Kanzlerin Angela Merkel und Innenminister Horst Seehofer haben sich nach tagelangem Streit über die Asylpolitik eine Atempause verschafft. Die CSU gibt der CDU-Chefin eine Frist für eine europäische Lösung bis nach dem EU-Gipfel Ende Juni. Der CSU-Vorstand billigte am Montag in München einstimmig einen entsprechenden Vorschlag von Parteichef Seehofer. Kommen bis dahin, auch auf dem EU-Gipfel, keine Vereinbarungen mit EU-Partnern zustande, will Seehofer mit umfassenden Zurückweisungen von Migranten an den Grenzen beginnen.
Die Kanzlerin akzeptierte zunächst die ihr gesetzte Zwei-Wochen-Frist. Sie wolle die CDU-Spitzengremien am 1. Juli über den Stand ihrer Verhandlungen über Abkommen mit den vom Migrationsdruck am stärksten belasteten Ländern wie Italien informieren.
Seehofer bereitet mittlerweile Zurückweisungen an der Grenze vor
Bei den Zurückweisungen geht es aus CSU-Sicht insbesondere um Asylbewerber, die bereits in einem anderen EU-Land registriert sind. Diese sollen dann voraussichtlich ab Anfang Juli abgewiesen werden, wenn der EU-Gipfel Ende des Monats kein "wirkungsgleiches" Ergebnis einbringt. Die Vorbereitungen dafür will Seehofer nach eigenen Worten aber schon jetzt treffen - der CSU-Vorstand billigte auch dieses Vorgehen einstimmig.
Als ersten Schritt will der Innenminister nunmehr diejenigen Ausländer an den Grenzen abweisen lassen, die mit einem Einreiseverbot belegt sind. Dies will Seehofer nun umgehend anweisen.
Die Führungsgremien der beiden Schwesterparteien CDU und CSU waren am Vormittag zu getrennten Sitzungen in Berlin und München zusammengekommen, um über den unionsinternen Konflikt zu beraten.
Merkel ist wieder unter Druck - sie muss nun Resultate liefern
Merkel sagte dpa-Informationen zufolge in der Vorstandssitzung, es gäbe bei 62,5 der 63 Punkte von Seehofers geplantem sogenanntem Masterplan Migration Übereinstimmung. Am 1. Juli solle in der CDU-Spitze eine Art Zwischenbilanz der Bemühungen der Kanzlerin gezogen werden, dann werde entschieden, wie man weiter vorgehe. Von CDU-Teilnehmern der Sitzung hieß es, Seehofer sei in dem Streit klug vorgegangen. Nun sei der Ball wieder im Spielfeld der Kanzlerin - bei einem Thema, bei dem die CDU-Basis zu 70 bis 80 Prozent bei der CSU sei.
Seehofer stellte offenbar in Aussicht, dass die neue bayerische Grenzpolizei auch eigenständig Grenzkontrollen durchführen darf - im Rahmen der Befugnisse, die auch die Bundespolizei hat. Ministerpräsident Markus Söder (CSU) kündigte demnach an, ab Dienstag werde es Gespräche zwischen Bund und Bayern über die Unterstützung an der Grenze geben.
Merkel trifft den italienischen Ministerpräsidenten: Hauptthema Flüchtlingspolitik
Der Bundesvorsitzende der Deutschen Polizeigewerkschaft, Rainer Wendt, bezeichnete die aktuelle Praxis, wonach auch Migranten mit Einreisesperre nach Deutschland kommen können, im Gespräch mit der Deutschen Presse-Agentur als "Stück aus dem Tollhaus".
Wer auch immer 'Asyl' sagen kann, kann einreisen", sagte er.
Am Montagabend wollte Merkel mit dem neuen italienischen Ministerpräsidenten Giuseppe Conte über die Flüchtlingspolitik reden. Italien ist am meisten betroffen von neu ankommenden Migranten aus Afrika, von denen aber viele nach Norden weiterreisen. Die neue Regierung in Italien machte aber bereits deutlich, dass sie eine wesentlich härtere Gangart einlegen will. Dies zeigt auch der Fall des Rettungsschiffs "Aquarius" mit hunderten Migranten an Bord, dem Innenminister und Vize-Ministerpräsident Matteo Salvini die Einfahrt in die Häfen des Landes verwehrt hatte.
Juncker und Tusk suchen fieberhaft nach Asylkompromiss auf EU-Ebene
Angesichts des Asylstreits in Deutschland wird auch auf EU-Ebene fieberhaft nach einer Lösung gesucht. Das Problem lasse sich nur europäisch angehen, und alle Elemente für einen Kompromiss lägen bereits auf dem Tisch, sagte ein Sprecher von EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker am Montag. "Wir sind aktiv beteiligt, um eine europäische Vereinbarung zustande zu bekommen."
Juncker selbst stehe
mit allen unseren europäischen Partnern im Kontakt, um den Boden für europäische Entscheidungen zu bereiten, die alle zusammenbringen, die von so vielen Mitgliedsstaaten wie möglich mitgetragen werden.
Man sei für alle Gesprächsforen offen, um "so viele Fortschritte wie möglich hin zu einer europäischen Lösung im Umfeld des Gipfels Ende Juni" zu erreichen, fügte der Sprecher hinzu. Juncker will am Dienstag in Meseberg mit Bundeskanzlerin Angela Merkel und dem französischen Präsidenten Emmanuel Macron sprechen.
Neben Juncker hat sich auch Ratspräsident Donald Tusk für die nächsten Tage einen Gesprächsmarathon vorgenommen, um beim Gipfel am 28. und 29. Juni einen Kompromiss zu schmieden. So wird er nach Schweden, Spanien, Italien, Österreich, Ungarn, Deutschland und Frankreich reisen. Hinter den Kulissen liefen zahlreiche Gespräche, berichteten EU-Diplomaten.
Ursprünglich hatten auch die EU-Länder fest vor, bis Ende Juni eine einvernehmliche Lösung in der Flüchtlingspolitik finden. Zuletzt sah es allerdings nicht danach aus, da die Innenminister die tiefen Differenzen nicht überbrücken konnten.
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(dpa/rt deutsch)