Bereits vor Beginn dieses Jahres war die Idee einer linken Sammlungsbewegung in Deutschland in Umlauf. Oskar Lafontaine kritisierte im November vergangenen Jahres unhaltbare Zustände bei der Partei "Die Linke" und plädierte für die Gründung einer Sammlungsbewegung, wie es sie Spanien und Frankreich bereits gibt.
Zwar habe die Linke seit ihrem Einzug ins Parlament einen stärkeren Sozialabbau verhindern und damit eines ihrer Ziele erreichen können. Das zweite Hauptziel, die Sozialdemokraten wieder zu sozialerer Politik zu zwingen, habe die Partei jedoch nicht durchgesetzt.
In Europa, aber auch in Deutschland, verlieren die linken Parteien immer mehr an Einfluss, zusammen haben Linke und SPD nicht einmal mehr 30 Prozent.
Lafontaine warb für die neue Bewegung, in der linke Kräfte gebündelt sind. Als Inspiration dienten ihm dafür
Corbyn in Großbritannien – eine glaubwürdige Person und ein Programm für die Mehrheit. Oder Podemos und 'La France insoumise' in Spanien und Frankreich, eine aus der Gesellschaft heraus entstehende Sammlungsbewegung.
Auch Sahra Wagenknecht wirbt seit langem für eine Sammlungsbewegung nach dem Vorbild von "La France insoumise" (Unbeugsames Frankreich, LFI) um Jean-Luc Mélenchon oder Podemos und Corbyn, wo jeweils "aus dem Niedergang der traditionellen Parteien erfolgreiche linke Bewegungen" oder "neuer linker Aufbruch" entstanden seien.
Aus den Fraktionssitzungen der Linken ist seit einiger Zeit vor allem Meldungen über parteiinterne Streitigkeiten zu hören. Ein Streitthema ist dabei die Haltung Wagenknechts, die Forderung nach "offenen Grenzen für alle" und den Konsens von "no border, no nation" nicht uneingeschränkt zu unterstützen. Wagenknecht verweist in dem Zusammenhang darauf, dass Flüchtlingen "vor Ort sinnvoller zu helfen sei" und dass sich eine mögliche Konkurrenz am Arbeitsmarkt durch Migration auf bestimmte Berufsgruppen mehr auswirke, als auf andere, privilegiertere. Ein weiterer, wiederkehrender Streitpunkt ist die Idee der Sammlungsbewegung.
Hinsichtlich der Idee einer Sammlungsbewegung spricht sich Parteivorsitzende Katja Kipping eher für ein rot-rot-grünes Bündnis aus:
Es wäre gut, wenn Linke, SPD und Grüne etwa gleich stark würden, also Verhältnisse wie aktuell in Berlin", sagte sie am 2. Februar dem Tagesspiegel.
Beim politischen Jahresauftakt der Linken und kommentierte Kipping herablassend:
Erfolgreiche Neugründungen entstehen nicht als Idee im Interview, sondern aus gesellschaftlichen Bewegungen.
Anfang des Jahres beim politischen Jahresauftakt der Linksfraktion sagte auch Gregor Gysi:
Die Linke braucht vieles, aber keine neue Partei.
SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil kritisierte das Vorhaben der Gründung einer Sammlungsbewegung als zu populistisch:
Ich sehe da bisher vor allem alte Gesichter und höre populistische Untertöne. Eine politische Linke der Zukunft stelle ich mir anders vor.
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Auch die Orientierung an Mélenchon als Vorbild bringen Kritik. Er polarisiere, zum einen innerhalb der linken und Mitte-Links-Fraktion in Frankreich, aber auch in Europa, wo er den Ausschluss Syrizas aus der Partei der Europäischen Linken (EL) forderte, da diese sich dem EU-Diktat zu sehr beuge.
Genossen werfen Wagenknecht ebenfalls vor, die Partei zu spalten. Der Berliner Kultursenator Klaus Lederer schrieb auf Facebook, Wagenknecht erkläre die verbleibenden Linksliberalen zumindest rhetorisch zum Hauptfeind. Gleichzeitig sei er
aber dankbar für die klare Markierung der Scheidelinie, die Sahra und mich trennt. Ich werde mich nicht zurückhalten oder mich gar dafür denunzieren lassen, soziale und demokratische Freiheit und Menschenrechte zusammen zu denken." Der ehemalige Linken-Landeschef droht weiter: "Und ich hoffe, meine Partei tut das auch nie wieder. Denn sonst war es das für mich."
Eine Spaltung der Linkspartei sei nicht zu befürchten, hatte Wagenknecht mehrfach beteuert:
Am groteskesten finde ich den Vorwurf, ich hätte jetzt vor, die Linke zu spalten. Wer den Unterschied zwischen einer Sammlung und einer Spaltung nicht erkennen kann, der hat doch irgendwie gar nichts verstanden", so die Fraktionsvorsitzende zum politischen Jahresauftakt der Linken.
Keine Chance für Rot-Rot-Grün
Am Sonntag gab Sahra Wagenknecht per Newsletter von "Team Sahra" bekannt, dass die Sammlungsbewegung am 4. September starten soll. Als Begründung, warum eine solche Bewegung benötigt werde, verweist die Seite auf einen verlinkten Artikel des SPD-Politikers Marco Bülow im Tagesspiegel.
Abweichend von Kippings Idee einer Allianz, betont er darin, dass rot-rot-grüne Gesprächskreise nicht funktionierten und "gegenseitige Beißreflexe" überwögen. Für die taz brach er es noch mal herunter:
Rot-Rot-Grün ist tot.
Der Rückhalt für die Parteien habe sich beinahe halbiert.
Die Mitgliederzahl der SPD, Linken und Grünen betrug 1995 zusammen noch knapp eine Million, sie hat sich in 21 Jahren auf 550.000 fast halbiert.
Der Moment sei für eine Bewegung außerdem reif, denn ein Großteil der grundlegenden gesellschaftlichen Bewegung finde "zwischen und neben den Parteien statt".
Die Zeit der herkömmlichen Parteien wird zu Ende gehen, wenn sie sich weiter weigern, sich grundlegend zu erneuern. Dies gilt insbesondere für Mitte-Links-Parteien, von denen man zwar einen Aufbruch und auch Visionen erwartet, die aber häufig strukturkonservativ geprägt sind und mehr und mehr zu Wahlvereinen verkommen", so Bülow.
Selbst erklärte Wagenknecht in einem Gastbeitrag in der Welt die Gründung der Sammlungsbewegung damit,
dass Wahlen zur Farce und demokratische Rechte substanzlos" würden.
Seit der Bundestagswahl gebe es wenig Vertrauen der Wähler in die Regierung.
Die etablierten Parteien hätten "dem Uralt-Liberalismus, der aus der Zeit vor der Entstehung moderner Sozialstaaten stammt, die glitzernde Hülle linksliberaler Werte übergestreift, um ihm ein Image von Modernität, ja moralischer Integrität zu geben".
Dabei gingen sie jedoch die grundlegenden Probleme der Bürger nicht an.
Weltoffenheit, Antirassismus und Minderheitenschutz sind das Wohlfühl-Label, um rüde Umverteilung von unten nach oben zu kaschieren und ihren Nutznießern ein gutes Gewissen zu bereiten.
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Auch Bülow betont, dass die Bewegung Zulauf von jenen bekäme, die kein "Weiter so" wollen:
Wir sind Sozialdemokraten und Parteilose, die kein 'Weiter so' wollen, die sich nicht vereinnahmen lassen wollen von Parteistrukturen. Wir wollen aufbegehren: offen, konstruktiv und vehement. Wir wollen vernetzen – auch mit anderen Sammelbewegungen.
Wagenknecht rief auch dazu auf, Freunde und Bekannte zu informieren. Bisher ist nicht sehr viel über die Unterstützer der Bewegung bekannt. Im Juni sagte Wagenknecht:
Unter anderem den profilierten Agenda-2010-Kritiker Rudolf Dressler. Mehr will ich noch nicht verraten (…). Spannend sind übrigens nicht nur die Politikernamen. Unterstützer sind Schriftsteller, Künstler, Wissenschafter und Leute aus der Unterhaltungsbranche. Also viele verschiedene interessante Köpfe, mit denen wir Menschen erreichen wollen, die sich teilweise schon vor Jahren von der Politik abgewandt haben. Das ist der Sinn: Wir wollen eine starke Bewegung aufbauen.
Weiterhin werden der Liedermacher Konstantin Wecker, der Schriftsteller Ingo Schulze sowie der Sozialwissenschaftler Wolfgang Streeck zu Unterstützern des Projekts gezählt. Auch der Dramaturg Bernd Stegemann vom Berliner Ensemble, der zusammen mit Sahra Wagenknecht einen Gastbeitrag in der Zeit über den Plan für die Sammlungsbewegung geschrieben hatte, dürfte dazu zählen.
Alternative zu neoliberaler, starrer Politik
Inhaltlich bleibt bisher vieles vage. Was die neuen Mitglieder einen soll, ist der Kampf gegen die Ungleichheit und der Fokus auf existenzielle Themen. Wie Bülow betont, sei eine Alternative zum neoliberalen Mainstream notwendig, denn:
Die Ungleichheit wird zementiert, Leistung lohnt sich immer seltener, die soziale Mobilität nimmt ab. Erfolg und Chancen hängen immer mehr davon ab, wie gebildet und vor allem wie reich die Eltern sind.
Er erwähnt die soziale Schere und den hohen Anteil von 12,5 Millionen Menschen die "in einem so reichen Land (…) von Armut bedroht" seien. Der Zustand der Pflege-, Renten- und Gesundheitssysteme und prekäre Beschäftigungen seien weitere Probleme, die ineinander griffen, denn wenn Millionen prekär Beschäftigte in Rente gingen oder Pflege bräuchten, "werden unsere Sozialsysteme erodieren".
Dass "neoliberale, starre Politik (…) als alternativlos dargestellt" werde, wolle er nicht hinnehmen. Gegenüber neuen Formen der Politik müsse man offen sein.
(…) Begreifen wir endlich, wie ernst die Lage ist und wen es wirklich zu bekämpfen gilt. Es sind mächtige Lobbygruppen, die mit der Willfährigkeit eines großen Teils der Politik das 'sozial' aus der Marktwirtschaft längst gestrichen haben, die aus der Aufstiegs- eine Abstiegsgesellschaft formen.
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Wagenknecht betont immer wieder, dass es notwendig sei, die grundlegenden sozialen Fragen stärker in den Fokus zu rücken. In einem Interview mit dem Nachrichtensender phoenix betonte sie, die Menschen
wünschen sich eine Politik, die sich an ihren Interessen orientiert.
Die Deutschen hätten berechtige Sorgen um "steigenden Mieten, dem wachsenden Niedriglohnsektor und Altersarmut".
In den Worten Lafontaines:
Links ist, wer die Eigentumsfrage stellt.
So viel zum Grundlegenden. Zum Konkreten bleibt noch einiges offen. In der Ankündigung des Newsletters von "Team Sahra" war zunächst zu lesen:
Bereits vor diesem Termin werden wir mit unserer Webseite online gehen, auf der du dich dann für regelmäßige Informationen registrieren kannst und Informationen zum Mitmachen erhältst.
Der publik gewordene Namensvorschlag "Fairland" für die Bewegung hat keine mehrheitliche Zustimmung erhalten. Vorschläge der Anhänger seien willkommen. Dahingehend, dass es Initiative und Einsatz von den Anhängern gibt, zeigte sich Wagenknecht zuversichtlich. Sie erhalte
sehr viel Zustimmung zur Idee und vor allem auch die Zusage, die Sammlungsbewegung auch praktisch unterstützen zu wollen. Das ist großartig!