In der großen Koalition bahnt sich ein anhaltender Streit über zusätzliche Milliardengelder für Verteidigung und Entwicklung an. Das Bundeskabinett beschloss zwar am Mittwoch in Berlin die Haushaltsplanungen von Finanzminister Olaf Scholz (SPD) - allerdings unter Protest von Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) und Entwicklungsminister Gerd Müller (CSU). Beide fordern höhere Mittel für ihre Etats in den nächsten Jahren. Auch die Unions-Bundestagsfraktion sieht erheblichen Nachbesserungsbedarf. Scholz dagegen verteidigte seine Finanzpläne gegen massive Kritik.
Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) reagierte zurückhaltend auf den Protest der beiden Minister. Beim Haushalt gebe es immer mal wieder Protokollerklärungen. Aber dem von Scholz vorgelegten Entwurf hätten alle Ministerien zugestimmt, sagte Merkel. Bis Juli gebe es jetzt aber noch weitere Gespräche, fügte sie hinzu.
Auf der Grundlage des Entwurfs von Scholz verhandelt der Bundestag über das Budget. Anfang Juli sollen die Abgeordneten entscheiden. Das Kabinett nahm neben dem Haushalt für das laufende Jahr auch Eckwerte für den Etat des kommenden Jahres und den Finanzplan bis 2022 an.
Scholz wies darauf hin, dass für Verteidigung und Entwicklungshilfe deutlich mehr Mittel vorgesehen seien als noch von seinem Vorgänger Wolfgang Schäuble (CDU). Insgesamt wolle die Bundesregierung keine neuen Schulden machen und strebe eine "sozial gerechte und zukunftsweisende Politik" an. Scholz betonte, die "schwarze Null" werde gehalten. Der Bund will also nicht mehr ausgeben als er einnimmt.
Deutschland dürfte aber den Planungen zufolge zwei international vereinbarte Zielmarken verfehlen. So ist geplant, dass Deutschland 2019 nur noch 0,47 Prozent der Wirtschaftsleistung für Entwicklung ausgibt. Deutschland hatte sich allerdings bereits 1972 dem Ziel der Vereinten Nationen verpflichtet, 0,7 Prozent des Bruttonationaleinkommens für Entwicklungshilfe aufzuwenden. Scholz erklärte, Deutschland wende in diesem Bereich schon viel auf. "Vor uns liegen nur noch die USA", sagte er mit Bezug auf die Höhe der Ausgaben in absoluten Zahlen. Dass solche Quoten die Ausgaben ins Verhältnis zur Wirtschaftsleistung setzen, macht es Deutschland mit seiner guten Konjunktur schwer. Entwicklungsminister Müller sieht "erheblichen" Nachholbedarf für den Etat seines Ministeriums:
Damit können wir den Anforderungen an uns in der Welt nicht genügen.
Scholz erklärte, "im Rahmen unserer Möglichkeiten" sollten auch die Verteidigungsausgaben steigen. Für das laufende Jahr sind 38,5 Milliarden Euro vorgesehen, für das kommende 41,5 Milliarden Euro. "Im Vergleich zu früheren Jahren kommt es zu erheblichen Steigerungen." Es handle sich um eine "massive Verbesserung".
Das Verteidigungsministerium aber sieht Nachbesserungsbedarf. Falls die Mittel nicht aufgestockt würde, müsse ein internationales Rüstungsprojekt vertagt werden. Beim Wehretat droht Deutschland das NATO-Ziel zu verfehlen, wonach die Verbündeten 2,0 Prozent ihres Bruttoinlandsprodukts in die Verteidigung stecken sollen.
Die Bundesregierung beharrt zwar darauf, dass es lediglich um eine Annäherung gehe. Doch selbst das steht nun infrage: Nach jetzigem Finanzplan sinke die NATO-Quote bis 2022 auf 1,23 Prozent, hieß es aus dem Verteidigungsministerium. Nach NATO-Zahlen lag die Bundesrepublik 2017 bei 1,24 Prozent. Vor allem US-Präsident Donald Trump hatte mehrfach kritisiert, Deutschland gebe nicht genügend Geld für Verteidigung aus.
Verteidigungsministerin von der Leyen sagte, es sei "wichtig, dass im Haushaltsaufstellungsverfahren für die äußere Sicherheit eine solide Finanzperspektive auch für die nächsten Jahre geschaffen wird". Es gehe um entscheidende Themen wie die Bekämpfung des Terrors, die Beseitigung von Fluchtursachen, die Stabilisierung der europäischen Nachbarschaft bis hin zu den Friedensmissionen der Bundeswehr. Unions-Fraktionsvize Johann David Wadephul (CDU) sagte, angesichts der wachsenden Bedrohungen für die Sicherheit Deutschlands seien mehr Haushaltsmittel "unerlässlich". Bei der Bundeswehr reichten Personal und Material derzeit nicht aus, die wachsenden Aufgaben zu bewältigen.
Wie aus dem Haushaltsentwurf weiter hervorgeht, will der Bund ab 2020 seine eigenen, öffentlichen Investitionen zurückfahren. Die Ausgaben dafür sollen von 37,9 Milliarden Euro im kommenden Jahr auf 33,5 Milliarden Euro im Jahr 2022 sinken. Das bedeute aber nicht, dass der Staat insgesamt weniger investiere, hieß es im Finanzministerium. Der Rückgang der Investitionen ab 2020 hänge insbesondere mit der Neuordnung der Bund-Länder-Finanzbeziehungen zusammen. Es handle sich um einen "buchhalterischen Effekt". Zwar sinke die Investitionsquote des Bundes. Durch verstärkte Zuweisungen an Länder und Kommunen würden diese in die Lage versetzt, mehr zu investieren, etwa in Schulen oder den sozialen Wohnungsbau. Scholz bezifferte diese "Entflechtungsmittel" auf drei Milliarden Euro pro Jahr. Hinzu kämen weitere buchhalterische Gründe.
Die Neuordnung der Bund-Länder-Finanzbeziehungen sieht ab 2020 unter anderem höhere Transfermittel aus Steuergeldern für die Länder vor, etwa zur Finanzierung des öffentlichen Nahverkehrs und des kommunalen Straßenbaus. Diese Mittel werden nicht als Investitionen geführt, sondern als Transferleistungen. Bei einer öffentlichen Investition nimmt der Bund selber Mittel in die Hand, zum Beispiel für den Ausbau von Straßen. Eine Transferleistung ist eine Zuweisung von Geldern.
Von der Opposition kam massive Kritik an den Finanzplänen von Scholz. Linke-Fraktionschefin Sahra Wagenknecht sagte, öffentliche Infrastruktur werde kaputtgespart. Von einer "Abrissbirne für die Zukunft" sprach der Parlamentarische Geschäftsführer der FDP-Fraktion, Marco Buschmann. Der Grünen-Abgeordnete Sven-Christian Kindler, sagte, Scholz habe einen "Fehlstart" hingelegt. Der Hauptgeschäftsführer des Bundesverbands der Deutschen Industrie, Joachim Lang, kritisierte, die Koalition lasse den "historisch einmaligen Spielraum" für Zukunftsinvestitionen ungenutzt verstreichen.