzulegen. Nichts davon ist bisher geschehen. Die bisherigen russischen Reaktionen auf diesen wirklich entsetzlichen Vorfall in Salisbury sind unangebracht. Sie haben die Sache einfach noch nicht weitergebracht. Nun hat es Russland immer noch selbst in der Hand, für einen konstruktiven Weg zu sorgen, und das ist unsere ganz klare Aufforderung.
FRAGE JUNG: Auch noch einmal zum Verständnis: Die Chemiewaffenkonvention besagt, dass, wenn es Vorwürfe oder Anschuldigungen gibt, der Beschuldigte nach Artikel 9 Absatz 2 zehn Tage Zeit hat. Sagt die Bundesregierung, dass Russland diese Frist nicht eingehalten hat und damit gegen die Chemiewaffenkonvention verstoßen hat, oder hält sich Russland noch immer an das Prozedere der Chemiewaffenkonvention, die Deutschland auch unterschrieben hat?
BREUL: Herr Jung, um das vielleicht noch einmal deutlich zu machen: Der Verstoß ist der Einsatz eines chemischen Stoffes als Waffe. Das hat Herr Seibert noch einmal vorgetragen. Das ist das erste Mal. Das ist ein gravierender Fall.
Wir haben auch das hat die Bundeskanzlerin gestern deutlich gemacht sozusagen die britischen Hinweise bekommen und sind zu der Schlussfolgerung gekommen, die wir gestern gezogen haben. Russland hat bisher mit Gegenvorwürfen reagiert. Es hat in keiner Weise versucht, auf die konkreten Anschuldigungen zu antworten oder auch zumindest ein Mindestmaß an Transparenz zu schaffen. Das sind die Punkte, die wir hier ansprechen.
ZUSATZ JUNG: Der Punkt ist ja: Das ist ein gravierender Fall, Sie machen gravierende Anschuldigungen, aber können uns keine gravierenden Beweise bzw. irgendwelche eigenen Erkenntnisse vorlegen, die Ihnen von den Briten vorgelegt wurden.
STS SEIBERT: Das ist hier sicherlich nicht unsere Rolle und dies nicht der Platz dafür. Dafür ist es genau richtig, dass jetzt eine internationale unabhängige Untersuchung der Organisation für das Verbot chemischer Waffen angekündigt wird.