Von Astrid Sigena und Wladislaw Sankin
Am Freitag 9 Uhr ist es soweit. Dann werden die Abgeordneten über die Zukunft der Hälfte der Jugendlichen abstimmen, die ab 2008 geboren sind. Sollte das Wehrdienstmodernisierungsgesetz durchgehen, müssen junge Männer ab dem Jahr 2026 zu einer verpflichtenden Musterung. Gegen diesen Gesetzesentwurf plant eine Jugendinitiative seit Wochen einen Schulstreik mit Demonstrationen. Sie befürchtet, dass der neue Wehrdienst nicht lange freiwillig bleiben wird. Bisher sind für 90 Städte in ganz Deutschland Schulstreiks angekündigt, nicht nur in der Hauptstadt Berlin, sondern unter anderem auch in Cottbus, Rostock, Hamburg, Köln, München, Leipzig und Magdeburg.
Die Reaktion der Opposition auf die Initiative der Schüler ist dabei oft auch innerparteilich gespalten: Während zum Beispiel Hans-Thomas Tillschneider, der bildungspolitische Sprecher der AfD-Fraktion im Landtag von Sachsen-Anhalt, das Anliegen des Schulstreiks als legitim begrüßte, kritisierte Dennis Hohloch, der Parlamentarische Geschäftsführer der AfD-Landtagstagsfraktion in Brandenburg, den daraus resultierenden Unterrichtsausfall: Schulzeit sei Lernzeit. Die AfD befürworte sowohl Wehrpflicht als auch Schulpflicht. Hohloch deutete auch an, dass er "eine Vereinnahmung unserer Schüler für linke oder linksextreme Projekte" befürchtet.
Von der in Schleswig-Holstein regierenden CDU kommt sogar noch Hohn und Spott für die Streikenden. So ließ der Landtagsabgeordnete Martin Balasus verlautbaren, der Schulstreik sei "sowohl inhaltlich wie formal irrwitzig". Die Initiative zeige "Gratismut und Naivität". Balasus zufolge müsse die Gesellschaft umdenken: "Die Träume vom ewigen Weltfrieden müssten angesichts des Ukraine-Krieges und der Gräuel der russischen Soldateska so langsam auch beim letzten gutwilligen Putin-Versteher geplatzt sein."
Wichtiger als die vorhandene oder ausbleibende moralische Unterstützung vonseiten der Politik ist für die am Streik teilnehmenden Schüler aber ohnehin die Frage, wie die Schulleitungen und die Kultusministerien auf ihr Fernbleiben vom Unterricht reagieren. Und da ist – egal in welchem Bundesland – die Sachlage grundsätzlich klar: Die Teilnahme an Demonstrationen während der Unterrichtszeit gilt als unentschuldigte Fehlzeit. Werden am Tag des unentschuldigten Fehlens Klausuren geschrieben, so kann der Schüler diese nicht nachholen, sondern bekommt die Note 6. So ist es zum Beispiel in Niedersachsen geregelt. Unentschuldigte Fehltage werden auch auf Zeugnissen vermerkt – wofür sich auch zukünftige Arbeitgeber bei der Bewerbung um eine Lehrstelle interessieren dürften. Die Teilnehmer an den Schulstreiks bringen also durchaus ein Opfer für ihr Engagement. Noch dazu fällt der Streik in die Vorweihnachtszeit, in der traditionell viele Klausuren geschrieben werden.
Deshalb forderte die Bundesschülerkonferenz die betroffenen Schulen dazu auf, die protestierenden Schüler für diesen Tag vom Unterricht freizustellen. Die Generalsekretärin Amy Kirchhoff vertritt die Ansicht, Schüler dürften nicht dafür bestraft werden, wenn sie ihre Meinung auf der Straße verträten. Auch finde politische Bildung nicht ausschließlich im Klassenraum statt. Demokratische Selbstwirksamkeit entstehe gerade durch die aktive Teilnahme junger Menschen am öffentlichen Diskurs. Dieser Appell verhallte bei den Verantwortungsträgern anscheinend ungehört.
Wie Gerhard Fuchs-Kittowski vom Deutschen Friedensrat RT DE mitteilte, würden in einigen Städten Brandenburgs den Schülern von den Schulleitungen und dem Bildungsministerium schon jetzt Sanktionen angedroht, die über das Erscheinen der Fehlzeit im Zeugnis und die schlechteste Note 6 ("Ungenügend") bei einer verpassten Klausur hinausgehen. Diese Klausuren seien dabei gar nicht planmäßig, sondern würden bewusst kurzfristig auf den angekündigten Tag des Streiks anberaumt, betont Fuchs-Kittowski.
Die Rede ist auch von einer Strafe für eine Ordnungswidrigkeit. Der Deutsche Friedensrat e. V. hat in einer RT DE vorliegenden Erklärung, die den Schülerstreik eindeutig begrüßt, an Eltern und Lehrer appelliert, den Schülern durch einen gemeinsamen Unterrichtsgang die Teilnahme am Streik zu ermöglichen (ein Unterrichtsgang ist eine genehmigte Exkursion, bei der der Unterricht an einem außerschulischen Lernort stattfindet). Allerdings dürfte es schon aufgrund der knappen Zeit unwahrscheinlich sein, dass Schulleitungen dadurch den Schülern eine reguläre Teilnahme genehmigen.
Auf die Solidarität der organisierten Lehrerschaft können die um Frieden und Zukunft besorgten Jugendlichen dabei nicht hoffen. So gab der Deutsche Lehrerverband bekannt, dass er die für Freitag angesehenen Schulstreiks kritisch sehe und warnte, dass die Teilnehmer "mit erzieherischen Maßnahmen bis zu einem Verweis" rechnen müssten. Ohnehin sieht Verbandspräsident Stefan Düll die Aufgabe der Schulen darin, "sachlich" über die sicherheitspolitische Lage und "die Bedrohung durch Russland" zu informieren. Düll hinterfragt offenbar nicht, ob eine Bedrohung durch Russland überhaupt gegeben ist. Immerhin einen Lichtblick gibt es: Das Kultusministerium in Bayern gab bekannt, dass es "im Ermessen der Schulleitung" liege, ob für die Teilnahme am Schulstreik Konsequenzen gezogen würden. Offenbar will man zumindest in Bayern etwas deeskalieren.
Auffällig ist: Wenn es gegen Rechts geht oder um den Kampf gegen den vermeintlich menschengemachten Klimawandel, zeigten sich sowohl Schulleitungen als auch Kultusministerien in der Vergangenheit oftmals weitaus kulanter. So stellte das bayerische Kultusministerium im Jahr 2024, als es zu Massenprotesten gegen angebliche Remigrationspläne seitens der AfD kam, klar, dass eine Teilnahme an einer Demo während der Schulzeit als Unterricht gelten könne. Damals forderte die Kultusministerkonferenz sogar die Lehrkräfte dazu auf, sich an entsprechenden Kundgebungen zu beteiligen. Auch die Fridays-for-Future-Demonstrationen wurden zuweilen als Schulveranstaltungen deklariert, um den teilnehmenden Schülern Nachteile zu ersparen.
Darauf werden die jugendlichen Friedensstreiter morgen nicht hoffen können. Der Trend geht auch in den Schulen in Richtung Kriegstüchtigkeit.
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