Mustafa Yeneroglu kandidiert für die Regierungspartei AKP (Adalet ve Kalkınma Partisi, deutsch: Partei für Gerechtigkeit und Aufschwung), Kenan Kolat für die CHP (Cumhuriyet Halk Partisi, deutsch: Republikanische Volkspartei), die in der Opposition. Die AKP gilt als konservativ, die CHP als sozialdemokratisch. Am 24. Juni werden Parlament und Präsident gewählt. Die Gespräche fanden getrennt voneinander am 13. und 20. Juni statt. Die Aussagen der Politiker werden im Folgenden wiedergegeben.
In Deutschland leben ca. drei Millionen türkischstämmige Menschen. Ca. 1,48 Millionen besitzen den türkischen Pass und sind wahlberechtigt. Die Wahlbeteiligung in Deutschland lag bei 50 Prozent. Kolat interpretiert dies als positiv. Sie sei in den vergangenen Jahren weitaus schlechter gewesen.
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Wahlchancen und Stimmung in Deutschland
Beide Vertreter geben sich hinsichtlich der Wahl selbstbewusst. Für Yeneroglu steht der Sieg von Erdoğan in der Präsidentschaftswahl außer Frage. Die Herausforderer hätten keine realistische Chance. Naturgemäß sieht dies Kenan Kolat anders. Seiner Meinung nach stehen die Chancen für den Herausforderer Muharrem İnce (CHP) so gut, dass es sogar zu einer Stichwahl kommen könnte. Erdoğan sei nach 16 Jahren müde, analysiert Kolat die Situation. Es gebe einen Veränderungswunsch in der Türkei. Dies schlage sich auch auf den Wahlkampf aus.
Die AKP konnte sich nicht so stark mobilisieren wie zuletzt. Yeneroglu erklärt dies mit dem faktischen Verbot von AKP-Wahlveranstaltungen. Auch Kolat sieht die Einschränkung im Wahlkampf kritisch. "Deutschland kann Erdoğan vertragen", meinte er mit Blick auf Kundgebungen türkischer Politiker in Deutschland. Aus Solidarität habe die CHP einen Wahlkampftermin ebenfalls abgesagt, als im letzten Jahr angeordnet wurde, dass türkische Regierungspolitiker in Deutschland keine Wahlkampfveranstaltungen mehr besuchen dürfen.
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Insgesamt sei der Wahlkampf durch die Lager hinweg friedlich verlaufen, so Kolat. Man wollte in Deutschland das Zeichen setzen, dass die Parteien trotz inhaltlicher Unterschiede zusammenstehen. Er kritisierte in diesem Zusammenhang den amtierenden Präsidenten Erdoğan, der das türkische Volk in seinen Reden eher spalte als zusammenführe. Es sei zu viel von "Wir" und "Ihr" die Rede. Das wollte man in Deutschland nicht machen.
Deutschland und Türkei – ein starkes, aber problematisches Verhältnis
Beide Politiker bedauerten zudem , dass sich die Beziehung zwischen Deutschland und der Türkei in den vergangenen Jahren verschlechtert habe. Yeneroglu meint, die Kommunikation auf beiden Seiten wurde zunehmend spitz; dies könne nicht im Sinne der Freundschaft sein.
Yeneroglu griff weiterhin die HDP an, die sich seiner Meinung nach nicht deutlich genug von der Terrororganisation PKK lossagt. Mit Blick auf Deutschland kritisierte er, dass Politiker, die in der Türkei der PKK nahestehen, von deutschen Politikern "hofiert" werden. Dies verstöre viele Menschen in der Türkei. Auch Kolat bestreitet die Nähe der HDP zur PKK nicht.
Yeneroglu und Kolat kritisierten beide eine herablassende Sicht Deutschlands und des Westens auf die Türkei und ihre spezifischen Probleme und Eigenheiten. "Der Westen", so Yeneroglu, "denkt, er habe die Menschenrechte gepachtet, und die anderen müssen dazu erzogen werden." Kolat äußerte sich ähnlich. Es werde in der Türkei als Kränkung empfunden, dass man nicht auf Augenhöhe mit der Türkei spreche. Kritik könne geäußert werden, aber man möchte nicht wie ein Kind angesprochen werden.
Die Ereignisse rund um die Flüchtlingskrise und die Islam-Debatte haben das Zusammenleben zwischen Deutschen und Türken in Deutschland nicht einfacher gemacht. Helmut Kohls Satz vom "Mitleidstourismus" angesichts der Anschäge von Solingen hänge immer noch in den Köpfen vieler Türken. Kohl hatte sich damals geweigert, die Opfer des Anschlags zu besuchen. Aber auch die Moscheeschließungen in Österreich senden eine falsche Botschaft und führen zu einer Mobilisierung durch schlechte Nachrichten, so Kolat. Andererseits hätten die Türken sich bei den Kundgebungen gegen Pegida leider sehr zurückgehalten und das bedauere er, so Yeneroglu. Beide Seiten müssten sich mehr aufeinander zubewegen. Deutschland und die Türkei verbinde eine starke Freundschaft.
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