Die Affäre um den mutmaßlichen Einsatz des Nervengifts Nowitschok gegen den Doppelagenten Sergej Skripal und dessen Tochter im britischen Salisbury bekommt eine brisante und unerwartete Wendung. Laut Recherchen von Süddeutsche Zeitung, NDR, WDR und Die Zeit war der Bundesnachrichtendienst (BND) bereits in den 1990er Jahren mittels eines russischen Überläufers in den Besitz einer Probe des in Salisbury verwendeten Nervengifts Nowitschok gelangt.
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Die Recherche deckt spektakuläre neue Details auf: So bot sich in den 1990er Jahren ein russischer Wissenschaftler dem deutschen Auslandsgeheimdienst als Informant an und machte sich erbötig, mithilfe seiner Frau eine Probe des von der Sowjetunion unter strengster Geheimhaltung entwickelten Gifts nach Deutschland zu schmuggeln.
Der BND ging auf dieses Angebot ein. Für den deutschen Auslandsgeheimdienst galt die Operation als großer Erfolg. Details über die militärischen Fähigkeiten der Russen galten bei westlichen Geheimdiensten als wichtigstes Spionageziel.
Die neuen Details zur Causa Skripal werfen zahlreiche Fragen auf. Nach dem mutmaßlichen Anschlag gegen die Skripals in Großbritannien hatte Großbritannien, unterstützt vom gesamten Westen, sehr explizit Russland der Tat beschuldigt. Als Hauptargument wurde angeführt, dass nur Russland über das in den späten 1970er Jahren entwickelte Nervengift verfüge. Bis heute wurde dafür allerdings, von einer belanglosen Powerpoint-Präsentation abgesehen, kein Beweis für eine russische Urheberschaft vorgelegt.
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"Spätestens seit diesem Zeitpunkt", schreibt mittlerweile selbst der auf transatlantische Linie gebrachte Spiegel, "verfügten also nicht nur Deutschland, sondern auch die USA, Großbritannien, Frankreich, die Niederlande und Kanada über die Zusammensetzung und eine Probe des neuen Kampfstoffs."
Allerdings sieht sich der Spiegel dann scheinbar doch gezwungen, einen an sich neutral-sachlichen Artikel zu den Recherchen um die BND-Geheimoperation, mit dem Satz abzuschließen:
Dass nun ausgerechnet der deutsche BND schon mehr als 20 Jahre vor dem Anschlag in Salisbury über eine Probe des Nervengifts verfügte und sein Wissen darüber mit den Verbündeten teilte, könnte die russische Verschwörungstheorie befördern.
Berechtigte Zweifel am britischen und allgemein offiziellen westlichen Narrativ zum ominösen Vorfall in Salisbury sind also nach wie vor in der Lesart des deutschen Mainstreams nur dies, "russische Verschwörungstheorien".