Rund 960 Islamisten aus Deutschland, die aus der Salafisten-Szene stammen, die Schätzungen zufolge einen Personenkreis von mindestens 10.000 Personen umfasst, sollen in den vergangenen Jahren in die Kriegsgebiete ausgereist sein. 2014 waren es noch rund 310, im Jahr 2017 bis Ende November nur noch etwa 70. Infolge der militärischen Niederlagen des IS gehen die Zahlen der Ausgereisten kontinuierlich zurück, schreibt Die Welt, der die Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage der Grünen-Bundestagsfraktion vorliegt.
Nun kehrt sich das Reiseziel um: Von etwa einem Drittel der Ausgereisten weiß die Bundesregierung, dass sie wieder zurück in Deutschland sind. Zu rund 150 Personen liegen Hinweise vor, dass sie vor Ort ums Leben gekommen sind. Viele der Dschihadisten waren und wurden dabei Familienväter: Sie haben ihre Kinder entweder mitgenommen oder einige ihrer Frauen waren zum Zeitpunkt der Ausreise schwanger. Andere wiederum haben erst vor Ort Familien gegründet.
Grüne-Expertin: Vage Erkenntnisse
Wie viele aus Deutschland stammende Dschihadisten-Kinder es jedoch insgesamt gibt, lässt sich nur schwer sagen: Die Daten von Kindern, die jünger als 14 Jahre alt sind, dürfen die Sicherheitsbehörden nicht speichern, die Zahl der vor Ort geborenen Kinder ist deshalb eher geschätzt. Auffällig ist jedoch: Nahezu jede zurückgekehrte Islamistin war entweder schwanger oder hatte mindestens ein Kind.
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Die Grünen-Innenexpertin Irene Mihalic findet, dass die Bundesregierung nicht genug unternimmt, um die Lage ausreichend einschätzen zu können:
Die Bundesregierung rechnet mit mehr als 100 minderjährigen Angehörigen von IS-Fahrern aus Deutschland in den Kriegsgebieten, beruft sich dabei aber nur auf vage Informationen, ohne sich selber eine Faktenbasis zu schaffen“, sagte Mihalic der Welt.
Dabei bräuchte man „dringend fundierte Erkenntnisse zu den Minderjährigen, damit die Reintegration in unsere Gesellschaft gelingen kann“. Es solle dabei alles getan werden, damit die Kinder später nicht den Weg der Eltern einschlagen.
Rückholung nach Deutschland und Deradikalisierungsstragetegie
Von besonderer Relevanz sind detaillierte Informationen auch mit Blick auf eine vom Sicherheitsrat der Vereinten Nationen im Dezember einstimmig verabschiedeten neuen Antiterrorresolution. Die Öffentlichkeit hat davon bislang wenig mitbekommen. Demnach verpflichten sich die Mitgliedsstaaten zum einen, die Gefahr durch Dschihad-Rückkehrer verstärkt anzugehen. Außerdem will man Frauen als Terrorhelferinnen strafrechtlich verfolgen und Kinder deradikalisieren und resozialisieren. Noch im Oktober sagte der Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz Hans-Georg Maaßen:
Wir sehen die Gefahr, dass Kinder von Dschihadisten islamistisch sozialisiert und entsprechend indoktriniert aus den Kampfgebieten nach Deutschland zurückkehren. Damit könnte auch hier eine neue Dschihadisten-Generation herangezogen werden. Dieses Risiko muss die Gesellschaft sehr genau im Blick behalten und sich konzeptionell entsprechend aufstellen."
Nach Angaben der Bundesregierung fungiert im Gemeinsamen Terrorismusabwehrzentrum (GTAZ) die Arbeitsgruppe Deradikalisierung als Schnittstelle von Sicherheitsbehörden von Bund und Ländern. Beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) in Nürnberg wiederum gibt es eine Beratungsstelle, die sich beispielsweise um die Angehörigen von Rückkehrern kümmert.
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Sicherheitsbehörden und die Bundesregierung diskutieren bereits seit Monaten darüber, wie sie mit Dschihadistinnen umgehen sollen, wenn sie im Kriegsgebiet aufgegriffen werden. Rund zwei Dutzend deutsche IS-Anhängerinnen befinden sich derzeit in der Region in Gefangenschaft, im Irak oder in Nordsyrien. Darunter viele Mütter mit Kleinkindern. Sie werden zum Teil bereits durch deutsche Diplomaten konsularisch betreut.
Viele der Kinder besitzen wegen ihrer deutschen Eltern auch die deutsche Staatsbürgerschaft, obwohl sie im irakischen Mossul oder syrischen Rakka geboren wurden. Die bisherige Haltung lautet daher: Die Kinder sollen – sofern die Erziehungsberechtigten dies fordern – nach Deutschland gebracht werden. Aber:
Ein Zeithorizont für die Rückführung der Kinder kann nicht benannt werden, da diese maßgeblich von der Kooperation der irakischen Behörden abhängt“, erklärt die Bundesregierung."
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Umgang in Russland und Belgien
Andere Staaten haben hingegen bereits konkrete Maßnahmen ergriffen. So hat das russische Militär vor Kurzem eine Gruppe von Islamistinnen samt Kindern aus dem nordsyrischen Kurdengebiet nach Moskau ausgeflogen. Frankreich und Belgien hingegen fahren eine vergleichsweise harte Linie. Aus beiden Staaten sind mehrere Hundert Dschihadisten nach Syrien und in den Irak ausgereist.
Die Kinder der gefangen genommenen Terroristen will man aus humanitären Gründen zurückholen – die Mütter hingegen sollen sich vor Ort vor Gericht für ihre etwaigen Straftaten verantworten. Falls ein fairer Prozess zugesichert werde, so sagte jüngst ein Sprecher der französischen Regierung, solle die Justiz im Irak oder in Nordsyrien über die französischen Dschihadistinnen urteilen.