Vor Angela Merkel liegt eine weitere Woche der Unsicherheit. Erst am kommenden Sonntag - knapp vier Monate nach der Bundestagswahl - wird ein SPD-Sonderparteitag entscheiden, ob die Kanzlerin in Koalitionsverhandlungen für die von ihr gewünschte stabile Regierung starten kann. Wie oft seit dem Jamaika-Scheitern Ende November wird deutlich: Das politische Schicksal der Kanzlerin liegt in den Händen der SPD und ihres angeschlagenen Parteichefs Martin Schulz.
Daumen hoch oder Daumen runter bei den Parteitagsdelegierten in Bonn - was wären die Folgen? Und wie lange halten in der Union die mit Merkel Unzufriedenen noch die Füße still?
Läuft es für Merkel gut und die SPD-Delegierten in Bonn geben Schulz die Erlaubnis, formell in Koalitionsverhandlungen einzusteigen, wäre eine weitere wichtige Zwischenetappe erreicht. Doch es ist noch lange nicht die letzte: Bis zur Faschingswoche will die Kanzlerin die Koalitionsverhandlungen abgeschlossen haben. Sollte das klappen, folgt wieder eine Zitterpartie, diesmal drei bis vier Wochen lang: der Mitgliederentscheid der SPD. Er soll bei den Sozialdemokraten einen Koalitionsvertrag endgültig absegnen.
Am Wochenende hatte das Erwartbare begonnen, nachdem Merkel, Schulz und CSU-Chef Horst Seehofer am Freitagmorgen ihr Papier mit den Sondierungsergebnissen präsentiert hatten. Aus den Reihen der SPD wurden Rufe nach Veränderungen laut - den Parteilinken liegt vor allem die Bürgerversicherung am Herzen. Genauso erwartbar war die Retourkutsche aus der Union. Das dürfte nur ein lauer Vorgeschmack auf mögliche Koalitionsverhandlungen gewesen sein.
Offen ist, wie lange die mit Merkel Unzufriedenen in den eigenen Reihen noch still halten. Während der Sondierungen und direkt danach hatten sich interne Kritiker wie der als besonders konservativ geltende Finanzstaatssekretär Jens Spahn mit öffentlichen Querschüssen zurückgehalten. Auch der Parteinachwuchs von der Jungen Union (JU) ging sehr sparsam mit Äußerungen vor Kameras um. Während der letztlich gescheiterten Jamaika-Verhandlungen Merkels mit FDP und Grünen hatte etwa JU-Chef Paul Ziemiak eine personelle Erneuerung seiner Partei verlangt.
Aus der CDU-Vorstandssitzung am Freitag ist zwar eine lange Diskussion überliefert, aber keine Kritik an Merkels Verhandlungsführung. In der anschließenden Sitzung der Unionsfraktion gab es Applaus. Unter Druck schließt die Union gerne die Reihen hinter ihren Vorsitzenden. Doch die Kritiker Merkels werden nicht verstummen, sie warten nur ab.
Und wenn die SPD am Sonntag Nein sagt? Dann würde jener Mechanismus in Gang kommen, den Merkel unbedingt vermeiden will. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier könnte erneut eine kurze Runde von Gesprächen auch mit den Chefs der Jamaika-Parteien FDP und Grüne führen. Doch der FDP-Vorsitzende Christian Lindner hat schon deutlich gemacht: Mit Merkel sieht er keine Zukunft. Ob die Kanzlerin in einem solchen Falle freiwillig zurücktritt? Wohl kaum. Ganz sicher aber dürften ihre internen Kritiker dann wieder lauter werden und versuchen, die ohnehin angeschlagene Parteivorsitzende weiter zu schwächen.
Die wahrscheinlichere Variante: Steinmeier setzt im Bundestag einen Termin zur Kanzlerwahl an. Gut möglich, dass Merkel am Ende des Prozesses doch noch eine Minderheitsregierung zusammenstellen müsste. Für die CDU-Chefin eine Horrorvorstellung: Für jede wichtige Abstimmung müsste sie dann Mehrheiten organisieren. In der Union rechnen manche damit, dass höchstens drei Monate vergehen würden, bis Merkel im Parlament die Vertrauensfrage stellen müsste, um wichtige Vorhaben durchzusetzen. Verliert sie diese, stünde wohl eine rasche Neuwahl an.
Angesichts der nationalistischen Strömungen in der EU und der Krisen weltweit ist Merkel seit Monaten Kanzlerin im Wartestand - mindestens bis Ende März dürfte das noch so bleiben. Dann könnte eine neue GroKo stehen. Konkrete Auswirkungen auf internationale Termine hat die Hängepartie bei der Regierungsbildung aber jetzt schon.
Noch ist beispielsweise nicht endgültig entschieden, ob Merkel Ende Januar zum Weltwirtschaftsforum nach Davos reist. Damit ist auch noch unklar, welcher Spitzeneuropäer dort den protektionistischen Plänen von Donald Trump die Stirn bietet - der US-Präsident hat sein Kommen angekündigt. Der französische Präsident Emmanuel Macron jedenfalls will nach Davos kommen.
Schon in dieser Woche dürfte Merkel allerdings bei einem kniffeligen Termin in Berlin versuchen, außenpolitische Normalität zu zeigen. Am Mittwoch empfängt sie den jungen österreichischen Bundeskanzler Sebastian Kurz von der ÖVP zum Antrittsbesuch. Der Chef der Regierung aus konservativer ÖVP und rechter FPÖ gehört zu den schärfsten Kritikern von Merkels Flüchtlingspolitik in der Europäischen Union.
(rt deutsch/dpa)